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Länderbericht 2008/4

Das ist schon schwer vermittelbar: Zu Beginn dieses Schulljahres starten in Berlin die ersten 11 Schulen bzw. Schulverbünde im Rahmen des von der rot-roten-Koalition vereinbarten und getragenen Pilotphase Gemeinschaftsschule; dies fand ein neutral-abwartendes bis wohlwollendes Echo in der Berliner Presse.

Und keine 14 Tage später legt der Bildungssenator einen Vorschlag zur Schulstruktur in Berlin als Diskussionspapier auf

den Tisch, das er in Hamburg abgeschrieben haben könnte: Ab 2014 soll es nur noch Gymnasien und eine zweite Schulform geben, die er, für einen Stadtstaat unsinnig, Regionalschule nennt. In diese Schulform sollen alle nicht gymnasialen Schulen aufgehen, d.h. doch nicht wirklich alle, denn über die Förderschulen schweigt sich das Papier aus, Inklusion scheint ein unbekanntes Fremdwort zu sein. Zuvor sollen ab 2010 die Haupt- und Realschulen zu "Integrierten Haupt- und Realschulen" (IHR) zusammengelegt werden, also noch in dieser Legislaturperiode.

http://www.berlin.de/imperia/md/content/sen-bildung/bildungspolitik/vorschlag_schulstruktur.pdf ,

http://www.berlin.de/imperia/md/content/sen-bildung/bildungspolitik/eckpunkte_vorschlag_schulstruktur.pdf)

Wie allerdings ein Schulsystem, bestehend aus einer Schule für die möglichst klugen Kinder aus gutem Hause und eineinhalb Schulen für den Rest "die Abhängigkeit des Bildungserfolges vom sozialen Hintergrund verringern und die Stärken aller Kinder und Jugendlichen bestmöglich fördern" soll, bleibt das Geheimnis des Senators. Insbesondere verwundert das kalte "Abservieren" des gerade erst begonnenen Gemeinschaftschulprojektes.

Unter den zahlreichen kritischen Stellungnahmen zu Zöllners Vorschlag sind zwei herauszuheben:

  1. Eine gemeinsame Stellungnahme von Bildungspolitikern der Linkspartei und des linken SPD-Flügels
    (http://www.gemeinschaftsschule-berlin.de/article/212.bildungsziele_fuer_berlin.html)

    Ausgehend von Zielen für das Bildungssystem Berlins - jeder erwirbt einen Abschluss, der Abiturientenanteil wird deutlich erhöht, die Kopplung zwischen Schulerfolg und sozialem Hintergrund soll deutlich reduziert werden - mit zeitlichen und quantitativen Vorgaben, wird ein Bündel konkreter nächster Schritte vorgeschlagen, um diese Ziele zu erreichen.

  2. Eine Stellungnahme des Landesschulbeirates "Diskussionspapier des LSB zur Schulstruktur"
    (http://www.rt-gemeinschaftsschule-berlin.de/userfiles/0811lsb_Schulstruktur.pdf)
    Der Landesschulbeirat schlägt ganz schlicht die "Schule für alle" vor in einem auch den Elementarbereich und den Tertiären Bildungsbereich umfassenden Konzept. So einfach kann's sein.

Der Runde Tisch Gemeinschaftsschule Berlin, an dem sich auch der GGG-Landesverband beteiligt, hat sein "1. Forum" am 15. Oktober 2008 veranstaltet. Im Abgeordnetenhaus Berlin, dem Berliner Parlamentsgebäude, sprachen die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth und der bekannte Erziehungswissenschaftler Matthias von Saldern über die "Gesellschaftspolitische, wirtschaftliche und pädagogische Begründung der gemeinsamen Schule für alle". In einem leidenschaftlichen Plädoyer für die Schule für alle betonte Frau Süßmuth vor allem die pädagogische Notwendigkeit und Alternativlosigkeit des längeren gemeinsamen Lernens. Herr von Saldern trug zum Gelingen dieser Mut machenden Veranstaltung bei, indem er auf sehr lebendige Weise eine Fülle praktisch verwertbarer Argumentationen für die Schule für alle darstellte (https://ggg-web.de/be-service/be-downloads/category/121-be-bildungspolitik?download=970:m-von-saldern-2008-vortragsfolien). In der anschließenden Diskussion war eines der zentralen Themen der Strukturvorschlag von Senator Zöllner, über den beide Referenten Verwunderung äußerten. Wie Veranstalter und Publikum hätten sie gern diese Vorschläge mit dem Senator (oder wenigstens einem offiziellen Vertreter) diskutiert; obwohl langfristig eingeladen, waren andere Termine wichtiger. Trotz dieses Mankos war die Veranstaltung ein Erfolg und eine Stärkung der Befürworter der einen Schule für alle. Das nächste Forum ist für Anfang Februar geplant. Hier können sich Lehrer und andere wieder Mut holen.

Lothar Sack