Die Grund- und Gemeinschafts­schule am Brook in Kiel-Gaarden

KI – eine echte Chance für neue Formen des Lernens und zur Überwindung von Sprachbarrieren

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Roy Hahn


Die Gemeinschaftsschule selbst wurde im Schuljahr 2010/2011 gegründet, als die damalige Haupt- und Förderschule am Standort Brook – das ist ein kleiner Wasserlauf – zu einer der ersten Gemeinschaftsschulen in Kiel umgewandelt wurde. Sie ist eine offene Ganztagsschule und bietet den Ersten allgemeinbildenden und den Mittleren Schulabschluss an sowie eine „Clever-Kooperation“ mit den regionalen Berufsbildungszentren (Fachhochschulreife, Allgemeine Hochschulreife).

Nach der Zusammenlegung mit der Grundschule, deren Fusion in diesen Wochen stattfindet, hat die Gemeinschaftsschule aktuell 36 Klassen, inkl. DaZ, und insgesamt 760 Schülerinnen und Schüler.


An der Gemeinschaftsschule am Brook in Kiel-Gaarden nutzen wir KI im Unterricht zur Überwindung von Sprachbarrieren, zur Vertiefung des Textverständnisses und zur Förderung von Diskussionen. Damit verbunden sind mehr Teilhabe, Zeitgewinn und neue Formen des Lernens – immer auch mit Fokus auf die kritische Nutzung von KI.

Als wir an der Gemeinschaftsschule am Brook in Kiel-Gaarden vor gut einem Jahr den offiziellen Zugang zu ChatGPT über die landeseigene Plattform OPSH bekamen, war ich neugierig und höchst motiviert. Kiel-Gaarden ist ein Ausnahmestadtteil – bunt, lebendig, aber auch von sozialen Herausforderungen geprägt, wie man sie in Schleswig-Holstein selten findet. Unsere Schule ist Teil des Startchancen-Programms (früher in Schleswig-Holstein bekannt als Perspektiv Schulen) und wir stehen täglich vor besonderen Aufgaben: Viele Schülerinnen und Schüler wachsen mehrsprachig auf, viele Familien leben in schwierigen sozialen Verhältnissen und die sprachlichen Hürden im Unterricht sind hoch. Für den Unterricht bedeutet das: Oft liegt das eigentliche Problem nicht im fehlenden Fachwissen. Ich erlebe Jugendliche, die komplexe Zusammenhänge verstanden haben, diese aber nicht ausdrücken können. Genau an dieser Stelle hat die Arbeit mit KI in den letzten Monaten einen Unterschied gemacht.

KI im Literaturunterricht

Besonders deutlich wurde mir das bei der gemeinsamen Lektüre eines Jugendbuchs – „Der aus den Docks“ - im vergangenen Halbjahr im Jahrgang 8. Wir hatten uns im Jahrgang auf ein Werk geeinigt, das sprachlich durchaus anspruchsvoll ist. Für einige Schülerinnen und Schüler war das zunächst eine große Hürde. Ich konnte ihnen die Fremdwörter erklären und wichtige Passagen paraphrasieren, aber das reichte nicht immer aus, damit sie wirklich ins Gespräch über den Text kamen.

Hier setzten wir den Chatbot ein. Gemeinsam mit den Jugendlichen ließen wir uns einzelne Absätze in eine einfachere Sprache übertragen. Manche baten sogar darum, schwierige Stellen in ihre Muttersprache zu übersetzen, um sicherzugehen, dass sie den Inhalt richtig verstanden hatten. Andere stellten dem Chatbot gezielte Fragen: „Warum verhält sich die Figur so?“ oder „Was bedeutet dieser Ausdruck in der Situation?“ Aus diesen Nachfragen entstand plötzlich eine lebendige Diskussion. Die Jugendlichen begannen, sich über die Handlung auszutauschen, ihre Meinungen zu vergleichen und Argumente zu entwickeln. Das wäre ohne die Unterstützung kaum in dieser Intensität möglich gewesen.

Ein Beispiel ist mir dabei besonders wichtig: Ich hatte Teile des Buches in den ChatBot eingespeist, sodass die Schülerinnen und Schüler ihre Fragen in ihrer eigenen Sprache stellen konnten – egal ob auf Türkisch, Bulgarisch oder Arabisch. Für mich allein wäre das schlicht unmöglich gewesen. Natürlich ersetzt das nicht die Notwendigkeit, Deutsch zu lernen. Aber Deutschunterricht ist viel mehr als nur Grammatik und Rechtschreibung. Es geht auch um die Auseinandersetzung mit Kulturgütern und um die Frage, wie man Motivation fürs Lesen weckt. Ist die Grundvoraussetzung des Verstehens nicht gegeben, ist das Begeistern für die Sprache an sich nahezu unmöglich. Genau hier hat mir die KI wertvolle Unterstützung geleistet.

KI im Physikunterricht

Ein zweites Erlebnis hatte ich in meinem Physikunterricht, ebenfalls im 8. Jahrgang. Es ging um Elektrizitätslehre. Normalerweise ist das Beschäftigen mit Physikgeschichte ein eher mühsames Unterfangen. Mit ChatGPT konnte ich jedoch Bots erstellen, die sich als historische Physiker ausgegeben haben. Die Schülerinnen und Schüler haben Interviews mit diesen „Physikern“ geführt und anschließend Präsentationen erstellt, die ich bewertet habe. Die Kinder hatten Spaß dabei, und gleichzeitig wurden Aspekte der Medienbildung ganz nebenbei interdisziplinär mitgefördert. Für viele war das ein völlig neuer Zugang zu einem Fach, das sie sonst oft nur über Formeln und Experimente wahrnehmen.

Solche Erfahrungen zeigen mir, welches Potenzial in der Nutzung von KI liegt. Es geht nicht darum, den Schülerinnen und Schülern die Arbeit abzunehmen oder ihnen fertige Lösungen zu liefern. Vielmehr geht es darum, ihnen Werkzeuge an die Hand zu geben, mit denen sie ihre eigenen Fähigkeiten besser entfalten können. Wo früher Sprachbarrieren eine Mauer bildeten, können wir sie nun zumindest teilweise einreißen.

Natürlich profitiere auch ich als Lehrkraft. Arbeitsblätter, Wortlisten oder differenzierte Aufgabenstellungen kann ich mir mit Unterstützung der KI schneller erstellen lassen. Vor allem aber schafft es Zeit. Und Zeit ist in der Bildung eine Ressource, die stets knapp ist. Mit etwas mehr Zeit kann eine Lehrkraft dem eigentlichen Kerngeschäft besser nachgehen: der persönlichen Kommunikation mit den Schülerinnen und Schülern. Ich habe außerdem erlebt, dass nahezu das gesamte Kollegium offen für die neue Technologie ist. Während einige sie nur gelegentlich nutzen, um Aufgabentypen zu variieren oder Beispielsätze zu erzeugen, setzen andere die KI bereits viel umfassender ein. Genau darin liegt die Stärke dieser Werkzeuge: Sie lassen sich so nutzen, wie es zum eigenen Unterrichtsstil passt.

KI-Antworten überprüfen

Es wäre allerdings nicht richtig zu behaupten, dass alle Schülerinnen und Schüler stets hervorragende Ergebnisse erzielt haben. In einer Einheit waren die Ergebnisse unzureichend, weil sich einige zu sehr auf die Antworten der KI verlassen hatten, ohne sie kritisch zu prüfen. Genau diese Erfahrung hat bei vielen die Augen geöffnet. Seitdem ist das Überprüfen und Faktenchecken von KI-Antworten für die Schülerinnen und Schüler zunehmend zur Selbstverständlichkeit geworden. ChatGPT ist nämlich bei Weitem nicht unfehlbar. Manchmal sind die Antworten ungenau, manchmal schlicht falsch. Und immer schwingt die Gefahr mit, dass Schülerinnen und Schüler Ergebnisse ungeprüft übernehmen. Deshalb ist es für mich zentral, mit ihnen darüber zu sprechen, wie die KI funktioniert, wo ihre Grenzen liegen und warum man niemals alles für bare Münze nehmen darf.

Einer Tatsache müssen wir jedoch alle in die Augen blicken: KI wird von den Jugendlichen ohnehin genutzt – ob wir wollen oder nicht. Wenn wir das Thema im Unterricht ausklammern, überlassen wir sie ihren eigenen Erfahrungen, ohne Orientierung oder Korrektur. Das halte ich für gefährlich. Schule muss ein geschützter Raum sein, in dem ausprobiert werden darf, in dem Fehler passieren dürfen und in dem man über Stärken und Schwächen einer Technologie spricht. Natürlich bleibt die Arbeit mit KI ein Balanceakt. Sie darf nicht zum Ersatz für eigenes Denken werden, sondern soll es unterstützen. Sie darf nicht zur Quelle ungeprüfter Informationen verkommen, sondern muss Anlass sein, kritisch zu hinterfragen. Diese Balance herzustellen, sehe ich als eine unserer wichtigsten Aufgaben.

Dieses Jahr probieren wir das erste Mal bei uns an der Schule aus, KI explizit bei den Abschlussprüfungen zuzulassen. Die erste Phase davon ist bereits angelaufen (Themen- und Gruppenfindung). Dabei wurde KI bereits genutzt, um Ideen zu suchen. Aus meiner Sicht sind da teilweise sehr spannende Ansätze rumgekommen, auch eine Gruppe, die sich explizit den Einfluss von KI auf die Psyche anschaut – spannend.

Fazit

Nach einem Jahr mit ChatGPT an unserer Schule ziehe ich für mich eine positive Bilanz. Ich habe gesehen, wie Schülerinnen und Schüler, die sich sonst im Unterricht kaum äußern, mit neuer Sicherheit in den Diskurs treten konnten. Ich habe erlebt, wie sich Diskussionen vertieft haben, weil plötzlich alle dieselbe sprachliche Grundlage hatten. Und ich habe gelernt, wie wertvoll es ist, den Einsatz von KI nicht dem Zufall zu überlassen, sondern ihn bewusst in den Unterricht zu integrieren. Für mich als Lehrkraft ist es ein gutes Gefühl, meine Schülerinnen und Schüler auf eine Zukunft vorzubereiten, in der der Umgang mit Künstlicher Intelligenz selbstverständlich sein wird – aber hoffentlich auch kritisch und reflektiert.

Für unsere Schule im Brennpunkt bedeutet die Arbeit mit KI eine echte Chance. Eine ehrliche Prognose, wie sich KI auf das Schulleben auswirkt, kann aus meiner Sicht noch nicht erstellt werden, da das Thema noch zu jung ist. Die aktuellen Beobachtungen lassen aber die These zu, dass ein bisschen mehr Bildungsgerechtigkeit hergestellt wird. Ob das nachher auch zu tatsächlich besseren Abschlüssen führt, muss sich jedoch noch zeigen.