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– Bildungspolitik missbraucht Elternwahlrecht

Eine für Alle - Heft 8 (2023)

Über Jahrzehnte haben Eltern und Elteninitiativen gegen die Sonderschulpflicht und für die Normalisierung der Lebensverhältnisse von Kindern mit Behinderung im Gemeinsamen Unterricht gekämpft. Gegen den Widerstand von Schulbehörden und Bildungspolitik haben sie das Recht gefordert, den Lernort für ihr Kind selbst bestimmen und wählen zu können. Und immer mussten sie sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie mit dieser Entscheidung die Elterninteressen über das Wohl des Kindes stellen. Kinder mit Behinderung wurden als angeblich sonderschulbedürftig im gegliederten Schulsystem der Sonderschule zugewiesen. Generell wurde ihnen das Wahlrecht verweigert.

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Mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) und deren rechtlicher Umsetzung in allen Bundesländern hat sich die Situation umgekehrt. Die Bildungspolitik hat das „Elternwahlrecht“ entdeckt. Sie hat es zum politischen „Herzstück“ für die inklusive Schulentwicklung gemacht. Aber nichts ist damit für inklusive Bildung, für Kinder und Eltern gewonnen. Dies zeigen sehr nachdrücklich Beiträge zum Thema von Volker Igstadt aus juristischer Sicht und von Eva-Maria Thoms aus Elternperspektive.

Ausgehend von den eindeutigen völkerrechtlichen Verpflichtungen aus der UN-BRK unterzieht Volker Igstadt das Elternwahlrecht in seiner rechtlichen Funktion und seiner politischen Wirkung in den Bundesländern einer juristischen Analyse und Bewertung. Danach erweist es sich nicht nur als „Hemmschuh im inklusiven Entwicklungsprozess“. Am Beispiel eines konkreten Falls kann Igstadt zeigen, dass die Einführung des Elternwahlrechts als Rechtsstatut sogar „zu einer gravierenden Verschlechterung der elterlichen Rechtsposition in Bezug auf die
Realisierung ihres Wunsches auf inklusive Beschulung geführt“ hat.

Für Eva-Maria Thoms ist das Elternwahlrecht ohne Gewährleistung und Einklagbarkeit angemessener Unterstützung für Kinder mit Behinderung „eine Schimäre, ein politisches Hirngespinst“. Es werde auch gerne gegen Eltern gewendet, wenn sie nicht so wählen wie gewünscht. „So wichtig die politisch-juristische Auseinandersetzung um das Verständnis und die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention auch ist“, sie gehe an den Interessen der Eltern vorbei. Für den politischen Kampf um den Aufbau inklusiver Bildung in den Schulen gebe es noch andere lohnende Aufgabenfelder.