Länderbericht Niedersachsen 2017/1

Die Anzahl der Gesamtschulen in Niedersachsen wächst weiter. Stand Februar 2017: 126 Gesamtschulen, davon 90 integrierte, 35 im Aufbau begriffen. Von den integrierten Gesamtschulen führen 47 eine eigene Oberstufe. Ergänzt wird das Angebot durch 36 kooperative Gesamtschulen, davon 26 mit eigener Oberstufe.

Einerseits ist dies die Folge eines nach wie vor steigenden Interesses von Eltern an einem längeren gemeinsamen Lernen und gleichzeitig der verbesserten bildungspolitischen Rahmenbedingungen unter einer Landesregierung „Rot-Grün“. Andererseits bereitet die Genehmigungspraxis des Ministeriums Anlass zur Sorge.

Dazu muss man wissen, dass das Schulgesetz vorsieht, die wesentliche Steuerung der Schulentwicklung den Schulträgern zu überlassen – mit all den auch in anderen Bundesländern bekannten negativen Nebenwirkungen.

Insbesondere steht die GGG der zunehmenden Genehmigung von dreizügigen integrierten Gesamtschulen kritisch gegenüber. Trotz schulfachlicher Bedenken aus den Landesbehörden genehmigt das Ministerium alles, was auf den Tisch kommt. Neben den erheblichen Bedenken gegenüber der Qualität des Bildungsangebots an dreizügigen Gesamtschulen in Konkurrenz zum Gymnasium sehen wir die Konkurrenz von neuen und bereits bestehenden IGS als kontraproduktiv für die Entwicklung unserer Schulform an. Denn die Schulträger errichten Schuleinzugsbereiche, damit die Neugründungen Schüler bekommen – zu Lasten bereits bestehender Gesamtschulen. Eltern insbesondere leistungsstarker Kinder melden bei dieser Option ihr Kind am Gymnasium an, die dreizügige Neugründung erhält ja definitiv keine eigene Oberstufe. Und in der Gesamtschule mit Oberstufe darf es nicht angemeldet werden. Für die anderen Schulformen geben Schulträger dagegen keinen Einzugsbereich vor. Die Frage nach der Schulgröße und Zügigkeit stellt sich nach Auffassung der GGG in Niedersachsen nicht unabhängig vom gesamten Schulsystem. Hätten wir flächendeckend „eine Schule für alle“, könnte man auch über kleine Systeme nachdenken. In der Konkurrenz zu anderen Schulformen muss der Blick auf die Konkurrenzfähigkeit und die Nutznießer von Schulgrößen- und Standortentscheidungen gelenkt werden.

Die GGG beklagt das fehlende Bildungsmonitoring und den fehlenden Gestaltungswillen der Landesregierung. Die Schulträger „einfach machen zu lassen“, ohne auf die Auswirkungen in einer Bildungsregion zu blicken, ist keine bildungspolitische Gestaltung, sondern eine unverantwortliche Laisse-Faire-Politik. Damit erreicht man auch keinen wie immer gearteten „Schulfrieden.“

Ein anderes Beispiel für diese „Nicht“-Politik ist die Situation im Bereich Göttingen. Hier hat der Schulträger beschlossen, neben Gymnasien nur noch Gesamtschulen zu führen. Das Ministerium lässt dies geschehen, ohne die klar vorhersagbaren Probleme (Abschulung, Umsetzung der Inklusion) zu antizipieren und den Schulträger zu Regelungen zu zwingen.

Die Gesamtschulen stemmen derzeit viel. War es je anders?

Jedenfalls gehen sie die Umsetzung der Inklusion und die Integration von Flüchtlingskindern aktiv an. Insbesondere in Ballungszentren sind die Gesamtschulen die Schulform, die Inklusion und Integration auch umsetzt. Während FDP und CDU mit Anträgen auf Führung der Förderschule Lernen und Sprache ab dem 1. Schuljahr wieder zurück zu einer kompletten Zweigleisigkeit wollen, sieht die GGG der inzwischen erkämpften, aber noch nicht rechtswirksamen Gleichstellung von Förderlehrkräften und Gesamtschullehrkräften sehnsüchtig entgegen. Bei anderen Fragen zur Inklusion sind noch Antworten offen: Warum ist für Förderlehrkräfte nicht die Gesamtschule die Dienststelle, in der sie arbeiten? Warum arbeitet man weiterhin mit Abordnungen? Wer steuert den Einsatz und wer berät?

Neben der Kritik an der grundsätzlichen Ausrichtung der Bildungspolitik in Niedersachsen musste sich die GGG – dies allerdings erfolgreich – gegen die Verschärfung der Abschlussverordnung Sek. I wehren. Und – inzwischen gemeinsam mit der Spitze des Kultusministeriums – sie setzt sich auch für die Beibehaltung der Integration der naturwissenschaftlichen Fächer ein sowie für eine Intensivierung der Fortbildungsangebote in diesem Bereich. Die GGG war schon sehr erstaunt, dass altes Fächerdenken in den Tiefen des Ministeriums erneut aus dem Hut gezogen wurde. Hinweise auf die erfolgreiche, wenn auch anspruchsvolle Praxis konnten überzeugen.

In der Region Hannover hat sich ein Netzwerk von 30 Gesamtschulen gebildet, in dem Unterrichtserfahrungen ausgetauscht, Projekte vorgestellt werden. 30 Gesamtschulen sprechen mit einer Stimme und verfolgen ambitionierte Ziele zur gemeinsamen Verbesserung von Unterrichts- und Schulqualität. Die Eröffnungsveranstaltung traf auf eine große öffentliche Resonanz.
Die GGG unterstützt weiterhin die Qualifizierung von Schulleitungsteams und interessiert mit einem jährlich stattfindenden Bildungstag alle Kollegen/-innen für brisante Themen.

Natürlich sind Gesamtschulen erste Adresse, wenn es um die Integration von Flüchtlingskindern geht. Für die sprachliche Bildung und die Integration in den Schulalltag hat die GGG in Niedersachsen eine Plattform eingerichtet, auf der inzwischen bewährte Konzepte einzelner Schulen abgerufen werden können, die diese zur Verfügung gestellt haben. Abrufbar sind die
Konzepte unter: www.ggg-niedersachsen. de unter „Sprachkonzepte“.

2017 ist Wahljahr, in Niedersachsen „fast“; Landtagswahlen finden im Januar 2018 statt. Die GGG wird sich mit Wahlprüfsteinen positionieren. Dazu mehr im nächsten Länderbericht.

RAIMUND OEHLMANN