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Länderbericht NRW 2020-10

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GGG NRW und SLV GE NRW: Untersuchung 2020 zu Bildungskarrieren, Schulerfolg und Leistung der Schulformen

Im Jahr 2009 haben GGG NRW und SLV GE NRW im Rahmen einer Untersuchung zu den Schulformempfehlungen der damaligen Abiturient*innen die Fragwürdigkeit solcher Empfehlungen hinsichtlich ihres Prognosewerts nachgewiesen. Vieles hat sich seit 2009 verändert, die Daten werden häufig zitiert und bedürfen einer Aktualisierung.

 

Anfang 2020 wurden die Gesamtschulen mit der Bitte angeschrieben, die Daten ihrer Abiturienten*innen für eine neue Erhebung zur Verfügung zu stellen. 229 von 345 Gesamtschulen führen derzeit Schüler*innen in der Jahrgangsstufe Q2, die übrigen Schulen sind später gegründet worden und noch im Aufbau. 96 dieser Schulen haben geantwortet. Das entspricht einer Teilnahmequote von 42% aller Abiturienten*innen an Gesamtschulen.

Die wichtigsten Ergebnisse:

Die Grundschulempfehlungen haben keinen prognostischen Wert.

Noch deutlicher als im Jahr 2009 zeigt sich im Jahr 2020 der geringe Prognosewert der Grundschulempfehlungen: nur 21% der Abiturient*innen an Gesamtschulen waren am Ende ihrer Klasse 4 als gymnasial-geeignet prognostiziert. 79% der Abiturienten*innen hatten eine andere Prognose und erreichten ihr Abitur entgegen der Empfehlung.

Auffällig sind die gesunkenen Werte für die Hauptschul- und die Gymnasialempfehlung.

 

HA

RS

GY

2009

17,8%

52,2%

29,5%

2020

14,8%

64,1%

21,1%

 

Festzustellen ist eine deutliche Spreizung dieses Mittelwerts beim Vergleich der Gymnasialempfohlenen je nach Standort. Besonders hervorstechend ist mit 13,9% die niedrige Quote der Gymnasialempfehlungen an sogenannten Brennpunktschulen: Hier werden die speziellen Herausforderungen dieser Schulen sowie die hervorragenden Leistungen dieser Schulen bei der Förderung ihrer Schüler*innen besonders deutlich.

Kinder mit Migrationshintergrund werden zusätzlich benachteiligt

Für die Abiturienten*innen des Jahrgangs 2020 mit Migrationshintergrund ergibt sich eine noch deutlichere Fehleinschätzung ihrer Fähigkeiten im 4. Schuljahr. Nur 11% der Abiturienten*innen mit Migrationshintergrund wurde die Prognose GY zuerkannt. Es ist ein großer Erfolg dieser Jugendlichen und der Schulform, wenn 89% trotz „nur“ einer Haupt- oder Realschulempfehlung den letzten Jahrgang der Oberstufe besuchen.

Das System der Abschulung benachteiligt die Schul(form)wechsler*innen aus Gymnasien

Jährlich haben in der Sekundarstufe I 910 Schüler*innen vom Gymnasium zur Gesamtschule gewechselt. Man kann davon ausgehen, dass die überwiegende Mehrheit dieser Übergänger abgeschult wurde. Von den 910 Schulformwechslern haben 47% entgegen der Prognose der Gymnasien das Abitur erreicht.

Das Ergebnis wirft ein besonderes Licht auf die Abschulungspraxis der Gymnasien und deren Validität. Eine Kultur des Behaltens wäre ein wichtiger Schritt, um dieser Benachteiligung vieler Schüler*innen vorzubeugen und Fehlentscheidungen zu vermeiden.

Die vorliegendeln Daten und Ergebnisse weisen nach, dass ...

  • die Schulformempfehlung als prognostisches Instrument untauglich ist,

  • der Übergang von den Grundschulen zu den weiterführenden Schulen sozial selektiv ist und Schüler*innen aus sozial nicht privilegierten Schichten benachteiligt,

  • die Zuweisung der Schüler*innen zu verschiedenen Schulformen nach dem 4. Schuljahr zumindest zu früh erfolgt,

  • im integrierten Schulsystem vielen Schüler*innen eine erhöhte Bildungsteilhabe ermöglicht wird,

  • den integrierten Schulen eine Förderung der Schüler *innen in einem besonderen Maße gelingt,

  • Lernen an Gesamtschulen in leistungsheterogenen Lerngruppen leistungsschwächere Schüler*innen stärkt, ohne leistungsstärkere Schüler*innen zu hemmen.

GGG NRW und SLV-GE-NRW empfehlen darum dringend ...

  • die Abschaffung der Schulformempfehlungen der Grundschulen,

  • die schnellstmögliche Einführung eines schulscharfen Sozialindex, der auf den Merkmalen der die Schulen tatsächlich besuchenden Schüler*innen basiert, als Steuerungselement für die Ressourcenzuweisung an die Schulen und als Grundlage für faire Leistungsvergleiche zwischen den Schulen,

  • die Bereitstellung ausgewiesener Ressourcen für die Förderung von Seiteneinsteiger*innen in der SII, beispielsweise im Rahmen eines Ganztagszuschlags wie in der SI,

  • ein Abschulungsverbot für Gymnasien und Realschulen in Verbindung mit der rechtlichen Möglichkeit, auch an diesen Schulformen alle Schulabschlüsse der SI zu erreichen,

  • die Beteiligung der Gymnasien an der Bewältigung der gesellschaftlichen Aufgaben wie Inklusion, Integration und damit eine Angleichung der Anteile an den Standorttypen,

  • zur Lösung aller beschriebenen Probleme die Weiterentwicklung des Schulsystems hin zu der einen Schule für alle mit den Klassen 1 bis 13, zum Beispiel durch eine schrittweise Annäherung der Profile aller Schulformen in NRW.

Die Untersuchung

schule 3

 

ist eine Initiative von Gesamtschulen in NRW, die ihre Arbeit an besonders schwierigen Standorten leisten. In ihrem Alltag potenzieren sich die pädagogischen Herausforderungen, denen sie sich stellen, weshalb die Initiative sich für das Logo “Potenz Schule mit dem Exponenten 3“ entschied.

Die Schulen wollen sich nicht damit abfinden, dass sie weder vom Land NRW noch oft von ihren Schulträgern, den Städten und Gemeinden die personelle und materielle Unterstützung bekommen, die sie für ihre schwere Arbeit benötigen. Drei Charakteristika machen die Schulen des Verbundes aus:

Sie sind bunt – wie ihre Schülerschaft und die Herausforderungen, die sich daraus ergeben.

Sie sind solidarisch – im Zusammenschluss mit den anderen betroffenen Schulen in dieser Initiative.

Nicht nur im Verbund sind sie stark, die Schulen, die sich hier zusammengeschlossen haben.

Sie sind stolz auf ihre Stärke, die es ihnen erlaubt, an ihren Standorten – wenn auch inzwischen an den Grenzen ihrer Möglichkeiten, gute Arbeit zu leisten.

Sie haben beschlossen, durch den Zusammenschluss unter dem Dach der GGG NRW auch ihre politische Stärke auf- und auszubauen, denn so geht es aus Sicht dieser Schulen nicht weiter.

Die Initiative stellt Forderungen, hat Vorstellungen dazu, was deren Umsetzung kosten würde, und führt seit einem Jahr regelmäßig Aktionen durch, um den Forderungen Aufmerksamkeit zu sichern.

 Weitere Informationen 

RAINER DAHLHAUS