Schulkonsens NRW 2011: Viel Licht, aber auch Schatten
Die GGG NRW begrüßt zum Schuljahr 2013/14 30 über 70 neue integrierte Schulen:
Zum neuen Schuljahr gehen 30 neue Gesamtschulen, 42 Sekundarschulen und eine Primusschule an den Start. Die GGG NRW wünscht allen neuen Schulen einen guten Start und eine erfolgreiche Weiterentwicklung!
Bei einer Reihe von Neugründungen ist die GGG NRW z. B. durch die Senior Experts aktiv beteiligt gewesen. Diese Unterstützung wird auch weiterhin angeboten. Daneben können gerade in der Aufbauphase die Angebote unserer Weiterbildungseinrichtungen Forum Eltern und Schuleund Austausch & Begegnung hilfreich sein. Die GGG NRW ist aber auch immer für die Einzelschulen als Plattform des Erfahrungsaustausches zwischen neuen Schulen und zwischen „alten“ und neuen Schulen wichtig.
Neben der konkreten Unterstützung von Einzelschulen hat die GGG NRW sich auf der politischen Ebene in Gesprächen mit Landtagsabgeordneten oder dem Ministerium dafür eingesetzt, dass die Rahmenbedingungen für die integrierten Schulen so sind, dass die mit viel Elan und Anstrengung gegründeten Schulen auf Dauer erfolgreich sein können.
Der rasante Anstieg integrierter Schulen in den letzten drei Jahren ist wesentlich auf zwei Faktoren zurückzuführen. Der demographische Rückgang machte es zunehmend mehr Kommunen unmöglich, alle Schulen des gegliederten Schulwesens vor Ort anzubieten. Dadurch stieg auch in konservativ regierten Kommunen die Bereitschaft, als Alternative eine integrierte Schule anzubieten. Das ermöglichte den von SPD, CDU und Bündnis 90-Die Grünen beschlossenen Schulkonsens. Dieser hat in einer Weise ideologische Vorbehalte gegenüber integrierten Schulen gelöst, wie es selbst Optimisten nicht geglaubt haben. Daneben bietet die neue Schulform Sekundarschule die Möglichkeit, auch mit geringeren Schülerzahlen längeres gemeinsames Lernen umzusetzen.
Die Entideologisierung und die größere Flexibilität auf kommunaler Ebene führen stellenweise zu einem Pragmatismus, der für gelingendes gemeinsames längeres Lernen schädlich ist. Die von der Ministerin Sylvia Löhrmann propagierte Politik der Ermöglichung bedarf klarer inhaltlicher und organisatorischer Rahmenvorgaben durch das Land. Es kann nicht sein, dass sich Schulentwicklung in erster Linie nach dem vorhandenen Gebäudebestand richtet.
Die Ausweitung integrierter Schulen stellt aber auch das gegliederte Schulwesen vor neue Herausforderungen. So wird es zunehmend Kommunen mit dem Zwei-Säulen-Modell geben: Neben der G9-Gesamtschule gibt es nur noch das G8-Gymnasium. Oder es gibt Kommunen, z. B. Oberhausen, die die Hauptschule abschaffen. In diesen Gemeinden ist jetzt die gewohnte Form des Abschulens nicht mehr möglich. Hierauf hat das Ministerium mit einer Verwaltungsvorschrift in einer Weise pragmatisch reagiert, die für Gesamtschulen und Sekundarschulen vollkommen unakzeptabel ist.
Neue Verwaltungsvorschrift verändert die Schulstruktur zu Lasten der integrierten Schulen
In der Verwaltungsvorschrift zur Ausbildungs- und Prüfungsordnung (VVzAPO-SI) wird der Schulformwechsel geregelt. Bislang war der Schulformwechsel in Form des Abschulens innerhalb des gegliederten Schulwesens zu regeln. Nur dort gibt es das Problem ja überhaupt.
Die Gesamtschulen haben es immer abgelehnt, als Reparaturbetrieb für das gegliederte Schulwesen zu fungieren, und es gab auch keine rechtliche Verpflichtung dazu. Wenn Schulen das punktuell getan haben, dann entschieden das die Schulleiter auf dem Hintergrund der konkreten Gegebenheiten ihrer Einzelschule. Es gab aber keine Verpflichtung.
Das wird in der neuen VVzAPO-SI grundsätzlich neu geregelt. Danach sind alle Schulformen, also auch die Gesamtschulen und Sekundarschulen, zur Aufnahme von Schülern beim Schulformwechsel verpflichtet. Bei Überschreitung der Aufnahmekapazität soll sogar ein weiterer Zug ab Klasse 7 gebildet werden.
Hierdurch werden die Sekundar- und Gesamtschulen zu einem Teil des gegliederten Schulsystems gemacht. Sie werden dadurch den Gymnasien und Realschulen untergeordnet. In einer Kommune ohne Hauptschule - wie Oberhausen - haben die Gesamtschulen die abgeschulten Realschüler/innen aufzunehmen und treten damit an die Stelle der Hauptschulen.
Diese VVzAPO-SI verändert auf schleichendem Wege die Schulstruktur zu Lasten der Schulen des längeren gemeinsamen Lernens. Das ist ein schulpolitischer Skandal.
Diese VVzAPO-SI widerspricht der öffentlich artikulierten Bildungspolitik der rot-grünen Koalition, sie widerspricht dem Schulkonsens und sie widerspricht den Empfehlungen der Bildungskonferenz. Im Schulkonsens wird zwischen dem gegliederten Schulsystem und den integrierten Schulformen unterschieden. Beim Abschluss der Bildungskonferenz ist gemeinsam formuliert worden: „Jede Schule übernimmt die Verantwortung für den Bildungsweg der ihr anvertrauten Kinder und Jugendlichen. Es ist die Aufgabe und Zielsetzung der Schule, gemeinsam mit den Eltern die von ihr aufgenommenen Kinder und Jugendlichen unter Wahrung des Bildungsstandards zumindest zum ersten von ihr angebotenen Abschluss (Sekundarstufe I) zu führen.“
Die Bildungskonferenz stellte damit dem Abschulen eine Kultur des Behaltens gegenüber. Diese Kultur des Behaltens wurde auch wiederholt von Ministerin Löhrmann im Zusammenhang mit der geplanten Inklusion betont. Umso unverständlicher ist diese administrative Regelung, die auch vom Verfahren höchst problematisch ist. Laut Schulgesetz § 52 sind Schulformwechsel in der Ausbildungs- und Prüfungsordnung mit Zustimmung des zuständigen Landtagsausschusses zu regeln. Hier regelt nach der Auffassung der GGG NRW das Ministerium rechtswidrig am Parlament vorbei.
Aber die Möglichkeit des Abschulens wird durch die neue VV nicht nur erleichtert, sie wird auch noch erweitert auf die Einführungsphase der Oberstufen an den G8-Gymnasien. Schüler an Gymnasien, die am Ende des ersten Halbjahres der Einführungsphase nicht mehr erfolgreich mitarbeiten können, müssen von den anderen Schulformen aufgenommen werden. Sie behalten aber ihre Berechtigung zum Besuch der gymnasialen Oberstufe der Gesamtschule.
Die GGG NRW kann sich nicht vorstellen, dass der Inhalt der neuen VVzAPO-SI dem politischen Willen der rot-grünen Koalition entspricht. Wegen der schulstrukturellen Bedeutung, die so nicht gewollt sein kann, habe ich mich als Vorsitzender der GGG NRW an die Ministerpräsidentin gewandt. Die GGG NRW erwartet eine Zurücknahme der VVzAPO-SI und dafür eine Überarbeitung im Sinne der Kultur des Behaltens. Es kann nicht sein, dass unter Rot-Grün die Gesamt- und Sekundarschulen dem gegliederten Schulsystem ein- und untergeordnet werden.
Behrend Heeren