In Hamburg ist 2010 die Zweigliedrigkeit mit Stadtteilschule und Gymnasium eingeführt worden. Zur Stärkung der Stadtteilschulen wurden die Klassenfrequenzen deutlich gesenkt und allen Stadtteilschulen die Option auf eine dreijährige Oberstufe ermöglicht. Gleichzeitig wurde für die Gymnasien eine zweijährige Beobachtungsstufe in den Jahrgängen 5/6 festgeschrieben, ab Klasse 7 jedoch soll es auch an den Gymnasien, die anders als die Stadtteilschulen in 8 Jahren zum Abitur führen, kein Sitzenbleiben und keine Abschulung mehr geben.
Inzwischen liegen erste Erfahrungen vor: Bei den letzten beiden Anmeldezeitpunkten 2011 und 2012 meldeten durchschnittlich 53 % der Eltern ihr Kind an einem Gymnasium und 46 % an einer Stadtteilschule an. Nach der Zeit der Beobachtungsstufe am Gymnasium sind die Übergänge von Klasse 6 in Klasse 7 der Stadtteilschule mit 488 Schüler/innen und Schüler (ca. 8 % aller Schülerinnen des gymnasialen Jahrgangs) beträchtlich gewesen. Die Schulformwechsler belasten die Stadtteilschulen in erheblichem Maße, viele Klassen waren bereits bei Höchstfrequenz, die dann überschritten werden musste. Zusätzlich mussten kurzfristig auch neue Klassen eingerichtet werden.
Und: Im Dezember des vergangenen Jahres kündigte Schulsenator Rabe an, dass bereits in diesem Schuljahr der Wechsel von Klasse 10 des Gymnasiums in Klasse 11 der Stadtteilschule möglich sein soll. Der Besuch der dreijährigen Oberstufe ermöglicht damit auch (ehemaligen) Gymnasialschülern einen neunjährigen Bildungsgang bis zum Abitur. Es ist offen, wie sich diese Wechselmöglichkeit auf die Entwicklung der Oberstufen der Stadtteilschulen auswirken wird.
Vor dem Hintergrund der quantitativen Entwicklung sind große Anstrengungen nötig, um zu verhindern, dass aus der Zweigliedrigkeit eine Zweitrangigkeit der Stadtteilschule wird.
So ist das Problem, dass es erhebliche soziale Disparitäten zwischen den Stadtteilen gibt und die Unterschiede in den sozialen Lagen zwischen den Schulen immens sind, inzwischen bei der Politik „angekommen“. Im Schuljahr 2013/2014 werden flächendeckend alle Stadtteilschulen Ganztagsschulen sein. Dies ist ein wichtiger Schritt, der allerdings verbunden ist mit schwierigen äußeren Rahmenbedingungen: Viele Stadtteilschulen haben zwei und mehr Standorte und viele Stadtteilschulen stehen vor erheblichen räumlichen Engpässen. Die Bau- und Sanierungsbedarfe sind anerkannt, aber in den letzten Jahren nicht in Angriff genommen oder nicht in dem erforderlichen Tempo vorangetrieben worden. Die Lösung der Raum- und Baufragen ist für die Stadtteilschulen existentiell.
Nach wie vor wird auch der Frage der Steuerung von Schülerströmen eine zu geringe Bedeutung zugemessen. So bleibt die Inklusion eine Herausforderung für die Stadtteilschulen allein und verstärkt die Ungleichgewichte erheblich. Es gibt Stadtteilschulen mit Anteilen von Förderkindern von 2 %, andere erreichen Spitzenwerte von bis zu 30 %, insbesondere die Schulen, die in sozialen Brennpunkten liegen.
Beim Herbstempfang der Schulleiter/innen der Stadtteilschulen hat Norbert Maritzen, Leiter des Instituts für Bildungsmonitoring, eine datengestützte Analyse vorgelegt, die die sozialen Disparitäten der Schulen und die damit verbundenen Probleme der Stadt deutlich beschreibt . Wenig später, im Dezember 2012, haben die Schulleiter/innen der Schulen im Süden der Stadt einen „Brandbrief“ mit dem Titel „Bildungsnotstand – die Schulleitungen der Elbinseln warnen vor Deichbruch“ verfasst, der eine Bildungsoffensive für die Elbinseln (und damit für die sozialen Brennpunkte in der Stadt) einfordert.
Senator Rabe hatte bereits zu Beginn des Schuljahres Arbeitsgruppen für die „Starkstellung“ der Stadtteilschulen einrichten lassen. In diesen Arbeitsgruppen sind Schulleitungen der Stadtteilschulen eingebunden. Der Zeitplan für diese Arbeitsgruppen ist ambitioniert: Schon im Frühjahr 2013 sollen erste Ergebnisse, im Herbst soll dann das Gesamtkonzept vorgelegt werden.
Der Landesverband Hamburg wird im Februar eine Veranstaltung zum Thema Schul(um)bau – Pädagogische Architektur in Kooperation mit der Behörde für Schule und Berufsbildung durchführen. Hierfür haben wir den Vorstand der renommierten Montag-Stiftung, Dr. Karl-Heinz Imhäuser, gewinnen können. Die Veranstaltung soll die Schulen anregen und bestärken, ihre pädagogischen Vorstellungen und die daraus folgenden spezifischen Bedarfe in die längst überfällige Bauplanung der Stadtteilschulen einzubringen.
Barbara Riekmann