Länderbericht NRW 2018/4

In ihrem Koalitionsvertrag hat die schwarz-gelbe Landesregierung unter der Überschrift „Gelingende Inklusion“ verbindliche Qualitätsstandards, Förderschulgruppen an Regelschulen, Schwerpunktschulen der Inklusion angekündigt. Am Gymnasium soll es in der Regel nur noch zielgleiche Förderung geben. Die Benennung von verbindlichen Qualitätsstandards war die Reaktion auf die zentrale Kritik nicht nur der Schulen. Diese verwiesen wiederholt und nachdrücklich auf die mangelnde Ressourcenausstattung der Schulen des gemeinsamen Lernens. Die mangelnden personellen, räumlichen und sächlichen Ressourcen verhinderten eine gelingende Inklusion. Klar definierte Standards müssen entsprechende Mittel in der Umsetzung nach sich ziehen.

Die GGG NRW hat sich ausdrücklich zur schulischen Inklusion bekannt. Sie hat aber wiederholt in ihren eigenen Stellungnahmen und in gemeinsamen Positionspapieren mit der Landeselternschaft der integrierten Schulen in NRW (LEiS NRW), der Schulleitungsvereinigung der Gesamtschulen NRW (SLVGE NRW) und der GEW NRW Mindestbedingungen für eine gelingende Inklusion eingefordert. Die GGG NRW hat diese Forderungen in zahlreichen Gesprächen mit der alten rot-grünen Landesregierung mit Nachdruck gestellt. Sie hat u. a. darauf hingewiesen, dass die integrierten Schulen unter zunehmend verschlechternden Bedingungen die Hauptlast der schulischen Inklusion zu tragen hätten und daraus erkennbar Nachteile in der Konkurrenz zum gegliederten Schulsystem erwachsen. Angenommen wurde diese Kritik nicht. Die schlechte Umsetzung der Inklusion war ein nicht unwesentlicher Aspekt für die Wahlniederlage von rot-grün. Der neuen Landesregierung haben wir sehr früh mit den oben genannten Verbänden die Mindestanforderungen für eine gelingende Inklusion deutlich gemacht, die angekündigten Schwerpunktschulen, ebenso wie Förderschulgruppen an Regelschulen und die weitgehende Ausklammerung des Gymnasiums aus dem Inklusionsprozess abgelehnt.

Eckpunkte zur Neuausrichtung der Inklusion

Die zuständige Schulministerin hat nun dem Schulausschuss des Landtages „Eckpunkte zur Neuausrichtung der Inklusion in der Schule“ vorgelegt.

Gymnasien werden von der Inklusion ausgenommen

Die neue Landeregierung unterscheidet bei den Regelschulen im SI-Bereich zwischen Haupt-, Real-, Gesamt-, Gemeinschafts-, Sekundar- und Primusschulen einerseits und den Gymnasien andererseits. Das Gymnasium in NRW beteiligt sich schon bislang kaum an der schulischen Inklusion. Da die zieldifferente Förderung am Gymnasium zukünftig nur noch auf freiwilliger Basis der Schule erfolgen soll, ist die quantitativ stärkste Schulform mit der sozial stärksten Schülerschaft praktisch von der Inklusion ausgenommen.

Definition der Qualitätsstandard

Schulen der Sek I mit Angeboten des Gemeinsamen Lernens müssen folgende Voraussetzungen erfüllen:

  • Die Schule muss über ein pädagogisches Konzept zur inklusiven Bildung verfügen.

  • Lehrkräfte für sonderpädagogische Förderung müssen im Kollegium verankert sein.

  • Es muss eine systematische, vorauslaufende und begleitende Fortbildung der Lehrkräfte erfolgen.

  • Die Schule muss über geeignete Räumlichkeiten verfügen.

  • Für die Ressourcen gilt die Formel 25 – 3 – 1,5 Die Eingangsklassen haben 25 Schüler, davon 3 mit Förderbedarf, pro Klasse gibt es zusätzlich zum Regelbedarf 0,5 Stelle.

Schwerpunktschulen

Ohne das u. a. von der GGG NRW kritisierte Konzept der Bildung von Schwerpunktschulen weiter zu verwenden wird es durch die Vorgabe von drei Förderschülern pro Klasse in Zukunft faktisch Schwerpunktschulen geben. Begründet wird das mit einer angeblich notwendigen Bündelung der Ressourcen, speziell der Förderlehrkräfte. In NRW gibt es viele Schulen im gegliederten System, die nur sehr wenige Schüler mit sonderpädagogischen Förderbedarf aufgenommen haben. Teilweise unter zehn Schüler/innen im Bereich der ganzen Sek I. Die fachliche Versorgung mit Förderschulkollegen/innen erfolgt dann z. B. durch stundenweise Abordnung. Das ergibt fachlich und ressourcentechnisch wenig Sinn. Für die integrierten Schulen stellt sich die Situation gänzlich anders dar. Diese bekommen in der Regel pro Eingangsklasse zwei Schüler zugewiesen. Auf dieser Grundlage besuchen derzeit an den 301 Gesamtschulen ca. 15 000 Schüler mit Förderbedarf. Das sind im Schnitt pro Schule 50 Förderschüler, was nach der neuen Formel über acht vollen Förderlehrerstellen entspricht. Eine Erhöhung von zwei auf drei Schüler pro Klasse entspricht einer Steigerung um 50 %. Eine vierzügige Gesamtschule hätte dann nicht mehr 48 Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf, sondern 78 Schüler/innen. Landesweit würde allein die Schulform Gesamtschule nicht mehr 15000 Schüler/innen versorgen, sondern über 22 000 Schüler/innen.

Schwerpunktschulkonzept benachteiligt insbesondere die integrierten Schulen

In den Eckpunkten ist festgelegt, dass nur dann weitere Schulen des Gemeinsamen Lernens eingerichtet werden, wenn an den bestehenden Schulen des Gemeinsamen Lernens drei Schüler/innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf pro Klasse sind. Da die integrierten Schulen jetzt schon fast durchgängig inklusive Schulen und die anderen SI-Schulen (außer der Hauptschule) erheblich unterrepräsentiert sind, würde die geplante Erhöhung der Zahl der Förderschüler de facto neben dem Gymnasium auch die Realschule, bereits jetzt nur unterrepräsentativ an der Inklusion beteiligt, von der Inklusion entlasten. Die Bewältigung der schulischen Inklusion wird also noch mehr als bisher schon den integrierten Schulen zugewiesen.

Stigmatisierung der integrierten Schulen

Ein nicht unwesentlicher Erfolg der bisherigen schulischen Inklusion in NRW war die Aufhebung der Stigmatisierung der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Wenn es Schulen mit und ohne Inklusion gibt, dann sind die inklusiven Schulen nur dann attraktiv, wenn für die Schüler mit Förderbedarf die personelle und fachliche Betreuung an der Regelschule mindestens der der Förderschulen entspricht. Für die Eltern der Regelschüler sind inklusive Schulen durchaus dann interessant, wenn die räumlichen und personellen Ausstattungen besser sind als an nichtinklusiven Schulen. Das ist nach dem vorgelegten Konzept der neuen Landesregierung nicht zu erwarten. Zu befürchten ist vielmehr, dass das durchaus Kalkül ist.

Doppelstruktur Förderschulen und Regelschulen wird gestärkt

Obwohl in der Finanzierung erheblich teurer, wird die Doppelstruktur durch das Herabsetzen der Mindestgrößen für Förderschulen und Teilstandorten von Förderschulen wieder gestärkt. Bei der Bevorzugung der personell-fachlichen Ausstattung der Förderschulen geht das bei dem gegenwärtigen Förderlehrermangel verstärkt zu Lasten der integrierten Schulen.

Förderschulgruppen an Regelschulen der Sek I

Speziell für den Förderbereich Lern- und Entwicklungsstörungen sollen Fördergruppen als Teilstandorte von Förderschulen an Regelschul eingerichtet werden können. Was das noch mit Inklusion zu tun haben soll, ist nicht nachvollziehbar.

Bewertung: Viel Schatten, wenig Licht oder wie die GEW NRW schreibt: Rückschritt statt Fortschritt

Eine abschließende Bewertung ist noch nicht möglich, da insbesondere die Einhaltung der formulierten Voraussetzungen noch nicht gesichert ist. Man muss konzedieren, dass die Ressourcenformel 25 -3- 1,5 zwar erheblich mehr ist, als die rot-grüne Landesregierung für die Inklusion an Regelschulen definiert hatte. Nimmt man aber die fast vollständige Ausklammerung des Gymnasiums und die nur wenig beteiligte Realschule, die geplante Einrichtung von Schwerpunktschulen und die Einrichtung von Förderschulgruppen an Regelschulen, dann wird die Inklusion für den schulischen Bereich im Kern aufgegeben. Das allgemeine Bekenntnis der Landesregierung zur Inklusion als ein Menschenrecht hat allenfalls deklamatorischen Wert.

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