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Erklärung zur inklusiven Bildung (2011)

Einstimmig beschlossen hat das Plenum des 32. Bundeskongresses der GGG sowie die GGG-Mitgliederversammlung am 17.09.2011 in Hildesheim die folgende Erklärung:

Für die GGG ist Inklusion das selbstverständliche Zusammenleben aller Menschen im Sinne einer gleichberechtigten selbstbestimmten Teilhabe am gesellschaftlichen Leben unabhängig von individuellen Merkmalen wie Herkunft, Geschlecht, Sprache, Religion, Fähigkeiten und Behinderungen. Daraus erwächst die Verantwortung aller, sich für dieses Menschenrecht einzusetzen und an seiner Realisierung mitzuwirken. Für die Schule bedeutet dies: Alle Kinder und Jugendlichen haben ein Recht auf das gemeinsame Lernen unabhängig von Elternhaus und Einkommen, unabhängig von sozialer, kultureller und ethnischer Herkunft, unabhängig von unterschiedlichen Fähigkeiten und Behinderungen. In den Schulen müssen hierfür angemessene Vorkehrungen getroffen werden.

Die GGG unterstützt die von betroffenen Jugendlichen formulierten Grundsätze aus der Erklärung von Lissabon (September 2007):

  • Wir haben das Recht, respektiert und nicht diskriminiert zu werden.
  • Wir haben das Recht auf dieselben Chancen wie andere auch, aber mit der für unsere Bedürfnisse notwendigen Unterstützung.
  • Wir haben das Recht, unsere eigenen Entscheidungen zu treffen.
  • Wir haben das Recht, unabhängig zu leben.
  • In der Gesellschaft muss jeder und jede ihre Rechte kennen, verstehen und achten.
  • Wir sehen Handlungsbedarf bei der Überwindung von Barrieren im Unterricht.

Mit der Ratifizierung der UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen durch den Bundestag ist die Forderung nach einem inklusiven Schulsystem seit Ende März 2009 auch in Deutschland geltendes Recht. Damit hat jedes Kind insbesondere mit Behinderung einen individuellen Rechtsanspruch auf diskriminierungsfreien Zugang zur allgemeinen Schule.

Für viele – Politiker, auch Eltern und Lehrer – ist die Inklusion im Schulbereich verkürzt auf die Integration von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in die bestehenden allgemeinen Schulen. Dies kann bestenfalls eine vorübergehende Maßnahme sein, eine inklusive Schule wird damit noch nicht geschaffen. Ihre Gestaltung ist eine herausfordernde Aufgabe für die ganze Gesellschaft, nicht nur für Menschen, die sich mit schulischer Bildung befassen. Insbesondere verpflichtet die UN-Konvention die Politik, tätig zu werden. Es gibt in Deutschland sowohl in Ost wie in West eine langjährige Tradition integrierter Schulen – Grundschulen, Gesamtschulen, POS und andere. Trotzdem ist die Trennung der Kinder in verschiedene Schularten im Alter von zehn oder zwölf Jahren – und damit die vordemokratische Ständeschule – immer noch üblich; von "konservativer" Seite wird ihre Beibehaltung oder sogar Ausweitung gefordert. Die Realisierung der inklusiven Schule erfordert jedoch eine inklusive Schulstruktur. Inklusive Schule und selektives Schulsystem stehen zueinander in einem unauflöslichen Widerspruch. In den Leitlinien für Inklusion der deutschen UNESCO-Kommission von 2009 wird festgestellt: "Ein inklusives Bildungssystem kann nur geschaffen werden, wenn Regelschulen inklusiver werden - mit anderen Worten: wenn sie besser darin werden, alle Kinder ihres Einzugsgebiets zu unterrichten."

Die inklusive Schule erfordert eine Schul- und Lernkultur, die geprägt ist von der Verantwortung für jedes einzelne Kind, vom Respekt vor der Einzigartigkeit jedes Kindes und vom Vertrauen in die Fähigkeiten eines jeden Kindes. Nur so kann das individuelle Recht eines jeden Kindes auf inklusive Teilhabe und eine hochwertige Bildung eingelöst werden.

Die von der KMK vorgelegten überarbeiteten Empfehlungen "Inklusive Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen" enthalten zwar eine Reihe wichtiger Überlegungen, insgesamt jedoch werden sie der UN-Resolution nicht gerecht, verwässern den Inklusionsgedanken und greifen zentrale Anliegen nicht auf. Die GGG fordert Bund und Länder auf, die inklusive Schule, also die gemeinsame Schule für alle zu verwirklichen. Die GGG fordert die KMK und die Bundesländer auf, für alle Länder verpflichtende Vereinbarungen zu treffen, damit die inhaltlichen und personellen Voraussetzungen sowie die sachliche Ausstattung für inklusives Lernen aller Kinder und Jugendlichen geschaffen werden. Insbesondere ist die Inklusion und eine entsprechende Pädagogik der Vielfalt in der Lehrerbildung zu verankern.

Durch einen Zeitplan und Festlegung von Meilensteinen ist zu sichern, dass der Prozess einerseits zielstrebig durchgeführt und evaluiert werden kann und andererseits die Schulen, besonders die Lehrerinnen und Lehrer, die notwendige Zeit und Planungssicherheit erhalten.

Kurz- und mittelfristig bedeutet dies, dass

  • der systemische Widerspruch zwischen Inklusion und Selektion gesehen und perspektivisch aufgelöst wird,
  • die Sonderschulen schrittweise aufgehoben werden,
  • alle Schularten gleichermaßen in die inklusive Schulentwicklung einbezogen werden. Es darf keine exklusive Zone geben.
  • Anreize, Unterstützung und Begleitung für Schulen geschaffen werden, sich auf den Weg zur inklusiven Schule zu machen,
  • das Thema der Inklusion und eine Pädagogik der Heterogenität Schwerpunkte der Lehrerbildung werden.

Das Recht auf inklusive Bildung ist ein Menschenrecht; für eine hochwertige inklusive Bildung aller Menschen müssen deshalb organisatorische, personelle und finanzielle Bedingungen geschaffen werden und dürfen nicht unter einen Vorbehalt gestellt werden.