Positionspapier des Hauptausschusses der GGG
zur Krise des deutschen Bildungssystems und insbesondere zum Lehrkräftemangel
Stellungnahme vom März 2023
Das deutsche Bildungssystem befindet sich in der Krise. Der eklatante Mangel an Lehrkräften ist nur ein Symptom von vielen. Es ist nicht übertrieben, wenn wir heute wieder von einem Bildungsnotstand sprechen. Ein Bildungsnotstand, der wesentlich zu Lasten von Schüler*innen und Lehrkräften geht und der den Zusammenhalt und die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft gefährdet.
Die GGG erwartet von Bildungspolitiker*innen und der Bildungsadministration, die Krise als Chance zu begreifen und ihrer Verantwortung nachzukommen. Es reicht nicht mehr die Symptome zu behandeln, so wie es zurzeit in vielen Bundesländern in oft hektischen Aktivitäten geschieht. Wir fordern einen Doppelwumms für die Bildung. Das heißt:
- wesentlich höhere Ausgaben für Bildung z.B. in Form eines Sondervermögens Bildung und
- eine grundlegende Bildungsreform (siehe dazu unseren Aufruf ).
Ergänzend und sofort müssen Maßnahmen ergriffen werden, die den Lehrkräftemangel mindern, die Attraktivität des Berufes einer Lehrerin bzw. eines Lehrers verbessern und die Schulen in die Lage versetzen, ihrem Bildungsauftrag nachkommen zu können. Angesetzt werden muss an einer realistischen Bewertung der Lage in unseren Schulen mit nicht besetzten Stellen, einem hohen Krankenstand und ausfallendem Unterricht. Davon sind nicht alle Schulen gleichermaßen betroffen. Besonders Grundschulen sowie die Schulen des gemeinsamen Lernens in den Sekundarstufen leiden unter dem Lehrkräftemangel.
Wir stellen fest, dass zahlreiche der von der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission in ihren „Empfehlungen zum Umgang mit dem akuten Lehrkräftemangel“ gemachten Vorschläge, aber auch schon in den Ländern beschlossene Maßnahmen einseitig zu Lasten der Lehrkräfte gehen und diese über das Zumutbare belasten würden bzw. schon belasten.
Grundsätzlich sollten Maßnahmen zur Minderung des Lehrkräftemangels zusammen mit den Betroffenen und vor dem Hintergrund der Wertschätzung ihrer Arbeit entwickelt werden. In seiner Frühjahrssitzung 2023 hat sich der Hauptausschuss der GGG mit der Problematik auseinandergesetzt. Vorgeschlagen werden:
- Die Arbeitsbelastung von Lehrkräften senken zum Beispiel durch:
- eine Entlastung der Lehrkräfte von nichtpädagogischen Aufgaben durch Verwaltungskräfte und technische Assistenzen,
- Unterstützung der Lehrkräfte durch Schulassistenzen für pädagogische Arbeit in den Klassen und Kursen,
- Der Lehrkräftemangel zwingt die Schulen zu Unterrichtskürzungen. Hierfür brauchen die Schulen Rückhalt und Unterstützung von den Verantwortlichen. Solange diese Kürzungen nötig sind, muss die entfallene Unterrichtszeit zum Beispiel durch zusätzliche attraktive Angebote im Ganztagsbereich kompensiert werden.
- Selbstständiges und selbstbestimmtes Lernen ist ein erstrebenswertes schulisches Ziel. Dies können jedoch viele nur mit intensiver Anleitung und Unterstützung erreichen. Als Mittel zur Einsparung von Lehrkräften ist es daher nicht geeignet.
- Unterstützung durch Sozialpädagog*innen, Sonderpädagog*innen, Schulpsycholog*innen etc. in der Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams,
- ausreichende Entlastung für schulleitungs- und schulorganisatorische Aufgaben, Schulentwicklung, Betreuung z.B. von Quer- und Seiteneinsteiger*innen und für die Zusammenarbeit in Teams.
- Zusätzliches Personal für die Arbeit in den Schulen gewinnen zum Beispiel durch:
- die schnelle und möglichst unbürokratische Einstellung von Quer- und Seiteneinsteiger*innen sowie ausländischen Lehrkräften, wobei große Sorgfalt auf eine begleitende Qualifikation für die Unterrichtstätigkeit gelegt werden muss,
- Anreize für eine freiwillige Mehrarbeit und einen freiwilligen späteren Eintritt in den Ruhestand,
- das Zurückholen von in nur mit Verwaltungstätigkeiten abgeordneten Lehrkräften aus der Bildungsadministration und den Fortbildungsinstituten,
- Aufheben von Parallelstrukturen in der Organisation und statistischen Verwaltung der Inklusion (Zuständigkeiten nur über die regionalen Landesämter)
- Referendar*innen mehr eigenverantwortlichen Unterricht anvertrauen, gekoppelt mit einer angemessenen Bezahlung sowie Entlastung durch erheblich weniger aufwändige etc.,
- eine Aufhebung der Zugangsbeschränkungen zum Lehramtsstudium sowie eine Erhöhung des Studienplatzangebotes,
- Maßnahmen zur Reduzierung der Schwundquote im Lehramtsstudium.
- Erhöhung der Attraktivität des Lehrkräfteberufes besonders in den nichtgymnasialen Bereichen zum Beispiel durch:
- eine einheitliche Besoldung für alle Lehrämter,
- eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch gut ausgestattete Arbeitsplätze,
- eine Unterstützung der Zusammenarbeit im Team,
- perspektivisch deutlich kleinere Lerngruppen.
- Steuerung des Lehrkräfteeinsatzes dort, wo es erforderlich ist, zum Beispiel durch:
- eine ausgleichende und bedarfsorientierte Versorgung der Schulen mit Lehrkräften,
- eine Zuweisung nach einem Sozialindex.
- Keine Zwangsmaßnahmen in Bezug auf Arbeitszeitverlängerungen zum Beispiel:
- keine zwangsweise Erhöhung des Stundendeputats, sowohl was die Teilzeitmöglichkeiten als auch die grundsätzliche Unterrichtsverpflichtung betrifft,
- keine Streichung von Entlastungen für besondere Aufgaben.
- Mehr Unterstützung bei Inklusion und Integration zum Beispiel durch:
- eine ausreichende Versorgung mit qualifiziertem Personal,
- eine ausgewogene Beteiligung aller Schulformen, insbesondere auch des Gymnasiums,
- eine Stärkung der Schulen des gemeinsamen Lernens.
- Reform der Lehrkräfteausbildung in der 1. und 2. Phase zum Beispiel durch:
- ein duales Lehramtsstudium, in dem die Studierenden von Beginn an in die schulische Arbeit integriert sind und so zunächst assistierend mehr und mehr in eine unterrichtliche Tätigkeit eingebunden werden,
- eine inhaltliche Orientierung der Lehramtsstudiengänge auf die späteren Anforderungen im Beruf,
- ein einheitliches Stufenlehramt für alle Schulformen.
Auf Dauer werden sich der Lehrkräftemangel sowie die Bildungskrise insgesamt nur dann lösen lassen, wenn unser Bildungssystem grundlegend reformiert wird. Über Versäumtes und falsch gesetzte Prioritäten ist nachzudenken. Erforderlich ist eine breite gesellschaftliche Diskussion über die Zukunft der Schule und Bildung. Der von der Bundesregierung im Koalitionsvertrag vorgesehene Bildungsgipfel könnte ein erster Schritt in diese Richtung sein. Im Moment sieht es so aus, als würde diese Chance vertan. Das wäre fatal.
Dortmund,
im März 2023