Offener Brief an CDU und SPD, die Koalitions­verhandlungen zur Bildung
einer neuen Bundes­regierung führen

Erwartungen der Gemeinnützigen Gesellschaft Gesamtschule – Verband für Schulen des gemeinsamen Lernens e.V. zur Weiterentwicklung des Bildungssystems

Angesichts der tiefen Krise im deutschen Bildungssystem war es fahrlässig, dass das Thema Bildung im Wahlkampf kaum eine Rolle spielte.

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Wenn es doch einmal zur Sprache kam, wurde zunächst betont, dass der Bund hier nur begrenzte Kompetenzen habe. Gleichzeitig wurde anerkannt, dass der Bund in Zukunft eine stärkere Rolle übernehmen müsse. Genau das erwarten wir jetzt von Ihnen: Packen Sie es an!Tragen Sie dazu bei, die bekannten Probleme anzugehen und zu lösen – zum Wohle der nachfolgenden Generationen und der Gesellschaft insgesamt. Als Verband für Schulen des gemeinsamen Lernens konzentrieren wir uns auf den Schulbereich und formulieren hier unsere dringendsten Erwartungen:

• Starten Sie einen gesamtgesellschaftlichen Bildungsdialog!

Die letzte Bundesregierung hatte einen Bildungsgipfel angekündigt, dessen Umsetzung jedoch weit hinter den Notwendigkeiten zurückblieb. Eine grundlegende Neujustierung des deutschen Bildungssystems ist längst überfällig. Die Herausforderungen sind komplexer geworden: die weiterhin bestehende Bildungsungerechtigkeit, der unzureichend umgesetzte Anspruch auf ein inklusives Schulsystem und die mangelnde gesellschaftliche Durchlässigkeit des segregierenden deutschen Schulwesens. Zudem muss die Schule auf gesellschaftlichen, ökologischen und technologischen Wandel angemessen reagieren. Ein zeitgemäßer Bildungsauftrag ist dringend zu definieren.

• Tragen Sie bei zum Abbau der nach wie vor eklatanten Bildungsungerechtigkeit!

Internationale und nationale Studien belegen seit Jahrzehnten, dass Deutschland eines der ungerechtesten Bildungssysteme weltweit hat. Die gravierende soziale Ungleichheit beim Hochschulzugang ist klar belegt. Frühkindliche Bildungsmaßnahmen und das Startchancenprogramm sind richtige Schritte, doch nicht ausreichend. Neben einer Ausweitung des Programms auf mehr Schulen müssen die strukturellen Ursachen von Bildungsbenachteiligung behoben werden. Internationale Vergleiche zeigen: Je länger Schüler:innen gemeinsam lernen, desto geringer sind die sozialen Unterschiede beim Bildungserfolg.

• Erfüllen Sie die Verpflichtung Deutschlands zu einem inklusiven Bildungssystem!

Deutschland hat die UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) 2009 ratifiziert und ist damit verpflichtet, ein inklusives Bildungssystem zu schaffen. Dennoch bestehen in vielen Bundesländern weiterhin Parallelstrukturen aus Förderschulen und allgemeinbildenden Schulen. Der UN-Ausschuss hat Deutschland 2023 erneut für diese Praxis gerügt. Besonders Gymnasien verweigern sich oft der Inklusion mit dem Hinweis auf "zielgleiches Unterrichten". Hier besteht dringender Handlungsbedarf.

• Unterstützen Sie psychosozial belastete Schülerinnen und Schüler!

Vielfältige, zum Teil sich überlappende Krisen (Coronaepidemie, Kriegs- und Fluchterfahrungen, Armut) beeinträchtigen die psychische und körperliche Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Dazu belasten unzureichende sprachliche Integration und soziale Segregation ihre schulische Leistungsfähigkeit. Unterstützungsprogramme für psychologische Betreuungsangebote, Sprach- und Lernförderung sowie schulnahe Freizeitangebote sind notwendig.

• Vergeben Sie finanzielle Mittel vom Bund an die Länder sozialindexbasiert!

Bisher erfolgt die Verteilung von Bundesmitteln an die Länder nach dem Königsteiner Schlüssel, orientiert an Bevölkerungszahl und Wirtschaftskraft. Dies führt zu einer systematischen Benachteiligung strukturschwacher Regionen. Die Mittelvergabe muss sozialindexbasiert erfolgen, damit finanzielle Unterstützung dort ankommt, wo sie am dringendsten benötigt wird.

• Entwickeln Sie das Kooperationsverbot zu einem Kooperationsgebot weiter!

Die Bildungsprobleme Deutschlands können nur in einer gemeinsamen Kraftanstrengung von Bund, Ländern und Kommunen bewältigt werden. Das Kooperationsverbot im Grundgesetz verhindert jedoch eine nachhaltige Mitfinanzierung durch den Bund. Statt befristeter Projektförderungen braucht es langfristige Investitionen. Eine "Gemeinschaftsaufgabe Bildung" im Grundgesetz wäre ein wichtiger Schritt.

• Setzen Sie den Digitalpakt 2.0 zügig um und verstetigen Sie ihn finanziell angemessen!

Der Digitalpakt zwischen Bund und Ländern wurde in der vergangenen Legislaturperiode neu verhandelt, aber noch nicht rechtskräftig umgesetzt. Dies muss dringend nachgeholt werden. Zudem sind die bislang zugesagten Mittel nicht ausreichend. Eine dauerhafte Unterstützung der Länder durch den Bund ist erforderlich, um ein zukunftsfähiges Bildungssystem zu gewährleisten.

• Erhöhen Sie die Investitionen in Bildung und schaffen Sie ein Sondervermögen Bildung!

Laut der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) beläuft sich der Investitionsstau in Bildungsinfrastruktur auf 135 Milliarden Euro. Die Kommunen beziffern den Rückstand allein für Schulen auf 54,8 Milliarden Euro. Solche Summen lassen sich nur mit einem zweckgebundenen Sondervermögen Bildung bewältigen.

Darüber hinaus erwarten wir von der Regierung:

• Schaffen Sie Bedingungen zur Beseitigung der Kinderarmut!

Zu einer guten Kindheit und Jugend gehören sichere Lebensverhältnisse. Zu viele Kinder in Deutschland müssen unter prekären Verhältnissen aufwachsen. Eine finanzielle Grundsicherung ist eine Investition in die Zukunft der Kinder und damit auch in die Zukunft unseres Landes.

• Verankern Sie Kinderrechte im Grundgesetz!

Kinder haben besondere Bedürfnisse und verdienen besonderen Schutz. In Folge der demographischen Entwicklung werden Kinder und Familien zunehmend weniger politisch repräsentiert. Dabei sind jedoch Kinder und Familien für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft wichtiger denn je. Deutschland hat die UN-Kinderrechtskonvention unterzeichnet, doch deren Inhalte sind bisher nicht im Grundgesetz verankert. Deren Aufnahme würde sicherstellen, dass diese in der nationalen Gesetzgebung stärker berücksichtigt werden und Kinder als eigenständige Rechtssubjekte anerkannt sind. Langfristig führen Investitionen in Kinderrechte zu einer gerechteren Gesellschaft und besseren Entwicklungschancen für alle Kinder.

Verabschiedet vom Hauptausschuss der GGG, März 2025