Begabungsförderung ist Teil der inklusiven Schulkultur in der Gesamtschule Münster Mitte.
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Wo Vielfalt auf Potenzial trifft
Begabungsförderung an der Gesamtschule Münster Mitte
Dagmar Kesting
Die Gesamtschule Münster Mitte (im Folgenden GeMM) gilt als Vorbild im Bereich der Begabungsförderung und bewegt sich in vielen Netzwerken, die sich zu dem Thema austauschen. Die GeMM ist überzeugt, dass individuelles Potenzial in jedem Kind schlummert. Doch wie lässt sich dieses Potenzial in einem Umfeld finden und fördern, das so heterogen ist?
Die Schule hat diese Herausforderung mit einem dynamischen, kreativen und vor allem inklusiven Konzept angenommen, das auf eine Förderung des ganzen Menschen abzielt. Geprägt von einer grundsätzlich potenzialorientierten Haltung jedem einzelnen Kind gegenüber, steht nicht nur die intellektuelle, sondern auch die soziale, emotionale und persönliche Entwicklung im Fokus.
Lehrkräfte und multiprofessionelles Team arbeiten hier eng zusammen, denn es geht darum, jedes Kind zu seiner nächstmöglichen Entwicklungsstufe zu begleiten, ungeachtet dessen, ob es im Vorfeld einen Förderbedarf oder einen hohen IQ attestiert bekommen hat.
Stärken – Potenziale – Begabungen
An der GeMM wird der Begabungsbegriff weit gefasst. Hier geht es um weitaus mehr als nur hohe schulische Leistungen. Begabung kann sich in allen Bereichen des schulischen Lebens und Erlebens zeigen. Durch ein professionelles System zur Identifikation von Stärken wird von Anfang an sensibel darauf geachtet, welches Potenzial Schülerinnen und Schüler in den unterschiedlichsten Bereichen mitbringen. Das macht einen stärkenorientierten Blick auf jedes einzelne Kind möglich, unter dem sich Selbstbewusstsein und Selbstwahrnehmung auf gesunde Art entwickeln können.
Mit dem „FairStärken“-Projekt beobachten die Lehrkräfte bereits in den ersten Wochen des 5. Schuljahres intensiv, wo besondere Fähigkeiten sichtbar werden. Im Rahmen dieses Programms ist auch vorgesehen, dass Schülerinnen und Schüler sich gegenseitig nominieren können und so einen positiven und wertschätzenden Blick auf die Stärken der anderen erlangen. So gelingt es, versteckte Talente, die vielleicht noch im Verborgenen liegen, frühzeitig zu entdecken, und im Prozess Vertrauen und Selbstvertrauen zu schaffen.
Ob im Verlauf der Schullaufbahn aus Stärken Potenziale werden und aus Potenzialen Begabungen, das ist zunächst unerheblich. Aus der Förderung heraus erwächst das, was möglich sein kann – und oft taucht Ungeahntes auf, das einem defizitorientierten Blick auf das Kind ewig verborgen bliebe.
Enrichment statt Elite: Immer im Flow bleiben
Ein entscheidendes Merkmal der Begabungsförderung an der GeMM ist, dass sie zu einem großen Teil innerhalb des regulären Unterrichts stattfindet. Das Stichwort lautet hier „Enrichment“, das alle Schülerinnen und Schüler während des gesamten Unterrichtsalltags miteinbezieht. Das selbstregulierte Arbeiten im „Lernbüro“ macht differenzierte Lernangebote möglich, aber auch Zusatzangebote wie die „Digitale Drehtür“ kommen hier zum Einsatz.
Für besonders interessierte und talentierte Schülerinnen und Schüler gibt es zusätzliche Herausforderungen, wie die „GeMM-Talente“ oder das „diFF-Projekt“, die außerhalb der regulären Klasse angeboten werden. Hier kann man sich in ein selbst gewähltes Projekt hineinvertiefen, allein oder mit anderen.
Die Angebote der inneren und äußeren Differenzierung sorgen dafür, dass niemand auf der Strecke bleibt, während Potenziale im eigenen Tempo und nach individuellen Fähigkeiten wachsen können. Im Flow zu bleiben, bedeutet dabei, Underachievement ebenso zu verhindern wie Angst durch Überforderung. Bei der Auswahl des richtigen Angebots hilft die wöchentliche, für jeden zugängliche Begabungssprechstunde.
Soziale Begabungen: Engagement und Verantwortung lernen
In einer Welt, die sich durch rasante technologische, gesellschaftliche und ökologische Veränderungen auszeichnet, gewinnt die Förderung von Talenten zunehmend an Bedeutung. Die GeMM hat erkannt, dass Begabungsförderung nicht nur darauf abzielen kann, individuelle Talente zu stärken, sondern auch darauf, junge Menschen auf die komplexen Herausforderungen der Zukunft vorzubereiten und ihre Stärken für die Gesellschaft nutzbar und relevant zu machen.
Mit einem visionären und dennoch längst überfälligen Ansatz, der Kreativität, kritisches Denken, soziale Verantwortung und die Stärken des Einzelnen in den Mittelpunkt stellt, macht die Schule sich zum Ziel, Kinder und Jugendliche zu befähigen, aktiv und im Team an der Lösung globaler Zukunftsprobleme mitzuwirken.
Im „GeMM4Future“-Projekt wird in Teams an den Nachhaltigkeitszielen gearbeitet. Mithilfe realistischer Zielsetzungen erfahren die Kinder Selbstwirksamkeit und Verantwortung für die eigene Umwelt.
Die „GeMM-Lesescouts“ haben sich zum Ziel gesetzt, im Peer-Mentoring-Verfahren andere Kinder zum Lesen zu motivieren. Gerade diejenigen, die zuhause kein gefülltes Bücherregal und keine Lesevorbilder haben, profitieren von diesem Projekt zur Förderung der Lesekultur. Aber auch die Lesescouts selbst setzen ihre Leidenschaft, ihr Talent, für den sozialen Zweck ein und schaffen Bildungsgerechtigkeit. Sie übernehmen Verantwortung und erfahren Selbstwirksamkeit und Wertschätzung.
Eine Schule für alle: Inklusion als Erfolgsfaktor
Die GeMM ist stolz auf ihr inklusives Konzept: Die Begabungsförderung findet in einer Schule statt, die sich der Heterogenität ihrer Schülerschaft bewusst ist. Dort, wo geflüchtete Kinder in DaZ-Kursen gefördert werden und das große Spektrum neurodiverser, sozial-emotionaler oder anderer Besonderheiten tagtäglich zum Thema wird, geht man davon aus, dass in dieser gesamten Bandbreite Begabungen zu finden sind. Begabte stehen hier nicht neben anderen, die entsprechend dann nicht begabt sein dürften, sondern alle an dieser Schule arbeitenden und lernenden Menschen verfügen über Begabungen, und es ist für alle vorteilhaft, diese zu sehen und zu entfalten.
Fazit: Begabungsförderung als gelebte Begabungskultur
Die Begabungsförderung an der Gesamtschule Münster Mitte zeigt, wie wichtig eine stärkenorientierte Haltung, gepaart mit einem weit gefassten Begabungsbegriff, gerade in heutiger Zeit ist. Begabungsförderung wird hier nicht als elitäres Projekt, sondern als inklusiver Prozess und nicht zuletzt als Teil der Schulkultur verstanden und gelebt. Die Schülerinnen und Schüler entwickeln sich nicht nur intellektuell ihren Potenzialen entsprechend, sondern wachsen auch emotional und sozial – in einer Umgebung, die sie als ganze Persönlichkeiten sieht und stärkt. Die GeMM lebt Begabungskultur, getreu ihrem Motto „Gemeinsam Erreicht Man Mehr“.
Weitere Informationen:
Artikel aus Die Schule für alle Heft 2024/4