Geisterstunde
Kaum ist die schwarz-gelbe Opposition aus ihrer bildungspolitischen Erstarrung erwacht, holt sie ein Gespenst in Form ihres ehemaligen Ministerpräsidenten Mappus ein. Auch der frühere Kultusminister, später Staatssekretär bei Mappus, ist in den Deal mit dem Rückkauf von EnBW-Anteilen verstrickt: Helmut Rau. Die Affäre scheint die CDU zu lähmen. Zumindest hatte man den Eindruck, sie sei jetzt so mit sich selbst beschäftigt, dass kein Raum mehr für Politik, geschweige denn Bildungspolitik vorhanden sei. Ein Irrtum?
Mit der Drucksache 15/1769 vom 29.05.2012 melden sich die bildungspolitischen Gespenster der Ära Schavan, Rau und Schick im Landtag zurück. Der frühere Staatssekretär im Kultusministerium Georg Wacker und weitere vier CDU- Abgeordnete, bitten die grün-rote Landesregierung um Stellungnahme zu den drei Gesamtschulen des Landes. Ihre Fragen:
„Wer besucht die drei Schulen der besonderen Art?“ (Das Wort „Gesamtschule“ gibt es bei der CDU nicht, daher die Verrenkung). Sie wollen wissen,
1. … „mit welchen verbindlichen Grundschulempfehlungen sich die Bewerber an den drei Schulen … in den vergangenen zehn Jahren (!) angemeldet haben (mit Angabe, wie sich das Bewerberfeld auf die drei Empfehlungsmöglichkeiten in absoluter und relativer Zahl in diesem Zeitraum verteilte)“,
2. … „mit welchem Anteil Schüler/innen … jeweils die Klasse 5 in den vergangenen zehn Jahren (!) besuchten“ etc. Es folgen weitere sieben Fragen im gleichen Stil.
Interessant ist, dass ein ehemaliger Staatssekretär im Kultusministerium, der für den hier nachgefragten Zeitraum im Amt war (2006 bis 2011), von der jetzigen Kultusministerin Daten haben möchte, die er doch selbst haben müsste bzw. hätte erheben können, wenn er tatsächlich am Gehalt der Daten interessiert gewesen wäre.
Und: Wieso interessiert sich die CDU nach 40 Jahren Gesamtschule in BW erst aus der Opposition heraus dafür? Was also wollen der Mann und seine vier Mitstreiter jetzt damit?
Liest man die Begründung für die Anfrage, wird man auch nicht viel schlauer.
Der erste Satz: „Die Erfolge (!) der drei Schulen der besonderen Art sowie deren Beliebtheit (hört, hört!) werden in der Regel (!) an Statistiken festgemacht, die hierfür nicht geeignet sind.“ Dann folgen nur noch Unterstellungen und Vermutungen, die mit den Daten dieser Schule keinesfalls in Einklang gebracht werden können. So wird z. B. behauptet, man wisse nicht, wie sich „der entsprechende Abiturjahrgang zu Beginn der fünften Klasse zusammensetze“ und welchen Einfluss die Zahl der Seitenein- und Aussteiger auf die Abiturleistungen habe.
All dies ist völliger Unsinn. Bei den Angaben über die Förderleistung der IGMH beispielsweise werden ausdrücklich nur Schüler/innen verglichen, die ab Klasse fünf in der Schule angefangen und dort auch Prüfung gemacht haben – die sogenannten „echten“ Gesamtschüler/innen (so heißen sie in der Schulstatistik). Ich könnte fortfahren, die Unzulänglichkeiten und Peinlichkeiten in dieser Anfrage zu nennen. Aber viel interessanter ist doch, was das ganze eigentlich bedeuten soll. Atmosphärisch spüre ich nur, wie ein Hauch des Geistes der Vergangenheit durch diese Anfrage wabert.
Das ist aber nicht alles. Die CDU versucht nach meinem Eindruck eine Attacke auf die neue Schulart der Gemeinschaftsschule (GMS) in BW. Ein Weg dahin könnte über die Gesamtschule zu führen. Vielleicht daher das späte Interesse an dieser Schulart? Aus einer CDU-Veranstaltung in Mannheim weiß ich, dass die CDU-Gemeinderäte mittlerweile die Leistung der Gesamtschule ihrer Stadt anerkennen. Sie argumentieren aber, die Schule sei nur deshalb so gut, weil sie eben keine GMS sei, sondern ganz im Gegensatz dazu eine Fachleistungsdifferenzierung in den Hauptfächern habe und damit der Regelschule sehr viel näher stehe als die GMS. Es fehlt nur noch die Behauptung, die Gesamtschule sei im Kern eigentlich doch ein Gymnasium! Eine erstaunliche Wandlung, wenn man bedenkt, dass dieselbe CDU diese Schulart – bis hin zur Diskriminierung als sozialistische Einheitsschule – 40 Jahre lang bekämpft hat.
Ich habe mir erlaubt, den fünf Herrschaften der CDU einen Brief zu schreiben, um zu versuchen, sie aus ihrer Geisterrolle in die Gegenwart zu holen. Leider bekam ich noch keine Antwort. Die Mappus-Affäre scheint die CDU wieder in die alte Starre versetzt zu haben.
Jürgen Leonhardt