"Das Gymnasium, die neue Haupt-Schule"

Leserbrief zu DER SPIEGEL Nr. 18/2025, Druckausgabe

Für den Artikel mit dem bezeichnenden Titel „Das Gymnasium, die neue Hauptschule“ bin ich sehr dankbar. Er liefert eine zutreffende und endlich fällige Diagnose, die uns die Bildungspolitik in Bund und Ländern bisher schuldig geblieben ist. 

Für den Artikel mit dem bezeichnenden Titel „Das Gymnasium, die neue Hauptschule“ bin ich sehr dankbar. Er liefert eine zutreffende und endlich fällige Diagnose, die uns die Bildungspolitik in Bund und Ländern bisher schuldig geblieben ist, eine Diagnose des unbefriedigenden Zustandes des deutschen Schulsystems und die Skizzierung der Leitplanken einer zukünftigen konzeptorientierten Schulpolitik, die nicht nur kleinteilige Reparaturen will, sondern ganzheitliche Reformen. Ihre kritische Analyse des Gymnasiums teile ich, sie muss jedoch nicht unbedingt dessen Abschaffung im Auge haben, sondern dessen „Aufhebung“ im hegelschen Sinne, also die Zurverfügungstellung des Besten des Gymnasiums für Alle.

Bei einem Punkte habe ich dennoch Kritik, nämlich bei der Verwendung des Begriffes Chancengerechtigkeit statt Chancengleichheit. Wenn man die beiden Begriffe „Gleichheit“ und „Gerechtigkeit“ nebeneinanderstellt, liegt es nahe, Gleichheit als empirische und Gerechtigkeit als normative Kategorie zu verstehen. Empirie ist insofern Grundlage für Gleichheitsaussagen, als diese auf Daten beruhen. Gerechtigkeit indes ist nicht empirisch/quantitativ zu bestimmen. Man kann wohl sagen „Beamtenkinder haben dreimal mehr Chancen als Arbeiterkinder“ das Abitur zu erwerben. Die Formulierung „Arbeiterkinder erfahren nur 33 Prozent Gerechtigkeit“ macht hingegen keinen Sinn. Mithin geht es um mehr Chancengleichheit und auch um mehr Gerechtigkeit, – aber Bildungsgerechtigkeit und nicht Chancengerechtigkeit.