Eine großartige Idee, wie eine gute Feedbackkultur Begabungen entdecken und entwickeln kann – Anne-Frank-Schule Bargteheide
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Begabungsförderung im Dialog
an der Anne-Frank-Schule Bargteheide
Lisa Kunze
An der Anne-Frank-Schule Bargteheide stellt der Dialog zwischen den Schülerinnen und Schülern, Eltern und Lehrkräften einen wertvollen Schlüssel zum Gelingen der Begabungsförderung dar. Er ist fest im partizipativen Beurteilungssystem dieser Gemeinschaftsschule verankert, das auf einer Kombination aus fächerübergreifender Portfolioarbeit und regelmäßigen Portfoliogesprächen beruht.
Von der 5. bis zur 10. Klasse führen die Schülerinnen und Schüler der Anne-Frank-Schule ein Lernentwicklungsportfolio, in das sie jedes Halbjahr ein Produkt aus jedem Unterrichtsfach aufnehmen. Sie können dabei zwischen vielfältigen Produktformaten wählen, sodass neben selbstverfassten Geschichten oder Plakaten beispielsweise auch Werkstücke aus dem Kunst- oder Technikunterricht, selbstkreierte Podcastfolgen aus dem Weltkundeunterricht oder Videoaufnahmen aus dem Sportunterricht Eingang in die Portfolios der Lernenden finden. Diese Produkte werden von den Schülerinnen und Schülern jeweils um ein reflexives Element ergänzt, bei dem es sich unter anderem um eine Lernlandkarte, einen Selbsteinschätzungsbogen oder eine frei formulierte Reflexion der eigenen Lernentwicklung im jeweiligen Fach handeln kann.
Für die Arbeit an ihren Portfolios erhalten die Schülerinnen und Schüler der Anne-Frank-Schule sowohl im Fachunterricht als auch im Freiarbeitsfach Forschen und Üben Zeit. In diesem Rahmen werden sie von ihren Lehrkräften bei der Portfolioarbeit individuell begleitet und bedarfsgerecht unterstützt. Die Lernenden unterstützen sich darüber hinaus auch gegenseitig, indem sie sich beispielsweise ihre Portfolios vorstellen und dazu eine Rückmeldung geben.
Halbjährliche Portfoliogespräche
Zum Ende eines jeden Halbjahres finden dann die 30-minütigen Portfoliogespräche statt, an denen neben den Schülerinnen und Schülern auch ihre Eltern und ihre beiden Klassenlehrkräfte beteiligt sind. Nach einer kurzen Begrüßungsphase beginnen diese Gespräche damit, dass die Lernenden die Produkte aus ihrem Portfolio vorstellen und darauf aufbauend eine eigene Einschätzung ihrer Leistungen und Lernfortschritte in den verschiedenen Unterrichtsfächern abgeben. An diese Selbsteinschätzung knüpfen die beiden Klassenlehrkräfte in der darauffolgenden Rückmeldephase an, in der sie den Schülerinnen und Schülern ein differenziertes und wertschätzendes Feedback geben. Auf der Grundlage ihrer eigenen Beobachtungen und den kompakten verbalen Rückmeldungen, die sie von den anderen Lehrkräften ihrer Klasse im Vorweg erhalten haben, bestätigen die Klassenlehrkräfte zutreffende Einschätzungen der Lernenden und gehen mit ihnen gemeinsam bei Bedarf auch möglichen Unterschieden zwischen der Selbst- und Fremdbeurteilung auf den Grund. Daraus entwickelt sich ein zukunftsorientierter Dialog, der der weiteren Planung des Lernens der Schülerinnen und Schüler dient und in einer Lernvereinbarung mit mehreren individuell bedeutsamen Lernzielen für das kommende Halbjahr mündet.
In der zuvor beschriebenen Form ersetzen die Portfolioarbeit und die Portfoliogespräche an der Anne-Frank-Schule von der 5. bis zur 7. Klassenstufe vollständig tradierte Zeugnisformate. Ab der 8. Klassenstufe werden sie parallel zur verpflichtenden Notenvergabe in einer leicht abgewandelten Form fortgeführt.
Für die Förderung der individuellen Begabungen der Schülerinnen und Schüler besitzt das besondere Portfoliokonzept der Anne-Frank-Schule in verschiedener Hinsicht ein großes Potenzial. Es ermöglicht es den Lehrkräften zunächst, einen differenzierten Einblick in die individuellen Stärken und Übungsbedarfe der Lernenden zu gewinnen, und trägt so zur pädagogischen Diagnostik bei. Die gewonnenen Erkenntnisse stellen zudem eine wertvolle Grundlage für die Abstimmung des Unterrichts auf die individuellen Voraussetzungen der Lernenden dar. Da an der Anne-Frank-Schule bewusst auf eine äußere Fachleistungsdifferenzierung verzichtet wird, kommen in diesem Zusammenhang bevorzugt verschiedene Formen der Binnendifferenzierung und Öffnung des Unterrichts zum Einsatz. Im Umgang mit den damit verbundenen Wahlmöglichkeiten und Gestaltungsfreiräumen kommt es den Schülerinnen und Schülern der Anne-Frank-Schule zugute, dass auch sie im Rahmen der Portfolioarbeit und der Portfoliogespräche ein detailliertes Bild von ihren eigenen Fähigkeiten, Interessen und Zielen gewinnen. Über den schulischen Kontext hinaus ist dies unter anderem auch für die Wahl eines ihren Begabungen entsprechenden Berufs hilfreich. Die Eltern erhalten durch die Portfoliogespräche schließlich ebenfalls einen anschaulichen Einblick in die schulische Lernentwicklung ihres Kindes und werden dadurch in die Lage versetzt, es von häuslicher Seite aus noch erfolgreicher zu unterstützen.
Begabungsförderliche Maßnahmen mit allen Beteiligten beraten
Zusätzlich bieten die Portfoliogespräche den Schülerinnen und Schülern, Eltern und Lehrkräften einen geeigneten Rahmen dafür, gemeinsam über begabungsförderliche Maßnahmen zu beraten, die über den fachlichen Unterricht hinausgehen. In diesen Gesprächen kann so beispielsweise die Verwirklichung anspruchsvoller Projekte im Freiarbeitsfach Forschen und Üben in die Wege geleitet werden. Es ist den Lehrkräften in diesem Rahmen außerdem möglich, die Lernenden und ihre Eltern über fest in den Ganztagsbetrieb integrierte AG-Angebote und Projekte zu informieren, die der Förderung verschiedener Begabungen und Interessen dienen. Diese reichen vom kreativen Schreiben über sportliche Angebote bis hin zum naturwissenschaftlichen Experimentieren. Darüber hinaus bietet die Anne-Frank-Schule als Kompetenzzentrum für Begabungsförderung auch verschiedene Enrichment-Angebote an, über die in den Portfoliogesprächen ebenfalls gemeinsam beraten werden kann. Das Gleiche gilt auch für weitere begabungsförderliche Angebote wie die digitale Drehtür, das Schülerforschungszentrum oder das Team der Schülerpaten, das herausfordernde Projekte wie die Entwicklung eines Escape Games für die Schulgemeinschaft verfolgt.
Die Anne-Frank-Schule bietet ihren Schülerinnen und Schülern somit vielfältige Möglichkeiten dazu, ihr individuelles Potenzial zu entfalten, und die dialogbasierte Leistungsbeurteilung mit Portfolios trägt dazu bei, dass die Lernenden auch dazu bereit und in der Lage sind, diese Möglichkeiten verantwortungsvoll zu nutzen. Aus der langjährigen wissenschaftlichen Evaluation der dialogbasierten Leistungsbeurteilung durch die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel geht so beispielsweise hervor, dass das besondere Portfoliokonzept der Anne-Frank-Schule die intrinsische Motivation und die Lernzielorientierung der Schülerinnen und Schüler fördert. Sie unterstützt die Lernenden zudem bei der Entwicklung eines differenzierten Selbstkonzepts und einer positiven Selbstwirksamkeitserwartung, die für die erfolgreiche Bewältigung von herausfordernden Lern- und Leistungssituationen von zentraler Bedeutung ist. Zusätzlich dazu fördern die Portfolioarbeit und die Portfoliogespräche wertvolle überfachliche Kompetenzen wie die Selbstbeurteilungskompetenz oder Fähigkeiten aus dem Bereich des selbstregulierten Lernens, die den Schülerinnen und Schülern sowohl während ihrer Schulzeit als auch darüber hinaus zugutekommen. Schließlich stärken die Portfoliogespräche auch die Beziehungen zwischen den Beteiligten sowie die Kooperation zwischen Schule und Elternhaus.
Angesichts dieser vielfältigen Vorteile wurde die dialogbasierte Leistungsbeurteilung mit Portfolios im Jahr 2023 in die Zeugnisverordnung des Landes Schleswig-Holstein aufgenommen, sodass dieses partizipative Beurteilungssystem fortan von allen interessierten Gemeinschaftsschulen in diesem Bundesland mit einem zustimmenden Schulkonferenzbeschluss eingeführt werden kann.
Online-Tipp: Ein sehenswerter Kurzfilm und weitere Informationen zum Portfoliokonzept der Anne-Frank-Schule Bargteheide sind unter dem folgenden Link zu finden:
https://deutsches-schulportal.de/konzepte/portfolio-dialogische-form-der-leistungsbeurteilung/
Weitere Informationen: Anne-Frank-Schule Bargteheide
Artikel aus Die Schule für alle Heft 2024/4