„Runter vom Gymnasium: Zahl steigt deutlich“

– so titelte das Hamburger Abendblatt am 28. Februar 2025. Gemeint ist die Zahl der Schulformwechsler, das ist die Behördenbezeichnung für die Kinder, die nach der sechsten Klasse in Hamburg das Gymnasium verlassen müssen. Das ist das Gegenteil von Inklusion und es ist bedrückend, dass diese Zahl wieder deutlich zugenommen hat.

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Die Bundesländer gehen verschiedene Wege, das Gymnasium als elitäre Bildungsorganisation zu bewahren; Einigkeit herrscht jedoch darin, dass diese teils drastischen Maßnahmen notwendig sind, um das gegliederte Schulwesen zu erhalten.

Eine der zentralen Forderungen der GGG ist es, dass alle Schulen ihre einmal aufgenommenen Schülerinnen und Schüler in ihrem System fördern und nicht rausschmeißen, wenn sie die gesetzten Standards nicht erreichen.

Es gibt Politiker, die diese lernpsychologische Katastrophe offensiv verteidigen, weil man nicht früh genug auf die harte Wettbewerbs-Realität unserer Gesellschaft vorbereitet werden könne. Viele sehen das Problem, aber sie rechtfertigen, reden ihre jeweilige Praxis schön oder versuchen sich in neuen Maßnahmen, um den „Zustrom“ – um in der aktuellen Sprache zu bleiben – zum Gymnasium zu begrenzen.

Hier drei aktuelle Beispiele:

  • Berlin: in diesem Jahr erfolgte die Einführung eines sogenannten Probeunterrichts/Probetages – das sind eigentlich Prüfungen – vor dem Eintritt ins Gymnasium für alle Schülerinnen, deren Notendurchschnitt schlechter als 2,2 ist, natürlich nur auf die so genannten Kernfächer Deutsch, Mathematik und Englisch bezogen. Von 1900 Schüler:innen bestanden 40. Damit wird das Gymnasium gegenüber vorheriger Praxis noch mehr abgeschottet, noch weniger inklusiv. Bisher war es so, dass Eltern von Schüler:innen mit einem Notendurchschnitt von 2,3 bis 2,7 das Recht hatten, ihre Kinder am Gymnasium anzumelden. Erst nach einem Schuljahr wurde dann entschieden, ob das Kind dort bleiben konnte oder nicht.
  • Baden-Würtemberg (BW): In diesem Jahr mussten sich die Viertklässler in BW erstmals flächendeckend einem einheitlichen Leistungstest unterziehen. Es gab schriftliche Prüfungen in Deutsch und Mathe. Der sogenannte Kompass-4-Test ist Bestandteil der neuen, strikten Grundschulempfehlung fürs Gymnasium. Nach dieser ist ein Wechsel zum Gymnasium nur dann möglich, wenn neben dem Elternwillen entweder das Testergebnis oder die Empfehlung der Klassenkonferenz dies erlauben. Damit soll verhindert werden, dass das G9, das vom nächsten Schuljahr an wieder zur Regel werden soll, überrannt wird. Die Lehrerverbände beklagen, dass die Testergebnisse überhaupt nicht mit ihrer Einschätzung der Kinder übereinstimme. Nur ca. 6% der Vierklässler erreichten im Mathematiktest das gymnasiale Niveau, weitere ca. 8% das mittlere Niveau. Schließlich erhielten ca. 51% der Schüler:innen eine gymnasiale Empfehlung von ihren Grundschullehrkräften. Aber es wird noch absurder. Schüler:innen, denen nach den genannten Kriterien kein Zugang zum Gymnasium möglich war, konnten sich einem weiteren sogenannten Potenzialtest unterziehen.
  • Hamburg: In Hamburg gibt es den Elternwillen für die Wahl der weiterführenden Schule in Jahrgang fünf. Nach Jahrgang sechs fällt aber die Klappe; die Kinder, die die Versetzung in die siebte Klasse am Gymnasium nicht schaffen, müssen raus.
    In jedem Jahr stellt die Partei „Die Linke“ eine kleine, parlamentarische Anfrage zur Aufklärung über die Entwicklung der Abschulungen. In diesem Jahr sind sie um circa 20 % gestiegen. Das bedeutet: wieder 20 % mehr Kinder, die gedemütigt ihre Klasse verlassen müssen, die an den neuen Schulen wieder die Lust am Lernen gewinnen müssen. Für die aufnehmenden Schulen bedeutet es Integration der vielen neuen Schülerinnen und Schüler, die Einrichtung von neuen Klassen, oder die Erhöhung der Klassenfrequenzen. Die Forderung der Linken in Hamburg, wenigstens sechs Gymnasien einen Schulversuch „Abschulschulungen beenden“ zu genehmigen, wurde von allen anderen Fraktionen der Bürgerschaft abgelehnt.

In allen Fällen sind die Folgen für die Kinder gleich: Angst vor dem Unterricht, Demütigung und das Erleben von Versagen in frühen Jahren.

In allen Fällen ist die Ursache für dieses gewollte und strukturelle Problem die gleiche: Der Kern des gegliederten Schulwesens besteht eben in Auslese und früher Selektion.

Erfreulich ist, dass sich in allen der genannten Bundesländer Kritik an dieser harten und demütigenden Selektionspraxis regt. Dennoch bleibt es ein steiniger Weg, den Ausbau und die Stärkung von Schulen zu erreichen, die ihre Schüler:innen behalten, fördern und nicht rausschmeißen und in denen der Schulerfolg eines jeden Kindes im Mittelpunkt steht.