Das große Glück ist manchmal ganz klein –

…und dann vielleicht bestenfalls auch nur ein kleines Glück

meint Andreas Tempel.

Kennen Sie die Geschichte von Herrn Tur Tur, dem Scheinriesen, aus Michael Endes Buch ‚Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer‘? Ist er weit weg, wirkt er riesengroß, je näher man ihm kommt, desto mehr schrumpft seine Person und steht man schließlich vor ihm, hat er eine normale Größe, wirkt er eher klein. Genauso verhält es sich mit dem Startchancen-Programm. In Berlin am Start wirkt es riesig, in Düsseldorf angekommen, wesentlich zierlicher und am Ziel, der Einzelschule, regelrecht klein.

Die für dieses Programm Verantwortlichen sind allerdings geradezu euphorisch. Bildungsgerechtigkeit werde nun umgesetzt – ein interessantes Eingeständnis, denn offenbar war es bis dahin nicht weit her damit. Fehlende Bildungsgerechtigkeit in einem maroden System haben wir mit unserem Verband allerdings ständig thematisiert. Wird jetzt endlich der außerordentliche Mangel an Lehrkräften angegangen?

Zum Schuljahresbeginn im August sind die ersten 400 der insgesamt 920 Startchancen-Schulen in NRW in das Programm gestartet. Die übrigen 520 Schulen sollen dann im Sommer 2025 folgen. Der Bund stellt dem Land im Rahmen des Programms in den kommenden zehn Jahren rund 2,3 Milliarden Euro zur Verfügung. Das Land muss seinerseits Mittel bis zu demselben Umfang investieren; die Summe ist allerdings keinesfalls gesichert. 60 Prozent des Geldes kommen Schülerinnen und Schülern im Primarbereich zugute, 40 Prozent Schülerinnen und Schülern in weiterführenden allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen.

Es dürfen erhebliche Zweifel angemeldet werden, ob diese Programme wirklich geeignet sind, die gewünschte Bildungsgerechtigkeit herzustellen – ohne weitere Maßnahmen auf jeden Fall nicht! Es bestehen sehr berechtigte Anfragen zur Nachhaltigkeit des Ganzen, einerseits während der zehn Jahre und andererseits für die Zeit nach 2034. Und ein weiteres bürokratisches Monstrum ist in diesem Zusammenhang zu befürchten, minimale Bürokratie eine Voraussetzung für das Gelingen. Eine Stellungnahme der Wübben-Stiftung entdeckt übrigens ebenfalls zahlreiche Knackpunkte, wenn es auch wissenschaftlich zurückhaltender formuliert wird: keine Abkehr vom Königsteiner Schlüssel für die beiden Säulen 2 und 3; intransparente Verteilung der Mittel auf die drei Säulen, zu flexible Anrechnungsmöglichkeiten der Länder bezogen auf ihren Eigenanteil, höchst ungerechte Verteilung der Bildungschancen wird nicht behoben (nachzulesen unter https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMST18-1661.pdf).

Das Aufsetzen des Startchancen-Programmes ist aller Ehren wert, aber es wirkt wie der Scheinriese Herr Tur Tur – ein eben kleiner Riese mit ausgeprägtem Normalmaß. Oder um es drastischer auszudrücken: Es wirkt wie ein Pflaster auf einer Wunde, die erst noch chirurgisch versorgt und genäht werden müsste.

Der Länderbericht erschien in Die Schule für alle 2024/4.

ALLE LÄNDERBERICHTE DSFA 2024/4