Im Süden ist vieles anders, oder „Mir sin mir“
Seit ein paar Monaten melden sich in BW verschiedene Gruppierungen und Initiativen gegen die Einrichtung von Gemeinschaftsschulen (GMS) zu Wort.
Erstmals 2009 initiierte der Philologenverband im Vorfeld der Landtagswahlen 2011 in Baden-Württemberg das Aktionsbündnis gegliedertes Schulwesen, in welchem sich die verschiedensten Vertreter aus dem konservativen Lager des Landes versammelten. Bisher hat man wenig bis nichts von diesem Bündnis gehört.
Erst jetzt, nachdem die Einführung der GMS zur politischen Realität geworden ist, gibt es konkret Widerstand aus diesem Lager. Zunächst gab es da das Aktionsbündnis gegen die Gemeinschaftsschule, das dann mit demselben Ziel in das jetzige Bündnis pro Bildung umgetauft wurde. Sein Slogan: „Vielfalt statt Einfalt durch den Erhalt des differenzierten Schulwesens“. Das alles ist nicht besonders aufregend und wurde von den Befürwortern der GMS erwartet. Seit Ende letzten Jahres aber ist der Widerstand gegen die GMS in eine neue Phase eingetreten. Der Gemeinderat in Bad Saulgau im Kreis Sigmaringen hatte gegen den geschlossenen Widerstand der CDU die Zusammenlegung zweier Schulen mit dem Ziel der Einrichtung einer GMS beschlossen. Der CDU Minderheit im Gemeinderat passte das ganz offensichtlich nicht. Sie trug jetzt – oder unterstützte zumindest – ein Bürgerbegehren gegen die Einführung der GMS. Dazu brauchte die Initiative 1.300 Unterschriften, die sie bereits gesammelt hatte und damit den nächsten Schritt, den Bürgerentscheid, einleiten konnte.
Am Sonntag, den 20.01.2013 hatten nun also die Bürger das letzte Wort. „Wollen Sie, dass sich die Stadt Bad Saulgau tatsächlich um die Einrichtung einer Gemeinschaftsschule bemüht?“, hieß die Frage, die die Wähler mit „ja“ oder „nein“ beantworten konnten. Die Saulgauer empfanden sich ein wenig als „Testballon“. Viele stehen nach Auskunft der Initiatoren in anderen Städten schon in den Startlöchern und wollen den gleichen Weg gehen, nämlich „Nein zur Einheitsschule“ sagen, wie es auf der Homepage des „Bündnis pro Bildung“ verkündet wird. Wie ist die Sache nun ausgegangen? Typischerweise so, wie das berühmte Hornberger Schießen, ein wenig westlich von Bad Saulgau: Beim Bürgerentscheid am Sonntag über die Einrichtung einer Gemeinschaftsschule ist das Quorum nicht erreicht worden. Von den 13.167 Abstimmungsberechtigten stimmte 2.695 gegen die Gemeinschaftsschule, 1.396 stimmten dafür. Um das Quorum zu erreichen, hätten 3.299 abstimmungsberechtigte Bürger dafür oder dagegen sein müssen. Die Wahlbeteiligung lag bei nur 31,1 %. Der Bürgerentscheid hat somit keine bindende Wirkung. Der Gemeinderat ist nun wieder am Zug, um eine endgültige Entscheidung zu treffen. Wir sind sehr gespannt, wie dieser mit dem „Ergebnis“ umgehen wird. Erfreulicherweise gibt es in der Region auch ganz andere Rektionen.
In der „Schwäbischen Post“ wird über ein CDU-Treffen des Ost-Albkreises berichtet, dass die örtliche CDU sich – entgegen der politischen Linie der Landespartei – für die Einführung der GMS entschieden hat. Und das ist nur ein Beispiel von vielen. Das mag für Menschen aus Stadtstaaten wie Hamburg oder Berlin alles lächerlich und provinziell klingen, entspricht aber tatsächlich der typischen süddeutschen Mentalität des „Mir sin mir“ (bayerisch „Mir san Mir“). Das bedeutet: Was die „Großkopfete“ in Stuttgart so „älles schwätzet“, interessiert uns nicht. Den Leuten auf der Ost-Alb und anderswo auf dem flachen Lande, geht es um „onsr Kinnr dehoim, on schonsch nix“. Das ist durchaus eine etwas andere Haltung als die der Initiative „Wir wollen lernen“ in Hamburg. Die Menschen in den Flächenstaaten des Südens sind sehr viel mehr am Wohle ihrer Gemeinden und allen derer Kindern interessiert, als dem einer wie auch immer gearteten Bildungsbürgerschaft. So war das schon immer im Süden. Diese Voraussetzungen, einschließlich des gescheiterten Bürgerentscheids in Bad Saulgau, machen Mut. Ich bin fest davon überzeugt, dass sich die Reaktion gegen die GMS in BW nicht durchsetzen und ein Flächenbrand à la Hamburg ausbleiben wird. Selbst wenn die Konservativen wieder an die Regierung kommen sollten, was ich nicht hoffe, so würden sich Kommunen, die bis dahin auf die neue Schulart umgestellt haben, diese nicht wieder wegnehmen lassen. Mit anderen Worten: Die GMS wird bleiben, mit dem kräftigen Rückenwind aus der demographischen Entwicklung. Ich hoffe, unser neuer Kultusminister Andreas Stoch (SPD), Nachfolger von Frau Warminski-Leitheußer, bewertet das genau so.
Jürgen Leonhardt