Saarland
Diskurs
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Frau J. Lion
Hohenzollernstr. 60
66117 Saarbrücken

 

Sehr geehrte Frau Lion,

der Landesvorstand der GGG Saarland bedankt sich für die Möglichkeit, zum
Entwurf „Erlass zur Einrichtung des Pilotprojektes eines inklusiven Förderkonzeptes an Regelschulen im Saarland“
Stellung zu nehmen.
Da für den Landesvorstand der GGG Saarland die Zeit für eine sorgfältig ausgearbeitete Stellungnahme zu diesem komplexen Thema von 27.05. (Posteingang) bis 01.06.11 (Abgabetermin) zumal in Zeiten von Prüfungen und Schuljahresabschluss viel zu kurz bemessen war, behalten wir uns eine weitere zu einem späteren Zeitpunkt vor.

Die GGG setzt sich seit über zwei Jahrzehnten für Inklusion ein.

War die Gesamtschule ursprünglich beauftragt, die drei Schulformen Haupt-, Realschule und Gymnasien zu integrieren, begannen einzelne Gesamtschulen bereits in den 70er Jahren , sich als eine Schule für alle Kinder, also auch für Kinder mit Behinderungen zu verstehen und aufzunehmen – Bildung sog. I-Klassen. Damit wurde der Integrationsbegriff verändert und erweitert. Spätestens mit der Fachtagung „Integration von behinderten und nichtbehinderten Kindern in der Gesamtschule“ 24.-26.02. 1989, der einige Arbeitsgruppen bei Bundeskongressen vorausgingen, fordert die GGG diese Integration, die wir heute Inklusion nennen.

Deshalb begrüßt die GGG Saarland ausdrücklich die Einrichtung eines Pilotprojektes.

Allerdings moniert sie den zaghaften, verspäteten und unzureichenden Start in die Inklusive Schule.

In der Stellungnahme des Deutschen Instituts für Menschenrechte (Monitoringstelle) „Eckpunkte zur Verwirklichung eines inklusiven Bildungssystems (Primarstufe und Sekundarstufe I und II) vom 31.03.11 heißt es:

„Alle Länder sollten geeignete Maßnahmen ergreifen, die gewährleisten, dass spätestens ab dem Schuljahr 2011/2012 für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen nach individuellem Bedarf ein sinnvolles, qualitativ hochwertiges Bildungsangebot in der allgemeinen wohnortnahe Schule organisiert werden kann. Zu den geeigneten Maßnahmen gehören Verfügungen, Arbeitshilfen und Sensibilisierungstrainings, mit denen auch Behörden jenseits der Schulbehörde erreicht werden, genauso wie eine flexible und bedarfsorientierte Zuweisung von personellen und sächlichen Ressourcen. Ein diskriminierungsfreier Bildungszugang im Sinne der Konvention wird von staatlicher Seite nur dann hinreichend gewährleistet, wenn im Einzelfall angemessene Vorkehrungen getroffen werden.“

Im Lichte dieser Stellungnahme wird das Pilotprojekt viel zu spät eingerichtet.

Da die saarländischen Schüler(innen) nach dem 4. Schuljahr jetzt und auch weiterhin in mindestens zwei „Säulen“ mit drei Bildungsgängen unterrichtet werden, steht in Frage, ob allen Kindern und Jugendlichen ein hochwertiges Angebot unterbreitet werden soll. Solange an dem Pilotprojekt kein Gymnasium teilnimmt, besteht begründet der Verdacht, dass entweder den Gymnasiasten wesentliche Bildung (Erwerb sozialer Kompetenzen) vorenthalten werden soll oder - schlimmer(!)- dass ihnen die gemeinsame Unterrichtung mit Kindern mit Beeinträchtigungen oder Behinderungen nicht zugemutet werden darf.

Schließlich muss mit Blick auf die Indikatoren wie Ausgaben pro Schüler, Schüler je Klasse, Schüler je Lehrer, Schulabschlüsse bezweifelt werden, ob das Saarland (im Ländervergleich) ein qualitativ hochwertiges Bildungsangebot vorhält. (Einem Vergleich mit den sog. PISA-Siegerstaaten kann es nicht standhalten.)

Der Landesvorstand der GGG Saarland fordert den zügigen Abschluss dieses Pilotprojektes unter Hinzuziehung der Erfahrungen mit „Integration“ der Gesamtschulen bundesweit und die schnelle Umsetzung der Konvention. Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat entsprechende Eckpunkte vorgelegt.

Zu einzelnen Punkten des Entwurfs:

  • Der LV GGG Saarland begrüßt den Wegfall der sonderpädagogischen Überprüfungen und der damit verbundenen Klassifizierung (Stigmatisierung) von Schüler(innen).
  • Es stellt sich die Frage, ob die angesprochenen Fachkräfte und Einrichtungen den Bedarf an Förderdiagnostik angemessen und zeitnah befriedigen können.
  • Die Förderkonferenz sollte nicht aus allen stimmberechtigten Mitgliedern der Klassenkonferenz, sondern lediglich aus den Tutoren (Klassenlehrern in der GeS) und den weiteren genannten Mitgliedern bestehen, um zeitliche Belastungen zu vermeiden.
  • In das Budget muss Kooperationszeit eingerechnet werden, damit die Förderteams/- tandems Zeit für Absprachen haben.
  • Der LV GGG Saarland befürchtet, dass für die vielfältigen Aufgaben der Entwicklung, Umsetzung, Beobachtung, Reflexion und Austausch – auch mit anderen Pilotschulen – zu wenig Personal mit hinreichenden Qualifikationen zur Verfügung gestellt wird.
  • Der Vorstand der GGG Saarland befürchtet, dass der Modellversuch nicht hinreichend personalisiert werden kann.
  • Die Einführung von „Nullrunden“ und das Absenken der Eingangsgehälter wird die Personalsituation weiter verschärfen. Damit stünde die geforderte Ausweitung auf „die Schulen des Landes“ in Frage.
  • Es fehlt eine Arbeitsplatzbeschreibung, die Teamteaching (gemeinsames Unterrichten) als den Regelfall vorsieht und den Ruf „Integrationsschüler rauskommen!“verhindert.
  • Der LV GGG Saarland fordert für das Pilotprojekt eine an Action-research orientierte wissenschaftliche Begleitung.
  • Da der Abschluss des Pilotprojektes Ende 2012/13 deutlich hinter den oben zitierten Vorgaben des Deutschen Instituts für Menschenrechte zurück bleibt, fordert der Vorstand

der GGG Saarland, zügig einen umfassenden Maßnahmeplan vorzulegen.

Inklusive Bildung ist ein individuelles Menschenrecht. Es kann nicht hintergangen werden.

Darüber alle Kinder, Jugendliche und Eltern aufzuklären, ist nach Auffassung des Landesvorstandes der GGG Saarland vornehme Aufgabe des Ministeriums für Bildung.

Mit freundlichen Grüßen

Günther Clemens

(1. Vorsitzender)