Schleswig-Holstein hat eine neue Bildungsministerin. Am 15.09.2014 hat Waltraud „Wara“ Wende nach heftigen Angriffen gegen ihre Person, die auch vor dem Hintergrund des von ihr maßgeblich gestalteten Politikwechsels der Regierungskoalition im Bereich der Bildungspolitik zu bewerten sind, im Zusammenhang mit laufenden Ermittlungen wegen des Anfangsverdachts der Bestechlichkeit und des Betruges, das Handtuch geworfen. Schon einen Tag später präsentierte Ministerpräsident Thorsten Albig mit Britta Ernst eine Nachfolgerin.
Frau Wende hat durch ihr Eintreten für ein gerechtes Bildungssystem der Chancengleichheit für alle Schüler/innen wichtige bildungspolitische Weichenstellungen, die wir unterstützt haben, vollzogen (siehe vorangegangene Länderberichte: u. a. Einrichtung einer Zweisäulenstruktur mit Gemeinschaftsschule und Gymnasium, Reform der Lehrkräfteausbildung und ein Inklusionskonzept).
Nach einer ersten Einschätzung wird Frau Ernst als Ministerin für Schule und Berufsbildung die von Frau Wende auf den Weg gebrachte Politik fortsetzen. Wir erwarten, dass es ihr insbesondere gelingt, das vorgelegte Inklusionskonzept zu konkretisieren und die gewollte Qualitätssteigerung herbeizuführen. Der noch von Frau Wende dem Landtag vorgelegte Inklusionsbericht besteht aus einer Bestandsaufnahme und einem Konzept für die Weiterentwicklung der Inklusion an den Schulen Schleswig-Holsteins in Form von zehn Handlungsfeldern. Er beschreibt Inklusion als eine gesamtgesellschaftliche Langzeitaufgabe, die weit über eine Legislaturperiode hinausreicht. Zu den Handlungsfeldern gehören u. a. eine Reform der Lehrkräfteausbildung, die Einrichtung von multiprofessionellen Teams an den Schulen, die Sicherung und der Ausbau von Stellen für den sozialpädagogischen sowie schulpsychologischen Bereich und die Koordination von unterstützendem Personal (sozialhilferechtliche Leistungen). Neu ist die Etablierung von 314 Schulassistenzstellen, die zunächst den Grundschulen vorbehalten sind, um dort die Lehrkräfte in ihrer pädagogischen Arbeit zu unterstützen. Für eine differenziertere Betrachtung ist der Bericht unter www.landtag.ltsh.de erhältlich.
Kritik wird vor allem dahingehend geäußert, dass es dem Konzept in vielen Punkten an einer differenzierten Ausgestaltung fehlt. So ist in Bezug auf die vorgesehenen Assistenzstellen noch offen, wie das Aufgabenfeld genau aussehen soll, wie die Qualifizierung erfolgen soll und welche Voraussetzungen an das künftige Personal gestellt werden sollen. Ebenso wird kritisiert, dass die Ressourcen im Bereich des Lehrkräfteeinsatzes für inklusive Maßnahmen zunächst nicht verbessert werden. Dies gilt insbesondere in Bezug auf die Unterversorgung mit Lehrkräften für Sonderpädagogik. Unseres Erachtens bleibt auch ungeklärt, inwieweit die Beteiligung der Gymnasien an einer inklusiven Beschulung ausgebaut werden kann. Zurzeit werden weniger als 2 % aller Schüler/innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die eine allgemeinbildende Schule besuchen, an einem Gymnasium beschult. Letztlich kann das Ziel einer inklusiven Schule nur in einem nicht-selektiven Schulsystem erreicht werden.
Fazit: Mit dem vorgelegten Inklusionskonzept geht Schleswig-Holstein einen weiteren Schritt in Richtung einer inklusiven Schule.
Wenn in der aktuellen Situation das ausgegebene Motto „Qualität vor Quantität“ ernst gemeint ist, wird dies allerdings nur dann gelingen, wenn zu den vorgesehen Maßnahmen weitere personelle Ressourcen erschlossen und bereitgestellt werden können.
Dieter Zielinski