Die Gesamtschulen in Niedersachsen bleiben nach Einführung der „inklusiven Schule“ die Nummer Eins für Eltern, wenn es um inklusiven Unterricht geht (siehe auch: Länderbericht 2/2016). Die Forderungen der GGG an die Landespolitik bleiben auch deshalb bestehen: Gleichstellung für alle Lehrämter, also auch und vor allem die Möglichkeit für Förderlehrkräfte, eine Gesamtschule als Stammschule zu haben und nicht nur abgeordnet zu werden sowie das Recht auf Bewerbung für eine Funktionsstelle. Hier scheint es im politischen Bereich Bewegung zu geben. Das Beamtenrecht soll verändert werden.
Die Schaffung eines zusätzlichen Funktionsamtes zur Koordinierung der Inklusion wird dagegen wegen der damit verbundenen finanziellen Kosten derzeit nicht durchsetzbar sein. Die GGG bleibt jedoch bei dieser Forderung und hat dafür gute Gründe. Im Bereich der Förderschulen fallen Stellen weg, weil diese auch im Sekundarbereich I mit fortsetzender Inklusion z.T. auslaufen – hier wird also gespart! - und weil die Inklusion als neue Aufgabe insbesondere für Gesamtschulen hinzugekommen ist. Dies bindet Personalressourcen über die Organisation und unterrichtliche Qualitätssteigerung hinaus, z.B. bei der Zusammenarbeit mit Ämtern, Berufsschulen etc.
Als weitere neue Herausforderung ist die zunehmende Anzahl von Flüchtlingen zu sehen, die in Gesamtschulen aufgenommen werden. Die GGG hat zur Unterstützung der Gesamtschulen in Niedersachsen auf der Homepage ggg-niedersachsen.de eine Sammlung von Konzepten für Sprachlernklassen und eines Übergangsmanagements in Regelklassen veröffentlicht. Diese Konzepte zeigen die pädagogische Expertise von niedersächsischen Gesamtschulen, was den Umgang mit heterogenen Gruppen und Lehrerkooperation angeht. Analphabetismus, nicht in lateinischer Schrift alphabetisierte Schüler, Hochbegabte, unregelmäßige Schulbesuche, vormaliger Besuch einer Eliteschule – alles in einer (Sprachlern-)Klasse – tatsächlich eine Herausforderung für Lehrkräfte. Die Konzepte verdeutlichen aber auch, dass das Ziel der Integration in der eigenen Schule von Anfang an mitgedacht wird. Hier macht die Gesamtschule der Gesellschaft wieder vor, wie wirkliche Integration aussehen kann (und muss!).
Die GGG unterstützt mit dieser Plattform die Weiterentwicklung von Gesamtschulen. Neben dieser „Serviceleistung“ bleibt die Aufgabe, in der Bildungspolitik politisch Einfluss zu nehmen. So hat sich die GGG intensiv bei der Neugestaltung des Schulgesetztes eingebracht. Das neue Schulgesetz verbessert die Stellung der Gesamtschulen gegenüber anderen Schulformen. Das hat auch zu einer stärkeren Neugründung von integrierten Schulen geführt. In der Praxis zeigen sich jedoch auch vereinzelt Probleme.
So hat das niedersächsische Schulgesetz Wert darauf gelegt, den kommunalen Trägern bei der Entscheidung über die Errichtung von Schulen mehr Einfluss einzuräumen. Begründung war, dass regionalen Bedingungen besser durch Entscheidungen „vor Ort“ als durch eine zentrale Steuerung begegnet werden kann. Die GGG hatte sich bei der Diskussion prinzipiell auch dafür ausgesprochen.
Allerdings erfährt die GGG bei der Beratung von Schulträgern auch, dass der Frage der Qualität einer Neugründung nicht automatisch so viel Raum eingeräumt wird wie der Frage des Erhalts eines ortsnahen Schulangebots unter allen Bedingungen. Auch die mögliche Schwächung von bestehenden Gesamtschulen durch die Konkurrenz um bestimmte Schülergruppen sowie die Einrichtung von Schuleinzugsbezirken spielt bei einer „Kirchtumsbildungspolitik“ nur eine untergeordnete Rolle. Eine regionale Bildungsplanung wird durch solche Motive erschwert.
„Gesamtschulkannibalismus“ kann nicht als Kollateralschaden einer Wachstumspolitik für die Schulform ‚Gesamtschule‘ hingenommen werden. Soweit sind wir in Niedersachsen noch nicht – gewarnt sei jedoch rechtzeitig davor. So muss u.a. die Ausnahmeregelung für die Dreizügigkeit auf den Prüfstand. Die GGG hat sich generell für die Vierzügigkeit als Mindestgröße ausgesprochen.
Die GGG fordert das Land auf, zu einer wirkungsvolleren fachlichen Prüfung, die nicht nur die Einzelschule im Blick hat, durch die Schulbehörden und das MK selbst zurückzukehren.
Raimund Oehlmann