von Rosemi Waubert de Puiseau
Seit April 2015 liegt der Entwurf des Gesetzes zur Stärkung der inklusiven Kompetenz und der Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften vor. Es soll die Koalitionsvereinbarung der rot-grünen Landesregierung von 2011 erfüllen – kurz vor der Landtagswahl im Frühjahr 2016. Mindestens 2 Jahre lang war es angekündigt, was man hörte war, dass es keinen Konsens darüber gab, was alles in ein solches Gesetz rein sollte. Während ein Koalitionspartner alle Phasen der Lehrerbildung gesetzlich regeln wollte, wollte der andere Partner sich auf die dritte Phase beschränken. Im Koalitionsvertrag von 2011 ist folgendes dazu festgehalten:
Wir wollen, wo sinnvoll umsetzbar, die Möglichkeit schaffen, in der Lehrerausbildung die Lehrbefähigung für mehr als eine Schulart bzw. Schulstufe zu erwerben. Als nächsten Schritt werden wir die Möglichkeit schaffen, im Lehramtsstudium der Realschule plus durch Studienleistungen im Umfang eines zusätzlichen Semesters im Master-Studium auch die Befähigung für das Lehramt an Gymnasien zu erwerben. Diese Veränderungen werden wir zusammen mit Regelungen zur Fort- und Weiterbildung in einem neuen Lehrerbildungsgesetz verankern. (Koalitionsvertrag 2011-2016. Den sozial-ökologischen Wandel gestalten.)
Und was ist nun vorgelegt worden? Um es gleich vorweg zu nehmen, mit den Vereinbarungen im Koalitionsvertrag hat der vorgelegte Entwurf eigentlich nichts zu tun.
Herausgekommen ist stattdessen ein Gesetz, das sich per Definition auf die inklusive Kompetenz und die dritte Phase beschränkt. So wird in der Begründung des Gesetzes darauf hingewiesen, dass es erforderlich ist...die inklusive Kompetenz der Lehrkräfte in allen Phasen der Lehrkräftebildung zu stärken. Danach sind die Basisqualifikationen zur Inklusion in die Lehrkräfteausbildung (...)und in die Lehrkräftefort- und –weiterbildung zu integrieren.
Man könnte auf die Idee kommen, dass es sich um gänzlich neue Qualifikationen handelt, die nun – ohne dass die allgemeine Lehrerbildung gesetzlich geregelt ist – gesetzlich geregelt werden müssen. Schaut man sich dann §3 Inhalte der Lehrkräftebildung genauer an, wird in Satz 1 festgestellt, dass für Fächer und Lehrämter qualifiziert wird. In Satz 2 wird festgestellt, dass pädagogische und didaktische Basisqualifikationen insbesondere für den inklusiven Unterricht, den Umgang mit Heterogenität und der Förderdiagnostik Gegenstand der Lehrkräftebildung sind. Beides ist nicht neu und mutet eher an wie die Festschreibung der Vergangenheit. Diese Inhalte (aus Satz 2) findet man im Modul 3 der Bildungswissenschaften – und zwar sollen sie schon etwas länger in den jeweiligen Studiengängen der Lehrämter HS, RS, Gym und BBS. vermittelt werden (Amtsblatt des MBWJK RLP 10/2007). Warum also werden diese Qualifikationen einseitig herausgehoben? Leider kann man aus der Begründung des Gesetzes auch nicht mehr entnehmen als dass man diese Inhalte für besonders wichtig hält. Waren sie das vorher nicht? Hat man Zweifel daran, wie das vorher umgesetzt wurde? Und glaubt man dann wirklich, dass mit dieser Form der gesetzlichen Festschreibung sich daran etwas ändern würde?
Im nächsten Absatz wird ergänzt, dass zu den Inhalten der Lehrkräftebildung Wertschätzung und Unterstützung aller Lernenden zu deren kontinuierlicher individueller und sozialer Entwicklung gehören. War es vorher nicht erforderlich, Kindern aller Begabungen und Eigenschaften Wertschätzung und Unterstützung entgegenzubringen? Uns hat eigentlich immer § 1 des rheinland-pfälzischen Schulgesetzes ausgereicht. Dort sind Anspruch und Auftrag formuliert sowie das Recht des jungen Menschen auf Förderung. Wie ist das in der Vergangenheit möglich gewesen – ohne dass Lehrkräfte jungen Menschen Wertschätzung und Unterstützung entgegengebracht hätten? Im vorliegenden Gesetzentwurf wird dies nun zum Inhalt der „inklusiven Kompetenz“ von Lehrkräften erklärt. Wenn daraus Zweifel erkennbar werden, ob das in der Vergangenheit alles schon so optimal war, dann bliebt abzuwarten, wie ein solches Gesetz dies ändern wird. Und wie das nachprüfbar wird, ebenfalls.
§5 erwähnt das Praktikum an Schwerpunktschulen als ein Instrument, Einblick in die Berufswelt der Lehrkräfte zu gewinnen und berufspraktische Kompetenzen zu erwerben.
§6 definiert als Aufgabe des Vorbereitungsdienstes u.a. den Erwerb von Kompetenzen, die zu grundlegendem inklusionspädagogischen Handeln und zu einer wirkungsvollen Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams befähigen.
Braucht man für das alles ein (neues) Gesetz?! Den ganzen Aufwand eines Gesetzgebungsverfahren?! Mit der Schulgesetzänderung von 2014 wurde der inklusive Unterricht als Aufgabe aller Lehrkräfte definiert. Dass darauf die Ausbildung reagieren muss, ist wohl eine Selbstverständlichkeit. Und das Gesetz legt nichts dazu fest, wie das im Einzelnen zu geschehen hat. So hat man die Chance nicht genutzt,
- ein verbindliches Praktikum an einer SPS festzulegen
- eine Kombination von Lehrämtern für Förderschule und allgemeinbildende Schulen gleichberechtigt zu ermöglichen
- die Voraussetzungen für die erhöhte Notwendigkeit von Teamarbeit zu schaffen
- Aussagen zur Lehrerarbeitszeit zu machen
- .....
also die strukturellen Bedingungen so zu gestalten, dass mehr Raum für inklusives Denken und Handeln entstehen kann.
Ein Zwischenfazit für den ersten Teil: Bis § 6 hätte man sich das Gesetz sparen können, es bringt keinen Neuerungen, sondern versucht auf dem Hintergrund der BRK und der Schulgesetzänderungen von 2014 erneut im Bereich der Inklusion ein bisschen Wind zu machen. Stattdessen könnte es sicherlich effektiver sein, Unterstützungskapazitäten und –strukturen für die Schulen und Lehrkräfte zu schaffen, die willens sind, sich den Herausforderungen der Inklusion zu stellen.
Wenden wir uns den Paragrafen des Gesetzes zu, die sich mit der Lehrerfort- und –weiterbildung befassen.
Hier lassen sich u.a. folgende Neuerungen erkennen:
- Fortbildungsplanung wird erstmals als Instrument der Qualitätssicherung erwähnt. (§ 12)
- Neu ernannte Schulleiter_innen werden verpflichtet an den Fortbildungen für Schulleitungen des Landesinstituts teilzunehmen (§ 9, Abs. 2)
- Fortbildungsteilnahme soll mit Rücksicht auf die Unterrichtsversorgung ... in der unterrichtsfreien Zeit stattfinden (§ 11)
- Fortbildungsbudgets können vergeben werden (§ 13)
Neu sind diese Aspekte lediglich für RLP, keinesfalls jedoch für ein fortschrittliches Bildungssystem. Somit könnte man wohlwollend zu dem Schluss kommen, dass es nun endlich auch in RLP zu diesen Festlegungen kommt. Allerdings würde man mit diesem Optimismus an der Oberfläche bleiben, denn schaut man sich die Details genauer an, so fehlen mal wieder an mehreren Stellen die Verbindlichkeiten. Für die Schulleitungsfortbildung gibt es keine inhaltliche und quantitative Festlegung und auch keine Vorgaben, wann sie stattfindet sowie keinen Rechtsrahmen. Damit bleiben die wissenschaftliche Anbindung und die demokratische Legitimation der Inhalte außen vor.
Für die Lehrkräftefortbildung in der unterrichtsfreien Zeit bleibt offen, ob sie damit auf die Nachmittage, die vermeintlich unterrichtsfreien, gelegt wird oder ob wirklich ernsthaft die Ferien dafür endlich eingeplant werden.
Zwar sollen Schulen eine von Qualitätsarbeit und individuellen Interessen geleitete Fortbildungsplanung erstellen, doch es gibt keine Hinweise, wie sie ihre Planungen auch selbstgesteuert umsetzen können. Denn ihr Fortbildungsbudget können sie nur bekommen – wobei können im juristischen Kontext die geringste Verbindlichkeit hat - wenn die haushaltsrechtlichen Voraussetzungen vorliegen und sie sich neuen Herausforderungen stellen. Wie soll eine Schule ernsthaft eine Fortbildungsplanung machen ohne zu wissen, wie sie sie umsetzt? Wer plant schon den Kauf eines neuen Autos, wenn er nicht weiß, ob und woher er/sie die Mittel nehmen wird? Sollte man nicht mal anfangen darüber nachzudenken, was wäre, wenn nur die Hälfte des PL-Etats auf die Schulen als Fortbildungsbudget verteilt würde? (Bei derzeit ca. 11 Millionen Euro und 1645 Schulen im Land Rheinland-Pfalz käme man auf sage und schreibe 6686 € pro Schule im Jahr.)
Dieses Gesetz vergibt ganz eindeutig seine Chancen, wenigstens ein paar Verbindlichkeiten zu schaffen. So orientiert es sich an dem, was seit vielen Jahren vor sich hin dümpelt. Es hat nicht die Evaluation des PL abgewartet (oder vielleicht absichtlich nicht forciert?), um deren Erkenntnisse in die Gesetzgebung einfließen zu lassen. Über die inhaltlichen und organisatorischen Strukturen des Fortbildungsinstituts wird gar nichts gesagt, obwohl es seit Jahren bekannt ist, dass sie – trotz oder wegen der Neuorganisation – unproduktiv sind und sich gegenseitig behindern.
Da bleibt am Ende dieser Betrachtung Verwunderung darüber, dass sich die Lehrerverbände und auch der kleine Koalitionspartner so etwas vorsetzen lassen. Eine Chance wurde vertan, Ob es der Inklusion nützt darf bezweifelt werden.