Die Nelson-Mandela-Gesamtschule – wie Lernen neu und transformativ gedacht werden kann
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Die Idee von Lernen
an der Nelson-Mandela-Gesamtschule
Daniela Spielmann
Die Nelson-Mandela-Gesamtschule ist noch eine sehr junge Gesamtschule: Sie wurde 2013 gegründet und verschrieb sich von Anbeginn an der Idee, Lernen neu, anders und transformativ zu denken. Sie geht von der Grundlage aus, dass alle Schüler*innen Potenziale in sich tragen, die es zu entdecken und weiterzuentwickeln gilt – auch über das zunächst Erreichbare weit hinaus.
Das Lernen umfasst drei Säulen:
- Die Ich-Säule: Das Individuum steht im Vordergrund und entwickelt sich, indem es Themen selbstständig und selbstorganisiert erlernt. Dies erfolgt in der Lernzeit (Sek I) und in der Individuellen Lernzeit (Sek II).
- Die Wir-Säule: In dem Fach „Lernen im Projekt“ stehen das Team und die Teamarbeit im Vordergrund. Zu einem Oberthema – angelehnt an die Global Goals – entwickeln die Schüler*innen in Kooperation miteinander Forscherfragen zu dem Thema, beantworten diese, erstellen in dem Kontext ein Produkt, präsentieren ihr Ergebnis und überarbeiten es.
- Die Ich-Wir-Säule: Diese Säule kombiniert das Ich und das Wir. Das Kooperative Lernen und Differenzierungsmatrizen sind Formate, die wir gerne nutzen.
Geschützt wird dieses Lernen mit unserem Dach Teamschule. Gearbeitet wird nach dem Kleingruppenteammodell: Jede Lehrkraft ist einer bestimmten Jahrgangsstufe zugeordnet und übernimmt dort die Funktion der Klassenleitung. Wir begleiten unsere Schüler*innen i. d. R. von der 5 bis zur 10. Das hat den großen Vorteil, dass wir die Kinder in diesem Jahrgang namentlich kennen, weil wir i. d. R. nur dort unterrichten. Für die Schüler*innen heißt das, dass sie einen festen Kern an Lehrer*innen haben, die sie unterrichten. Ein weiterer großer Vorteil ist, dass in Vertretungssituationen der Unterricht gewährleistet ist: Entweder arbeitet man mit der Lerngruppe im eigenen Fach weiter, man nutzt das Material der Fachlehrerin/des Fachlehrers oder man setzt das Format der Lese-Lernzeit, der Zeit für selbstgesteuertes und eigenverantwortliches Lernen, ein.
Auch für das Lehrer*innen-Team bestehen viele Vorteile: In den nahezu wöchentlichen Teamsitzungen gibt es genügend Austauschzeit über die Schüler*innen, für organisatorische Absprachen und Zeit, um gemeinsam den Unterricht vorzubereiten.
Das alles zusammengenommen, lässt Schüler*innen in einem geschützten Raum lernen und leben.
Lernen auf individueller Ebene
Unsere Idee von transformativem Lernen enthält zahlreiche Ansatzpunkte, wie wir unsere Schule als angstfreien Raum gestalten möchten. Zwei Formate sollen fokussiert betrachtet werden.
Die Schüler*innen der NMG erfahren an vielen Stellen eine Lernberatung mit smarter Zielsetzung. So haben wir die typischen Elternsprechtage abgeschafft und führen stattdessen Lern-Entwicklungs-Gespräche mit unseren Schüler*innen durch. Die Eltern dürfen (sollen) bei diesen zweimal jährlich stattfindenden Gesprächen dabei sein. Der Hauptanteil des Gesprächs findet zwischen Kind und Lehrkraft statt. Dabei geht es darum zu schauen, wo das Kind steht, welche Ziele nun angegangen werden wollen, was das Kind dafür tun wird und welche Unterstützung es braucht. Diese vier Schritte werden im Logbuch dokumentiert und nach einem festen Schema überprüft und ggf. angepasst. In dieser Form ist auch unser Schüler*innen-Sprechtag aufgebaut. Dieser findet an dem Tag der Halbjahreszeugnisausgabe statt. Neben diesen drei großen Beratungsanlässen streben wir an, mit jedem Kind im Schuljahr zwei bis drei Lernzeitberatungen durchzuführen. Der Ablauf der Beratung entspricht dem o. g. Vorgehen, wird aber ergänzt durch einen Selbstreflexionsbogen, den die Schüler*innen vorab hinsichtlich ihrer Lernzeit ausfüllen. Dieser Bogen ist Grundlage für das Gespräch.
Mit der Differenzierungsmatrix nach Ada Sasse (1) nutzen wir ein Lernformat, bei dem alle Schüler*innen entsprechend ihrem Entwicklungsstand und ihrer kognitiven Fähigkeit ein passendes Aufgabenformat finden. Da der klassische Unterricht aufgelöst ist, hat die Lehrkraft viel Zeit, um direkt mit den Kindern zu arbeiten, sie zu beobachten oder sie fachlich zu beraten.
Soziales Lernen systematisch angelegt
Neben diesem individuellen Begleiten und dem ständig miteinander in Gespräch sein, bedarf es systematischer und systemisch angelegter Präventionsmaßnahmen, um den Raum Schule angstfrei zu gestalten.
Die ersten Berührungspunkte mit der NMG sichern wir durch unser Patensystem ab. Die Schüler*innen kommen i. d. R. aus kleinen behüteten Systemen an sehr große Systeme und sollen sich möglichst schnell zurechtfinden. Um dem gerecht werden zu können, begleiten unsere Achtklässler die Fünftklässler bei diesem Übergang. Das beginnt schon beim Kennenlernnachmittag vor den Sommerferien und mündet häufig in Freundschaften.
In der neuen Schule dann angekommen, führen wir ein Sozialtraining innerhalb der Klasse durch, in dem es darum geht, als Gemeinschaft zusammen zu wachsen und Konflikte friedvoll miteinander zu bewältigen. Dafür nutzen wir die Methode von „Anders streiten“ (2), das von der Grundannahme ausgeht, dass in jedem Streit beide Seiten einen Streitanteil haben. Wenn der herausgearbeitet wurde, kann man nach einer guten Lösung für beide Seiten schauen.
Dieses Sozialtraining umfasst mindestens das erste Halbjahr in der 5.
Die Methode „Anders streiten“ nutzen die Kolleg*innen z. B. auch in Pausenaufsichten, wenn es sich um kleinere Vorfälle handelt, oder aber die Klassenleitungen nutzen es in Streitsituationen in der Klasse oder im Jahrgang. Dafür hängen an unserer Schule die 5 Schritte jeweils von innen an der Klassentür, sodass dieses Gespräch jederzeit stattfinden kann.
Daran anschließend können Schüler*innen sich in der Streitschlichtung ausbilden lassen. Aktuell haben wir drei Kolleg*innen, die diese Ausbildung mit den Schüler*innen durchführen können. Die ausgebildeten Streitschlichter*innen stehen dann im Rahmen des Ganztages ebenfalls für Streitschlichtgespräche zur Verfügung.
Außerdem haben alle Klassen von 5 bis 10 wöchentlich eine Stunde Klassenrat, der ebenfalls als Präventionsmaßnahme angesehen wird. Hier geht es häufig um gemeinsame Absprachen, wie man innerhalb der Klasse miteinander umgehen möchte. Durch eine klare Struktur können die Schüler*innen die Durchführung zügig selbst übernehmen und erfahren dabei Selbstwirksamkeit im Demokratisierungsprozess.
Die NMG als angstfreier Raum
Schule soll ein Ort sein, an dem jeder angstfrei lernen, streiten und spielen darf. Dass Konflikte zum Leben dazu gehören, ist selbstverständlich. Um diese Konflikte zu bewältigen, muss sich jede Schule auf den Weg machen, Ideen zu entwickeln und Konzepte entstehen zu lassen. Es ist Aufgabe aller Schulen dafür Sorge zu tragen, dass die erst kleinen Menschen und später großen Menschen, die Lehrer*innen und Schulleitungen, gerne täglich an den Ort zurückkehren, der ein Ort des angstfreien Lernens sein soll. Wenn wir dafür Sorge tragen, dass die Schüler*innen selbstwirksam werden können, sich darin üben können z.B. angstfrei Konflikte auszutragen oder weil man ihr Lernen ernstnimmt, dann sollte es gelingen, Schule als guten Ort zu gestalten.
Quellen:
- Berufsbildung NRW - Bildungsgangübergreifende Themen - Individuelle Förderung am Berufskolleg - Gestaltung gemeinsamen Lernens in der Praxis: Unterrichtsmaterialien für die Ausbildungsvorbereitung – Differenzierungsmatrizen nach Prof. Dr. Sasse
- Das Bensberger Mediationsmodell – Anders streiten
Weitere Informationen:
Nelson-Mandela-Gesamtschule Bergisch-Gladbach
Artikel aus Die Schule für alle Heft 2025/2
U. Reinartz: Ergänzender Bericht über die Nelson-Mandela-Schule
Die Nelson-Mandela-Gesamtschule wurde 2023 mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet. Aus diesem Anlass besuchte kürzlich die NRW-Bildungsministerin, Dorothee Feller, die Schule. Ursula Reinartz war dabei und berichtet über die Schule.
Eine Schule zum Wohlfühlen
eine ganz persönliche Begegnung
Ergänzung zu
Daniela Spielmann: Die Idee vom Lernen – an der Nelson-Mandela-Gesamtschule
in Die Schule für alle 2025/2
Ursula Reinartz
Bereits beim Betreten der Schule wird die freundlich-offene Atmosphäre des Schullebens deutlich: Bunte, von Lehrerteams erstellte Kunstwerke und ein von Schüler:innen gestaltetes Tableau der „Global Goals“ strahlen den großen Eingangsbereich aus. Der Ton ist gesetzt: Offenheit, Transparenz, Aufgeschlossenheit und Teamwork zeichnen diese Schule aus!
Der Rundgang durch die Schule gab Einblick in drei Lerneinheiten: Im „Sterne-Projekt“, angekoppelt an „Lernen im Projekt“ des 6. Jahrgangs, setzten die Schüler:innen eigenständig mit Tanz und Bewegung ein selbstgewähltes Thema um: Dabei ging es – trotz des Besuches – lebhaft zu, Kreativität braucht halt lebendige Kommunikation zwischen den Schüler:innen! In der „Leselernzeit“ im 9. Jahrgang waren die Schüler:innen dagegen besonders ruhig und fokussiert. Sie lasen in selbst gewählten Büchern im Lernraum oder auf roten Sitzkissen im vorgelagerten Flur. Was für eine schöne, freundliche Atmosphäre – die unmittelbar zu kurzen Gesprächen zwischen der Ministerin und den Schüler:innen führte.
Im Ganztagsbereich erschließt sich, wieviel an Leben sich in dieser Schule täglich abspielt. In der Mittagszeit ist die Mensa stark ausgelastet – offensichtlich schmeckt das Essen prima. Noch einladender sah es im „Nelson’s Café“ aus, das im Rahmen des selbständigen Lernens von Förderschüler:innen der 7. bis 10. Klassen mit kleinen Mittagsgerichten betrieben wird und sehr regen Zuspruch erfährt.
Im Lehrerzimmer wurde die Teamstruktur der Schule deutlich: Alle Lehrpersonen sind dem Team einer Jahrgangsstufe zugeordnet; die Arbeitsplätze liegen nah beieinander, so dass ein schneller, enger Kommunikationsaustausch möglich ist. „Vertretungsstunden“ im bisherigen Sinne gibt es nicht mehr, da das jeweilige Lehrerteam in Eigenregie die „Vertretung“ regelt und die Schüler:innen ja an ihren Lernmaterialien selbständig lernen.
Frau Ministerin Feller betonte mehrfach, sie sei gekommen, um Anregungen einzuholen und zu lernen, was sie besser machen könnten. Ihre positive Rückmeldung an die Schule beinhaltete, dass dies eine besondere Schule sei, die zurecht mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet wurde.
Was fehlt an dieser Schule, um sich noch wohler zu fühlen und noch besser lernen zu können? Eigentlich nichts – dennoch gibt es Erfordernisse! So sind die Räumlichkeiten nicht originär für offene Lernformen konzipiert. Die Schülerbibliothek ist liebevoll und ansprechend eingerichtet, aber zu klein und jenseits von Digitalisierungsmöglichkeiten. Lernräume können zwar zu den Fluren hin ausgeweitet werden, aber das teilweise flexible Mobiliar muss aus Durchgangsgründen zu den Pausenzeiten wieder beiseite geräumt werden. Enge herrscht auch in anderen Räumen. Schulleitung und Kollegium setzen den räumlichen Problemen Nähe und Ansprechbarkeit für die Schüler:innen, Eltern und weiteren Mitarbeiter:innen deutlich entgegen. Aber neue Lernkonzepte erfordern auch Raum!
Übrigens: Die Nelson-Mandela-Gesamtschule ist eine ganz „normale“ Gesamtschule von Jahrgang 5 bis 13 mit etwa 800 Schüler:innen, davon 80 Förderschüler:innen und c a. 60 Prozent mit Migrationshintergrund.
Und sie ist wahrhaftig eine Schule zum „Wohlfühlen“ – ein „guter Ort“!