Länderbericht 2009/4
Die Diskussion um die (Zwei-)Gliedrigkeit der Berliner Schule hat ihre Fortsetzung in einem Gesetzesentwurf aus dem Hause Zöllner gefunden, der derzeit vom Parlament beraten wird. Die Zweite Lesung soll im Dezember stattfinden, die Dritte und abschließende im Januar 2010. Durch die parlamentarische Anhörung am 05. Oktober – wieder unter Beteiligung der GGG – war etwas Verunsicherung in die Debatte gekommen; es schien für einen Moment so, als ob das
Probejahr am Gymnasium vermieden werden könnte. Die Mehrheit der SPD-Fraktion hat dann aber im Wesentlichen gegen die Voten ihrer Bildungspolitiker die Beibehaltung der exklusiven Position des Gymnasiums unter Berufung auf das Elternwahlrecht gewollt. Das Gymnasium ist künftig die einzige Schulform, die vom ehemals gegliederten Schulsystem übrig bleibt. Die besondere Aufgabe dieses Schultyps neben einer Schule für alle, die zu allen Abschlüssen führt, wird nicht formuliert, allerdings wird ein großes Bohei gemacht, um den integrativ arbeitenden Teil des Schulsystems – Grundschule, integrierte Sekundarschule – in die Durchsetzung der Interessen der Gymnasialklientel einzuspannen:
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Die Arbeit der Grundschule bleibt weiterhin belastet:
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Die Arbeit der Grundschulen wird durch die auf Selektion ausgerichtete "Förderprognose" wieder in die selektive Richtung gedrängt: Zwar wurde vor Kurzem durch einen schnellen Parlamentsbeschluss das Oberschulgutachten abgeschafft, das die Grundschulen zu erstellen hatten; im Gesetzentwurf lebt es aber wieder auf unter der Bezeichnung "Verbindliches Beratungsgespräch mit schriftlicher Förderprognose der Klassenkonferenz". Die ehemaligen Paragraphen wurden wieder in den Gesetzentwurf aufgenommen, lediglich das Wort Oberschulgutachten wurde durch die neue Formulierung ersetzt.
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Die Arbeit der Grundschulen wird gestört bis hin zu notwendig werdenden Klassenzusammenlegungen: Die grundständigen Gymnasien (Beginn in Jahrgang 5), deren Zahl im letzten Jahrzehnt stark zugenommen hat (Bonner Beamtenkinder!) bleiben unangetastet, werden aber eingefroren (wie lange?). Auf die eintretende Verkleinerung der Grundschulklassen muss unter Umständen durch Klassenzusammenlegungen reagiert werden. Nach wie vor müssen die Grundschulen die für ungeeignet gehaltenen, des Gymnasiums verwiesenen Schüler wieder aufnehmen. Die Ergebnisse der Re-Analyse der Element-Studie, die die Begründung für die frühe Trennung widerlegen, bleiben unbeachtet.
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Die "Gleichwertigkeit" von Gymnasium und integrierter Sekundarschule sieht jetzt so aus:
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Für das Gymnasium soll in der Regel A12 (Abitur nach 12 Schuljahren) gelten, für die Sekundarschule in der Regel A13, aber auch A12 möglich sein.
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In der Sekundarschule wird es kein Sitzenbleiben geben, wohl aber im Gymnasium (also doch A13 auch am Gymnasium?)
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Derzeit ist der Stundenumfang bei Gymnasium, Gesamtschule und Realschule gleich Mit der A12/A13-Begründung soll für die integrierte Sekundarschule die Stundentafel gegenüber dem Gymnasium gekürzt werden. Der Senator sieht dadurch die Chancen für den Mittleren Schulabschluss und für A12 an den Sekundarschulen nicht beeinträchtigt.
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Die Sekundarschulen sollen Ganztagsschulen werden, bei den Gymnasien pro Bezirk eines. Allerdings wird die Stundentafelkürzung nicht durch eine entsprechende Erhöhung des Ganztagszuschlages personell ausgeglichen. Für die jetzigen Gesamtschulen ergibt sich dadurch eine verschlechterte Personalausstattung. (Bei der Stundentafelerhöhung vor einigen Jahren war mit der entsprechenden Begründung die Ganztagsausstattung gekürzt worden.)
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Die Sekundarschulen sollen in der Regel mindestens vierzügig, die Gymnasien dreizügig sein.
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Das Aufnahmeverfahren bei Übernachfrage von Schulplätzen wird in beiden Schularten der Sekundarstufe nach einem formal gleichen Verfahren – Mischung aus Auswahl durch die Schule und Losverfahren – durchgeführt. Allerdings werden Schüler, die die Versetzung in die Klasse 8 nicht schaffen, des Gymnasiums verwiesen. (Nach Klasse 8 ist ein Verweis vom Gymnasium wegen schlechter Leistungen nicht mehr möglich.) Die Sekundarschule wird die verwiesenen Schüler aufnehmen müssen. Wie die Sekundarschule dies bewerkstelligen soll, ist nicht durchdacht: Minderfrequenz im 7 Schuljahr, um in den bestehenden Klassen freie Plätze zu haben (dafür zum Ausgleich Überfrequenzen ab Jahrgang 8?) oder Bündelung der Gymnasial-Verwiesenen in neu zu bildenden Klassen? In jedem Fall hat die Sekundarschule die Nachteile für das Nicht-Übernehmen von Verantwortung des Gymnasiums für die aufgenommenen Schüler zu tragen.
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Wenn man sich die verkündete Zielsetzung des Strukturumbaus ansieht – Verringerung des Zusammenhangs zwischen Herkunft und Schulerfolg, weniger Schulabbrecher, mehr Abiturienten, Förderung von Migranten und schließlich, wenn auch halbherzig, die Integration Behinderter –, dann sind dies Ziele, deren Umsetzung am Gymnasium vorbei gehen, jedenfalls wenn es seine exklusive Funktion behält. Der wörtliche Gegensatz zu inklusiv ist bewusst gemeint. Die integrierte Sekundarschule soll es allein richten.
Insgesamt wird die „Reform“ zwar Schritte in die richtige Richtung bringen – Abschaffung der Hauptschule, jede Abschlussoption für jeden Schüler, keine Abschulung im Gymnasium ab Klasse 8 –, als großer Wurf kann sie allerdings nicht gelten. Und so bleibt die Absichtserklärung von Senat und Abgeordnetenhaus, ein Schulsystem ohne Aussonderung schaffen zu wollen, noch eine Weile auf dem Papier. Der Gesetzentwurf ist im Internet zu finden unter www.parlament-berlin.de/ados/16/IIIPlen/vorgang/d16-2624.pdf
Lothar Sack