Gemeinschaftsschule in BW – die zweite Tranche meldet sich an. Wie schon mehrfach berichtet, gingen in BW zum Schuljahresbeginn 2012/13 über 40 neue Schulen unter dem Namen Gemeinschaftsschule (GMS) an den Start. Nahezu alle diese Schulen gingen aus kleinen Haupt- und Werkrealschulen hervor. Realschulen und Gymnasien meldeten kein Interesse.
Dies scheint sich mit der zweiten Tranche GMS für das Schuljahr 2013/14 etwas zu ändern. Auf der Homepage des Ministeriums steht zu lesen: „Das Kultusministerium ist sehr zufrieden mit der hohen Zahl an Anträgen für die zweite Tranche der Gemeinschaftsschule für das Schuljahr 2013/2014. 120 Schulträger aus dem Land haben für ihre Kommune einen Antrag bei den Staatlichen Schulämtern eingereicht.“ Leider sind auch hier nur vier echte Realschulen dabei und auch weiterhin kommen die Anträge überwiegend aus dem ländlichen Raum mit kleinen Hauptschulen, die sich dadurch die Erhaltung ihres Standortes erhoffen.
Ich will nun nicht behaupten, dass dies die einzige Motivation für das Interesse an der GMS ist. Natürlich haben diese Schulen in aller Regel schon an und mit Programmen für individualisiertes Lernen gearbeitet, sonst würden sie vom Ministerium kein grünes Licht bekommen. Aber es ist eben schon sehr auffällig, wie sich durch den Schülerrückgang bedrohte Schulen für die GMS engagieren.
Bei den Gymnasien ist weiterhin Fehlanzeige zu vermelden.
Meine Kolleg/innen von der Fachgruppe Gesamtschule/Gemeinschaftsschule der GEW– so heißt die neue Fachgruppe jetzt in BW– sind sich mit mir, dem Vertreter der GGG in BW, einig: Das ist kein optimaler Start für ein Projekt, das angetreten ist, dem Gymnasium sein „Alleinstellungsmerkmal Abitur“ streitig zu machen.
Ich gebe zu, die Zahlen sind beeindruckend, aber wie steht es mit der Qualität? Wo bleiben die gymnasialen Standards? Wo bleiben die Gymnasiallehrer/innen in diesen Schulen? Wer geht da gerne hin, wenn er dort ein zwei Stunden höheres Deputat vorfindet? Dies alles ist bisher ungeklärt und wird offenbar dem „evolutionären Prozess der Freiwilligkeit“ überlassen. Ich bitte meine Kolleg/innen in BW, die vielleicht diesen Bericht lesen, nachzudenken, ob es denn nicht sinnvoll wäre, den Ansatz an die GMS auch einmal vom Gymnasium aus zu denken. So weit ich weiß, ist bisher noch niemand auf die Idee gekommen, den Gymnasien einen Weg aus einem neuen Problem vorzuschlagen, das durch den Wegfall der verbindlichen Grundschulempfehlung (GSE) entstehen könnte. Angeregt durch die Praxis des Friedrich-Schiller-Gymnasiums (FSG) in Marbach am Neckar, das als eines von insgesamt zwei Gymnasien den Deutschen Schulpreis der Robert-Bosch Stiftung gewonnen hat (2007), kam ich ins Grübeln. Die Schule hat über 2000 (!) Schüler/innen und führt fast alle zum Abitur! Im letzten Schuljahr mussten nur insgesamt 17 Schüler/innen an die Realschule abgegeben werden, was nach einer Info auf der Homepage der Schule genau 17 Schüler/innen zu viel waren! Mit anderen Worten, das FSG hätte diese Schüler/innen lieber behalten wollen. Das schien mir eine durchaus ungewohnte und erfreuliche Einstellung für ein Gymnasium.
Nur ein kleiner Schritt für das Friedrich-Schiller-Gymnasiums, aber ein großer für das Gymnasium?
Mein Vorschlag (die Kolleg/innen des FSG mögen mir meinen etwas frechen Vorstoß verzeihen): Das FSG führt eine Art „Realschulzweig“ oder einen Kurs ein, sagen wir ab Klasse 8, für Schüler/innen, die entweder wenig Aussicht haben, das Abitur zu schaffen, oder aber aus anderen Gründen das Gymnasium nicht mit Abitur abschließen wollen oder können. Diese machen in der Schule die Mittlere Reife. Vielleicht mit Unterstützung von Realschulkollegen, die dann längerfristig an der Schule bleiben könnten. Die Vorteile liegen auf der Hand:
- Die schwächeren Schüler/innen müssten nicht die Schule wechseln.
- Die schiere Größe der Schule, die ein breit gefächertes Angebot an Kursen und Arbeitsgemeinschaften hat, wäre am ehesten ein Garant für die nachhaltige Entwicklung eines solchen Zweiges.
- Das Gymnasium würde seinen Namen behalten und attraktiv werden für alle Schüler/innen!
- Die Gymnasiallehrer/innen wären schon da und müssten nicht (vielleicht sogar gegen ihren Willen) an eine GMS abgeordnet werden.
- Die Gymnasialkollegen könnten ihr Deputat behalten.
- Die Schule wäre in der Lage, auf die zu erwartende wachsende Heterogenität durch den Wegfall der GSE angemessen reagieren zu können, ohne vielleicht massenhaft abschulen zu müssen. Sie würde so im besten Sinne eine Schule für alle werden!Andere Gymnasien könnten das System, wenn es sich bewährt, übernehmen. Die Schullandschaft in BW würde sich so ohne Qualitätsverlust dramatisch verändern. Ob diese Idee irgendeine Chance hätte, Realität zu werden, weiß ich leider nicht. Ich selbst bin schon fast zehn Jahre aus der Schule raus und kann dies kaum abschätzen. Aber: Die Konstruktion mit dem Kursangebot für schwächere Schüler/innen entspricht letztlich der Struktur meiner alten Gesamtschule in Mannheim, die sich im Verlauf der letzten 40 Jahre zu einer der besten Schulen in BW gemausert hat. Was sollte andere Schularten davon abhalten sich diesem Weg wenigstens einmal gedanklich zu nähern? Wir an besserer Bildung Interessierte in BW sollten versuchen, den Weg zu einem anderen Schulsystem ohne die Grabenkriege, wie wir sie aus anderen Bundesländern (z. B. Hamburg) kennen, zu beschreiten und auf „Kriegserklärungen“, wie ich sie von einem „Arbeitskreis Schule und Bildung“ und dem Philologenverband in BW kenne, zu verzichten. Auf gutes Gelingen!
Jürgen Leonhardt