Die Themen Sicherung des regionalen Bildungsangebots und Sicherung der Kontinuität von Bildungsverläufen beschäftigen zurzeit die Teilnehmer der Bildungskonferenz in NRW. In deren Stellungsnahmen wird die Konfliktlinie deutlich.
Verantwortung der Schulen für die aufgenommenen Schüler/innen
Die Bildungskonferenz hat in ihrem Abschlusspapier vom 20.05.2011 eine klare Zielvorgabe formuliert, die Leitlinie der Weiterentwicklung der Schulstruktur sein muss:
„Jede Schule übernimmt die Verantwortung für den Bildungsweg der ihr anvertrauten Kinder und Jugendlichen. Es ist die Aufgabe und Zielsetzung der Schule, gemeinsam mit den Eltern, die von ihr aufgenommenen Kinder und Jugendlichen unter Wahrung der Bildungsstandards zumindest zum ersten von ihr angebotenen Abschluss (Sekundarstufe I) zu führen.“
Die Förderung aller aufgenommen Kinder soll die Lern- und Unterrichtskultur jeder Schulen prägen, weil Gleichschritt und Abschulen die Kinder demotiviert und frustriert, letztlich ihre Bildungschancen mindert.
Das Verhältnis zwischen dem gegliederten und dem integrierten Schulsystem wird in Artikel 10 der Verfassung des Landes NRW festgelegt:
Verfassung: Artikel 10
(1) Das Land gewährleistet ein ausreichendes und vielfältiges öffentliches Schulwesen, das ein gegliedertes Schulsystem, integrierte Schulformen sowie weitere andere Schulformen ermöglicht.
Daraus ergibt sich eine Gleichrangigkeit und eine Gleichwertigkeit der beiden Schulsysteme. Das betrifft die Schulen als Organisationen, aber vor allem betrifft es die Rechte der Schüler/innen in diesen Schulen. Zugespitzt formuliert: Die Probleme des einen Schulsystems dürfen nicht zu Lasten des anderen gelöst werden.
Für den Philologenverband NRW und den Landeselternrat der Gymnasien ist die Verfassungslage und ebenso die genannte Vereinbarung in der Bildungskonferenz keineswegs selbstverständlich. In seiner Stellungnahme erklärt der PhV:
„Keineswegs beabsichtigte der Schulkonsens, dass Schulformen des gegliederten Schulsystems neben sogenannten Schulen des längeren gemeinsamen Lernens getrennt und voneinander abgeschottet strukturiert sein sollten und damit zwei voneinander isolierte Stränge bestehen, für die eine Durchlässigkeit praktisch kaum mehr gegeben sein soll.“
Von einer Gleichrangigkeit der Schulsysteme entsprechend dem Verfassungsauftrag ist hier keine Rede. Die Positionierung der Landeselternschaft der Gymnasien ist in diesem Sinne konsequente Folge:
„Wo neugegründete Sekundar- und Gesamtschulen die Schulformen Haupt- oder Realschule ersetzen, müssen diese selbstverständlich auch Schulformwechsler aufnehmen.“
Noch klarer lässt sich das Selbstverständnis und die Arroganz der höheren Schulform kaum formulieren. So stehen sich in der Bildungskonferenz die Positionen gegenüber. GGG, SLV, LER der GE, GEW und vbe unterstützen die o. g. Beschlusslage der Bildungskonferenz und damit die Verantwortung der Schulen für die aufgenommenen Kinder. Die Gymnasialverbände setzen sich für die Möglichkeit des Abschulens ein.
Verantwortung der Kommunen für ein gutes Schulangebot
Die Kommunen haben die Verantwortung den Eltern ein möglichst wohnortnahes Schulangebot anzubieten, in dem alle Abschlüsse erreichbar sind. Das erfordert eine zielorientierte Schulentwicklungsplanung und besonders bei kleinen Gemeinden die Kooperation mit Nachbarkommunen. Die Ermöglichungspolitik des Landes gibt den Kommunen einerseits einen größeren Spielraum für die kommunale Schulentwicklungsplanung, kommunalisiert aber andererseits die damit verbundenen Konflikte. Die Kommunen verteidigen diesen Spielraum und sperren sich in der Bildungskonferenz gegen Einflussnahmen durch das Land aber auch gegen Koordinationsaufgaben der Landkreise. Folgende Problemkreise sind beobachtbar:
- In einer scheinbaren Konfliktvermeidungsstrategie werden einerseits integrierte Schulen gegründet, aber andrerseits der Bestand der Schulen vor Ort, insbesondere wenn es sich um ein Gymnasium oder eine Realschule handelt, nicht berührt. Angesichts der demografischen Entwicklung ist oft erkennbar, dass es auf Dauer nicht genügend Kinder für diese Schulen gibt. Die Kommune überlässt die weitere Entwicklung dem Wahlverhalten der Eltern.
- Die interkommunale Zusammenarbeit wird nicht überall gesucht. Diese Kirchturmpolitik führt in einigen Fällen zu Bestandsgefährdungen benachbarter integrierter Schulen.
- Die Gründung einer Sekundar- oder auch Gesamtschule in privater Trägerschaft wird von einigen Kommunen initiiert, um eine Schule unterhalb der Mindestzügigkeit zu gründen. Dadurch wird das öffentliche Schulsystem tendenziell privatisiert und ein wohnortnahes öffentliches Schulangebot gefährdet. Zudem werden notwendige Entscheidungen in der Kommune auf private Träger verschoben.
Bei allem Verständnis für die kommunalen Interessenvertreter in der Bildungskonferenz: Eine Steuerung mit dem Ziel einer leistungsfähigen und zukunftsfähigen Schulentwicklung ist erforderlich.
Verantwortung für ein öffentliches Schulsystem
Das Land hat die Verantwortung für die Ermöglichung eines wohnortnahen staatlichen Schulsystem, das allen Eltern zugänglich ist und in dem alle Abschlüsse erreichbar sind. Private Schulen sind Ersatzschulen. Nach Auffassung der GGG NRW dürfen Ersatzschulen nicht das kommunale Schulangebot dominieren. Auch im ländlichen Raum müssen die Eltern die Möglichkeit haben, für ihr Kind eine öffentliche Schule zu wählen. Die unterschiedlichen Gründungsvoraussetzungen für Schulen in öffentlicher und privater Trägerschaft sind für einige Kommunen ein Anreiz, sich über dieses Gebot hinwegzusetzen. Während die öffentlichen Schulen die Mindestzügigkeit z. B. für Sekundarschulen bzw. Gesamtschulen beachten müssen, existieren diese Grenzen für private Schulen nicht. Die GGG NRW fordert deshalb den Gesetzgeber auf, zumindest gleiche Gründungsvoraussetzungen für öffentliche und private Schulen gesetzlich zu verankern.
Werner Kerski