Länderbericht 2006/4
Kurz vor den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus traten einige laut vernehmliche Stimmen aus den Reihen der Grünen mit der überraschenden Forderung nach der Zweigliedrigkeit des Schulsystems auf. Die Gymnasien sollten unangetastet bleiben. Haupt-, Realschulen und Gesamtschulen ohne gymnasiale Oberstufe sollten nach Brandenburger
Vorbild zu Oberschulen werden, jedenfalls zu einer Schule, die sich am Mittleren Schulabschluss orientiert. Die Gesamtschulen mit Oberstufe bekommen noch einen Bestandsschutz und sind eigentlich ein Fremdkörper im System. Die Aussage, dass die eine Schule für alle, so die Beschlusslage der Parteigremien, als Ziel nicht aufgegeben wird, hätte bei einer Realisierung keine Bedeutung für die nächsten Legislaturperioden.
Die Linken gingen mit einer Aussage für einen Einstieg in eine integrative Schule für alle (in Anlehung an die Diskussion in anderen Bundesländern „Gemeinschaftschule“ genannt) in den Wahlkampf. Nach ihrer Vorstellung soll durch Einbeziehung aller Schularten (Primar- und Sekundarschulen) in den Einstieg für ein stärker integratives Schulsystem Bewegung in die Schulszene kommen. Schulen, die sich auf den Weg begeben wollen, sollen Ausstattungsvorteile erhalten.
Im Wahlkampf der SPD spielte das Thema der Schulstruktur eine Nebenrolle. Für etwas Irritation sorgte die Aussage von Klaus Wowereit, dass es eine „Einheitsschule“ mit ihm nicht geben werden.
Gleichzeitig hat die GEW Berlin (genauer die Fachgruppe Realschulen) einen „Runden Tisch Gemeinschaftsschule“ ins Leben gerufen. Er beschäftigt sich intensiv mit den Möglichkeiten der Etablierung eines integrativen Schulsystems unter Einbziehung aller bestehenden Schularten. An diesem Runden Tisch, der sich bereits ein längerfristiges Arbeitsprogramm gegeben hat, nehmen Vertreter aus den verschiedenen Schularten, Organisationen und Parteien (SPD, Linke, Grüne) teil.
In den Koalitionsverhandlungen ist das Thema Einstieg in die integrative Schule (Gemeinschaftsschule) eines der zentralen Themen. Die Übereinstimmung mit der SPD ist weitgehend gesichert, da die Ideen praktisch mit den Beschlüssen der letzten SPD-Parteitage übereinstimmen. Eine Wissenschaftliche Begleitung ist vereinbart. Neben diesem Thema sind das beitragsfreie letzte Kita-Jahr vor der Schule, sowie eine veränderte Lehrerbedarfsfeststellung (Nicheinberechnung der Langfristkranken) Gegenstand der Koalitionsgespräche. Zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses war noch nicht endgültig abzusehen, wie sich das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes über die Landesfinanzen auf die Vorhaben tatsächlich auswirken wird. Aus Kreisen des Senats und der Koalitionsverhandler wird jedenfalls in ersten Stellungnahmen auf den hohen Stellenwert der Bildung bei der künftigen Politikgestaltung hingewiesen.
Lothar Sack