Frank Hilbig und Hans-Peter Kirsten-Schmidt „… es hat sich gelohnt“
Das Projekt Die Zukunft gehört den Neuen ist eine der Antworten der GGG-Hessen auf den sich abzeichnenden Schulleiter/innen- Mangel in den nächsten Jahren. Völlig neu bei diesem Projektansatz ist die gemeinsame Fortbildung von Schulleiter/innen und Lehrer/innen, die sich auf den Weg in eine Schulleiter/in-Funktion machen. Alle Teilnehmer/ innen stellten bei sich große Lernfortschritte fest. Die Lehrer/innen führten für sich ausnahmslos die Klärung der Frage herbei, ob sie auf eine Schulleiter/innen-Rolle hinarbeiten wollen.
Das Fortbildungsprojekt
Dem drohenden Mangel kann unter anderem dadurch begegnet werden, dass einerseits erfahrene Schulleiter/innen motiviert werden, ihre „besten“ Kolleg/innen zu ermuntern und auf deren Entwicklungsweg zu begleiten und andererseits, diese Kolleg/innen in ihrem Entscheidungsprozess zu unterstützen. Diese Fortbildungsreihe, die als Pilotprojekt für die GGG durch den LV Hessen konzipiert und von Januar 2010 bis Mai 2011 durchgeführt wurde, berücksichtigt in besonderem Maße die Aspekte: IGS-Spezifika, Vernetzung der Schulleiter/innen und für die Kolleg/innen, ein Höchstmaß an Reflexion über die eigene Rolle, die eigenen Ziele und das eigene Verhalten.
Jedem der Teilnehmer/innen war spätestens am Ende der Reihe in der Evaluationsphase klar, welche Rolle in Schulleitung er/sie als nächstes anstreben wollte – und welche nicht. Damit sind die Basis und auch eine außergewöhnliche Voraussetzung dafür geschaffen, mehr Kolleg/innen für die Rolle des/der Schulleiters/in zu begeistern und vorzubereiten. Didaktischer Aufbau und Lernformate orientierten sich konsequent einerseits an den Spezifika von IGS (Vielfalt, individuelles Lernen, Schule als lernendes System, Personal- und Schulentwicklung als integraler Führungsbestandteil) und andererseits an den Zielen des Projektes. In den inhaltlichen Bausteinen erarbeiten sich die Teilnehmer, die wir Clients nennen, mit erfahrenen Fortbildnern die spezifischen Anforderungen an einer IGS und reflektieren diese in Vertiefungsmodulen mit erfahrenen Coaches. Individuelle Arbeitsphasen, face-to-face-Reflexionen mit einem Coach oder einer/m erfahrenen Schulleiter/in, Gruppenarbeitsphasen und Gruppenreflexionen bilden den Lernraum, innerhalb dessen jeder seine individuellen Erkenntnisse konstruiert. Ein inhaltlicher Schwerpunkt wurde sehr früh erarbeitet: Das Erkennen und Reflektieren der eigenen Inneren Haltung, der damit einhergehenden Bewertungs- und daraus folgenden Verhaltensmuster. In der zweiten Hälfte der Reihe bildete die Selbsterfahrung der Auswirkung der Inneren Haltung auf die eigene Führungswirkung einen der Höhepunkte für alle Clients. Die Schulleiter der teilnehmenden Schulen übernahmen die Rolle eines Mentors für einzelne Kolleg/ innen zwischen den Bausteinen, nahmen an den inhaltlichen Erarbeitungsphasen teil und vernetzten sich dadurch untereinander. Der angenehme Nebeneffekt für Mentoren wurde schnell deutlich: Sie wurden durch die erlaubten „einfachen“ Fragen der Teilnehmer zur eigenen Reflexion über ihr Handeln angeregt und konnten sich gleichzeitig ein sehr gutes Bild von neuen hochmotivierten und kompetenten Führungskräften in spe machen. Der außergewöhnliche Effekt dieser Fortbildungsreihe wurde auch durch die klare Zuordnung und kompetente Besetzung der verschiedenen Rollen erreicht: Gesamtprozessverantwortung lag beim Fortbildungsbeauftragten, Formate und Aufbau der Bausteine erfolgte durch erfahrene Moderatoren und Fortbildner, On-the-job-Erfahrungswerte und fachliche Beratung brachten die erfahrenen Schulleiter/innen ein, individuelle Klärungen und Entwicklungen wurden durch ausgebildete Coaches sichergestellt.
Die Inhalte
Über den ersten Teil des Projektes haben wir bereits im GGG-Journal 4/2010 berichtet, nachzulesen auch unter www.ggg-bund. de. Dabei haben wir die bis zu diesem Zeitpunkt durchgeführten Themen dargestellt:
- Selbstverständnis und innere Haltung n Professionelle Führung
- Analyse der eigenen Führungswirkung n Prozesse mit Vertiefung der Konferenzszenarien
- Schulentwicklung mit dem Schwerpunkt Personalentwicklung. Im letzten Drittel behandelten wir noch die beiden inhaltlichen Themen
- Außendarstellung mit dem Schwerpunkt der persönlichen Wirkungsform und
- Gesamtreflexion des eigenen Lernweges und der Fortbildungsreihe
Außendarstellung mit dem Schwerpunkt der persönlichen Wirkungsform
Wir hatten uns entschlossen, diese Veranstaltung nicht auf die Teilnehmer/innen der Fortbildungsreihe zu beschränken, sondern sie ausdrücklich für die Lehrer/innen und Schulleiter/innen der hessischen IGSn zu öffnen, um Einblicke in das Projekt zu ermöglichen. Kolleg/innen verschiedener Gesamtschulen nutzten diese Gelegenheit, als „Gäste“ eine besondere Fortbildung zu besuchen und gleichzeitig einen Einblick in das Projekt zu erhalten. Ingrid Franke aus Berlin moderierte Außendarstellung mit dem Schwerpunkt der persönlichen Wirkungsform und führte mit folgenden Thesen ein: „Schulleiter/innen führen Gespräche, moderieren Gruppen, treten vor Gremien auf. Dabei werden sie nicht nur nach dem bewertet und eingeschätzt, was sie sagen, sondern vor allem nach dem, was sie nicht sagen. Ihre Körpersprache und ihre Stimme unterstützen die Argumente oder können ihnen widersprechen. Die Beobachter machen sich ein Bild von der/m Schulleiter/in, das möglicherweise nicht dem entspricht, was sie/er vermitteln möchte. Innovative, reformorientierte Schulleiter/ innen müssen authentisch sein, um erfolgreich zu wirken. Sie brauchen Gewissheit, wie sie auf andere wirken. Wer authentisch auftritt, strahlt ein angenehmes Selbstbewusstsein aus. Nicht der Inhalt (7%), sondern die nonverbalen Signale wie Körpersprache und Stimme/Stimmklang machen einen wesentlichen Teil der Kommunikation aus.“ Ingrid Franke versprach: „In diesem Workshop können Sie erfahren:
- Was hindert mich daran, meine körperlichen Ausdruckspotentiale vollständig auszuschöpfen und wie kann ich meinen körperlichen und stimmlichen Ausdruck verbessern?
- Wie wirke ich kompetent, zuverlässig, sympathisch? n Wie gestalte ich mit Sprache?
- Wie unterstützt mein Körper das, was ich sagen will?
- Wie mache ich mir die Körpersprache zunutze, um das zu vermitteln, was ich ausstrahlen möchte?
- Wie gewöhne ich mir nicht förderliche Signale des Körpers ab?“
Sie orientierte sich an Michael Grinder: „Führen durch Charisma …“ und erläuterte dessen vier Stadien des Lernens:
- Unbewusste Inkompetenz
- Bewusste Inkompetenz
- Bewusste Kompetenz
- Unbewusste Kompetenz
Da die Leser/innen des GGG-Journals durchweg zu den versierten Lenker/innen von Kraftfahrzeugen gehören, mögen sie sich selbst an das Durchlaufen der ersten drei Stadien erinnern, bis sie zu ihrer heutigen Stufe der unbewusste Kompetenz gekommen sind, in der Gas wegnehmen – auskuppeln – schalten – allmählich einkuppeln – Gas geben so automatisch erfolgen, dass nach einer schwierigen Stadtdurchfahrt keine Erinnerung an die vielen Schaltvorgänge mehr bleibt. In Michael Grinders Hunde-Katzen-Analogie werden Hunde als eher kooperative Personen bezeichnet und Katzen sollen zu den eher nicht kooperativen Personen gehören. Überträgt man diese Analogie auf ein Lehrerkollegium, so merkt man bald, dass beide Typen für eine gute Entwicklung dringend notwendig sind. Geht man dann in Grinders Details, so ergeben sich manche Hinweise in Körpersprache und Stimme/ Stimmlage, die auch dann aufschlussreich sind, wenn man sie nicht unbedingt mit den beiden Tierarten verbinden möchte. Die nachfolgende Diskussion spiegelte den individuellen Transfer in das tägliche Arbeiten wider. Ob in Konferenzen, in schwierigen Gesprächen mit Kolleg/innen oder Eltern oder eben in Ansprachen und Reden – jede/r Teilnehmer/in reflektierte eigene beobachtete Verhalten vor den Erkenntnissen der inhaltlichen Präsentation, erkannte eigene Stärken und Schwächen und konstruierte seine Entwicklungsschritte. Der Erfolg dieser Veranstaltung spiegelt sich auch in den Rückmeldungen wider, von denen hier einige zitiert werden:
- Facettenreiche Veranstaltung
- I. F. hat vielfältige Kompetenzen, das kam mir sehr entgegen
- Ich erhielt wichtige Anregungen, vor allem zur Körpersprache
- Als „Gast“ erfuhr ich offenherzige Aufnahme in die Gruppe
- Es war eine anstößige Veranstaltung, d. h. sie gab mir viele Anstöße n Ich nehme persönlich sehr viel mit n Diese Fortbildung macht mich als SL gelassener
- Die soziale Kompetenz der Gruppe ist hoch (Gast) n Hund & Katze war hoch interessant
- Herzlichen Dank!
Gesamtreflexion des eigenen Lernweges
Die Clients wurden von uns aufgefordert, ihren sehr persönlichen Lernweg zu reflektieren. Dazu erhielten sie Satzanfänge zur individuellen Bearbeitung. Sie haben diese Anregungen gern aufgegriffen und sehr persönlich gefärbte Rückmeldungen abgeliefert. Diese wurden dann in einer gemeinsamen Sitzung gesichtet und daraus die allgemeingültigen Aussagen herausgefiltert. Dazu seien aus der Zusammenfassung einige Rückmeldungen zitiert:
Wenn ich mich vergleiche mit mir beim Start Ende 2009 und heute, so …
- war und ist eine wichtige und zentrale Erkenntnis für mich, dass der Weg und die ständige Reflexion das Eigentliche und Wichtige sind, und nicht das Ziel, „anzukommen", denn dann herrscht Stillstand,
- traten auch unbeachtete Aspekte meines Tun und Handelns in den Fokus,
- stelle ich einen reflektierteren Umgang mit mir selbst und meinem Gegenüber fest.
In meinem beruflichen Alltag musste ich plötzlich an hier Gelerntes denken, als …
- das „gelernte Handwerkszeug" (mehrfache Nennung) mir dabei half, ein Konfliktgespräch zu führen und erfolgreich zu beenden,
- ich ständig Möglichkeiten entdecke, Gelerntes bewusster anzuwenden und zu reflektieren (mehrfache Nennung),
- ich mir meiner Haltung stärker bewusst bin (mehrfache Nennung).
Meine Reflexionsfähigkeit würde ich heute so beschreiben …
- Meine Reflexionsfähigkeit ist heute „erweitert", sie ist heute differenzierter und durch erlernte Strategien wesentlich effizienter, vieles geschieht bewusster. Nachdenken" müssen wir immer und ständig, es ist unser „Kerngeschäft“,
- Aktives zuhören – aufnehmen – wirken lassen – sich austauschen – Schlüsse und Gewinn aus Erkenntnissen ziehen.
- Manchmal schaffe ich es, die Dinge auf eine Metaebene zu heben und zu fragen: Warum ist das so?
Besonders betont wurde die Zusammenarbeit Client Mentor, da diese aufzeigte, dass Schule führen Spaß macht. Die vertrauliche Reflexionsmöglichkeit mit einer erfahrenen Führungskraft wurde als intensiv, offen, bereichernd und konstruktiv, als ein gegenseitiges Geben und Nehmen empfunden. Dabei wurden Schulleiter/ innen als Menschen erlebt, die ihre inneren Haltungen und Überzeugungen deutlich machen, weit über die eigenen Schule und damit das eigene System hinaus. Unser Ansatz der gemeinsamen Fortbildung von Schulleiter/innen und Lehrkräften, die sich auf den Weg in eine Führungsfunktion machen, hat sich bestätigt und soll auch zukünftig ein Wesensmerkmal unserer Fortbildung sein. Dass an dem Prozess auch die Referent/ innen ihren Anteil haben, erkannten die Teilnehmer/innen mit Worten an wie: n der wertschätzende, intensive und individuelle Umgang mit uns Clients hat mich in meiner Entwicklung maßgeblich beeinflusst,
- die Referentinnen und Referenten habe ich als sehr authentisch erlebt,
- Anleitung zu selbsttätiger Entwicklung – ein sehr nachhaltiges Konzept,
- auch wenn ich manchmal gestresst zu einer Veranstaltung kam, fuhr ich immer mit einem Koffer voller Anregungen und mit einem guten Gefühl nach Hause.
Die Teilnehmer/innen dankten der GGG Hessen für diese etwas andere „Führungskräfteschulung“ und für den „ungeheuren Einsatz der Vorbereitenden, Mentor/innen, Coaches und Referent/innen!“ Sie forderten, die Reihe unbedingt fortzuführen und auszubauen, da der individuelle Lernzuwachs sehr hoch, die persönliche Klärung deutlich und klar und „die Atmosphäre stets sehr angenehm war, getragen von gegenseitigem Respekt und von Wertschätzung“.
Resümee und Ausblick
Die Rückmeldungen der Teilnehmer und der Schulleiter/innen sowie die Diskussionen in der BAG-Schulleiter/innen bestärken uns darin, mit Beginn des Schuljahres 2011/12 die zweite Runde dieses Projektes zu starten.
Die Erkenntnisse des ersten Durchlaufes werden zu leichten Veränderungen führen – das Konzept als solches hat sich durchweg als zwar ungewöhnlich, gleichwohl aber außerordentlich erfolgreich gezeigt. Weitere Landesverbände können unseren Erfahrungen für ähnliche Projekte nutzen. Dabei lebt das Projekt von dem Engagement der Teilnehmer/innen, einer konsequenten Prozessorientierung und einer professionellen, teilnehmerzentrierten Durchführung.
Die GGG leistet damit einen konkreten, aktiven und zählbaren Beitrag, dem sich verstärkenden Mangel an Schulleiter/innen mit dem Schwerpunkt der IGS entgegen zu treten.