Datengestützte Schul- und Unterrichtsentwicklung in NRW

Folgt man der Kultusministerkonferenz und dem NRW-Schulministerium, so ist die datengestützte Schul- und Unterrichtsentwicklung schulpolitisch ein Gebot der Stunde.

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Folgt man der Kultusministerkonferenz und dem NRW-Schulministerium, so ist die datengestützte Schul- und Unterrichtsentwicklung schulpolitisch ein Gebot der Stunde. Sie ist nicht neu, sondern in einigen Bundesländern bereits seit mehreren Jahren Praxis. Auch im Startchancenprogramm des Bundes und der Länder kommt sie zur Anwendung. Sie gründet auf dem Paradigmenwechsel in der Schulpolitik – gemeinhin als empirische Wende nach dem ersten PISA-Schock bezeichnet. Derzeit wird sie von der NRW-Politik angesichts der noch immer – gerade in NRW – dramatischen Ergebnisse von Schulleistungsstudien stark forciert. Welchen Weg geht NRW?

Ministerin Dorothee Feller redet in der Regel von datengestützter Qualitätsentwicklung (DQE), bezieht es auf das Startchancenprogramm und begründet damit den neuen Schulkompass NRW 2030 sowie ihre Hoffnung auf künftig bessere NRW-Ergebnisse bei Schulleistungsstudien. In der Sitzung des Ausschusses für Schule und Bildung am 29. Oktober 2025 hat sie die erneut dramatisch schlechten NRW-Ergebnisse im IQB-Bildungstrend 2024 im Ländervergleich zu Hamburg dargestellt und damit gerechtfertigt, dass Hamburg schließlich bereits vor 15 Jahren die datengestützte Qualitätsentwicklung eingeführt habe.

Zu dieser Sitzung lag ein MSB-Bericht zum Schulkompass NRW 2030 vor. „Eine datengestützte Qualitätsentwicklung schafft als eine wissenschaftlich abgesicherte und in anderen Staaten und Ländern sehr erfolgreich praktizierte Möglichkeit die Voraussetzung, Schule und Unterricht nachhaltig zu verbessern. Damit bildet sie eine zentrale Grundlage für passgenaue Entscheidungen, mehr Zielklarheit und eine nachhaltige Weiterentwicklung des Lehrens und Lernens. Sie hilft besser zu verstehen, welche Unterstützung Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene benötigen, welche Maßnahmen an Schule wirken und welche Entwicklungspotentiale bestehen.“ (Landtagsvorlage 18/4384)

In den nächsten Jahren sind folgende Maßnahmen vorgesehen (MSB-Schulmail vom 2. Juli 2025):

  • Aufbereitung und Bereitstellung von relevanten Daten aus Schulstatistik, Qualitätsanalyse sowie Kompetenz- und Leistungsmessungen
  • Einführung eines zentralen Schülerfeedbacks zum Unterricht, zur Schulkultur sowie zum Wohlbefinden der Schülerinnen und Schüler
  • Stärkung der Bedeutung bestehender Lernstandserhebungen (VERA 3 und VERA 8) sowie sukzessive Einführung von ergänzenden Lernstandserhebungen in den Jahrgansstufen 2, 5 und 7
  • Stärkung von Zielvereinbarungsgesprächen und flächendeckende Einführung von Zielvereinbarungen zwischen Schulaufsicht und Schulleitungen

Mehr Tests und mehr Daten kaum möglich

Da die bundesweiten IQB-Bildungstrends selbstverständlich fortgeführt werden, gibt es künftig in NRW eine sehr enge Taktung der Tests für Schülerinnen und Schüler. Getestet wird in den Schuljahren 2, 3, 5, 7 und 8. Enger geht kaum. Mehr Daten geht auch kaum. Bereits jetzt liegen den Schulen Daten aus der Schulstatistik, dem Sozialindex, der Qualitätsanalyse, den Vergleichsarbeiten 3 und 8 sowie den zentralen Prüfungen 10 und dem Zentralabitur vor. Diese werden zukünftig ergänzt mit den Daten aus den neuen Lernstandserhebungen sowie dem zentralen Schülerfeedback. Im Landtag hat Ministerin Feller im Juli 2025 bei der Vorstellung des Schulkompasses ausgeführt: „Damit Schulen die vorliegenden Daten zukünftig gezielter und ressourcenschonend nutzen können, werden wir ein Dashboard für unsere Schulen und die Schulaufsicht entwickeln, das ab 2029 allen Schulen zur Verfügung stehen wird. Mir ist wichtig zu betonen, dass auch und gerade ein solches Instrument dazu beiträgt, die Bürokratie an Schulen zu reduzieren. Bis dahin werden wir den Schulen die Daten in einem Datenblatt als statisches PDF-Dokument zusammenstellen. Dies ist eine Interimslösung, da die Erarbeitung eines digitalen Dashboards nicht von heute auf morgen möglich ist.“ (Landtagsvorlage 18/4314 – Redemanuskript von Dorothee Feller)

Also künftig jede Menge Tests und jede Menge Daten. Dadurch allein wird schulische Arbeit nicht erleichtert, dadurch allein werden die Leistungen der Schülerinnen und Schüler nicht besser. Ministerin Feller benennt die Gelingensbedingung: In den Ländern, die die datengestützte Qualitätsentwicklung bereits seit Jahren praktizieren, „wird nicht gewartet, bis ungünstigere Anschlusszahlen vorliegen oder Defizite im Rahmen einer Schulleistungsstudie dargestellt werden. Es wird deutlich früher hingeschaut und interveniert.“ (Landtagsvorlage 18/4314 – Redemanuskript von Dorothee Feller)

Intervenieren heißt, schulische Arbeit besser unterstützen und weiterentwickeln und die Defizite der Schülerinnen und Schüler durch gezielte Förderung zu verbessern.

Können Schulen Hilfen erhalten?

Schwer vorstellbar. Die angekündigte Stärkung von Zielvereinbarungsgesprächen und flächendeckende Einführung von Zielvereinbarungen zwischen Schulaufsicht und Schulleitungen allein wird es nicht richten. Bereits jetzt berichten die Schulleitungen vom zentralen Manko der derzeitigen Zielvereinbarungsgespräche bzw. der Zielvereinbarungen. Schulische Wünsche nach mehr Unterstützung, passgenauer Fortbildung oder mehr Zeit und Personal für die Evaluation und Weiterentwicklung schulischer Arbeit bleiben in der Regel unerfüllt. Das ist nicht Schuld der Schulaufsicht, das ist Ausdruck dysfunktionaler Steuerung des Schulsystems in NRW und fehlender Ressourcen.

Können Schülerinnen und Schüler Hilfe und Förderung erhalten?

Schwer vorstellbar. Die Enquetekommission „Chancengleichheit in der Bildung“ nennt die Gelingensbedingungen und fordert mit Blick auf die datengestützte Qualitätsentwicklung „die Entwicklung einer datengestützten Entwicklungs- und Lernverlaufsdiagnostik, um eine nachhaltige Kultur der Evaluation und Verantwortung im Bildungssystem zu etablieren. Diese soll den gesamten Bildungsverlauf systematisch erfassen und analysieren, um gezielte schulische und individuelle Fördermaßnahmen abzuleiten und Mindeststandards zu erreichen. Dafür sind sowohl rechtliche als auch technische Voraussetzungen zu schaffen. Die Nutzung der Daten muss datenschutzkonform verlaufen, technische Möglichkeiten zur Weitergabe müssen etabliert werden, sowie die Lehrkräfte im Umgang mit Technik und Instrument zu befähigen und das neue Wissen nutzbar zu machen. Lehrkräfte müssen in der Lage und motiviert sein, systematisch mit diesen Instrumenten zu arbeiten und für jedes Kind die notwendige Lernunterstützung bereitzustellen. Bei Bedarf müssen sie auf die Unterstützung von anderen pädagogischen Fachkräften wie Psychologinnen und Psychologen, Heilpädagoginnen und Heilpädagogen oder Logopädinnen und Logopäden zurückgreifen können. Erkenntnisse aus dem Startchancen-Programm sollten auch nach Ablauf des Programms weiter angewendet werden. Die Eltern und die Schülerinnen und Schüler sollen hier kontinuierlich einbezogen werden. Ideal wäre hier der Einsatz einer Bildungs-ID für jedes Kind.“ (Bericht der Enquetekommission S. 196f)

Obwohl in der Kommission diese Feststellung im Konsens der demokratischen Fraktionen erfolgt ist, muss leider konstatiert werden, dass die NRW-Schulpolitik meilenweit davon entfernt ist, diese Gelingensbedingungen zu schaffen.

Diese Feststellung gilt übrigens auch für den Part, der der frühkindlichen Bildung bei der datengestützten Qualitätsentwicklung zur Herstellung von mehr Chancengleichheit zugewiesen wird. Die Enquetekommission empfiehlt, „die frühkindliche Bildung anhand der Bildungsstandards 1-10 konsequent weiterzuentwickeln. Für alle Kinder ab viereinhalb Jahren soll eine verpflichtende Entwicklungsstandserhebung (unter anderem Sprachtest, Motorik, Sozialverhalten) erfolgen, auf deren Grundlage bei Förderbedarf ein verpflichtendes Chancenjahr im Vorfeld der Schule vorgesehen ist. Diese Maßnahme basiert auf einem verbindlichen standardisierten Bildungsplan, welcher den Fokus auf Grundwortschatz/Grundwortschatzentwicklung, Zahlenverständnis und Basiskompetenzen (Sozialkompetenz, Feinmotorik) legt.“ (Bericht der Enquetekommission S. 196)

Bei der Vorstellung des Konzepts Schulkompass NRW 2030 hat Dorothee Feller auf Nachfrage zu den Tests der viereinhalbjährigen Kinder auf die Zuständigkeit des Ministeriums für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration verwiesen und Nachfragen zum Umsetzungsstand nicht beantworten können oder nicht beantworten wollen. Die suboptimale Zusammenarbeit der beiden Ministerien hindert folglich nicht nur die Entwicklung eines guten Ganztags in NRW, sie ist auch Hemmschuh bei der Einführung einer sinnvollen datengestützten Qualitätsentwicklung für mehr Chancengleichheit in der Bildung. Die Enquetekommission stellt auch fest, dass datengestützte Bildungspolitik eine langfristige Strategie, Datenaffinität und politisches Commitment erfordert. Daran fehlt es in NRW.

Gut gemeint ist nicht gut gemacht

Die Schulpolitik kennt mit Inbrunst verfolgte grundlegend falsche Reformansätze. Die Verkürzung der Schulzeit ist hier Musterbeispiel. Frühere Einschulung, zwölf Jahre bis zum Abitur und der erste akademische Abschluss mit dem möglichst nur dreijährigen Bachelor mit 20 oder 21 Jahren galt z.B. der CDU/FDP-Landesregierung von 2005 bis 2010 unter Jürgen Rüttgers als sinnvoll und notwendig. Lange her, in wesentlichen Teilen zwischenzeitlich revidiert. Zudem kennzeichnen grundsätzlich gute aber schlecht umgesetzte und administrierte Reformen die Schulpolitik. Inklusion in Zeiten von Sparpolitik ist ein Beispiel hierfür. Der Einführung der datengestützten Qualitätsentwicklung droht das gleiche Schicksal.

Wenn die Politik nicht ganzheitlich denkt und Ressorteitelkeiten überwindet, wenn sie die Gelingensbedingungen nicht schafft und die erforderlichen Ressourcen nicht zur Verfügung stellt, wird sie scheitern und jegliche Akzeptanz verlieren. Beschämend für die Landespolitik ist dabei, dass schulische Akteure derzeit zwar nicht evidenzbasiert aber erfahrungsgestützt genau davon frustriert ausgehen. „Daten sind so etwas, wie das GPS der Qualitätsentwicklung“ heißt es in einem Videoclip, den das Institut für Bildungsanalysen Baden-Württemberg (IBBW) veröffentlicht hat. Vielleicht, aber damit allein kommt man nicht zum Ziel.

Michael Schulte
Mitglied im GGG-Landesvorstand NRW

Weblinks:

Datengestützte Qualitätsentwicklung Bildungsmonitoring

Gesamtstrategie der Kultusministerkonferenz zum Bildungsmonitoring
https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2015/2015_06_11-Gesamtstrategie-Bildungsmonitoring.pdf

Konzeption der Kultusministerkonferenz zur Nutzung der Bildungsstandards für die Unterrichtsentwicklung
https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2010/2010_00_00-Konzeption-Bildungsstandards.pdf

IQB Kompetenzmodelle
https://www.iqb.hu-berlin.de/de/bista/entwicklung/kompetenzstufenmodelle/

Schulkompass 2030 NRW

Schulkompass NRW 2023 – Datengestützte Qualitätsentwicklung
https://www.schulministerium.nrw/system/files/media/document/file/schulkompass_nrw_2030_dqe_broschuere.pdf

MSB-Schulmail vom 2. Juli 2025: Schulkompass NRW 2030
https://www.schulministerium.nrw/02072025-schulkompass-nrw-2030

Ausschuss für Schule und Bildung am 02.07.2025 - Redemanuskript von Dorothee Feller – Landtagsvorlage 18/4061)
https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMV18-4061.pdf

Bosch-Stiftung (2025): Von Daten zu Taten - Neue Wege der professionellen Nutzung intern und extern erhobener Daten für die Schul- und Unterrichtsentwicklung. Eine Handreichung für die Schuladministration und Bildungseinrichtungen.
https://www.bosch-stiftung.de/sites/default/files/publications/pdf/2025-07/RBS_DatengeschuetzteSchulentwicklung%20Digital.pdf

 

Schulkompass NRW 2030 – Schaubild