Potenzialentwicklung für eine heterogene Schülerschaft – Lernbüros an der Comenius-Gesamtschule Voerde
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Heterogenität und Potezialentwicklung
– Lernbüros an der Comenius-Gesamtschule Voerde
Kirsten Baumeister
Heterogenität ist ein Wort, das in der Bildungsdiskussion nicht mehr wegzudenken ist, wenn es um Schwierigkeiten bei der bestmöglichen Förderung von Schüler:innen, aber auch, wenn es um die Begründung von neuen Lehr- und Lernansätzen geht.
Ein Konzept, das an vielen Schulen, auch an der Comenius-Gesamtschule Voerde, erfolgreich umgesetzt wird, um den Schüler:innen in ihrer Potenzialentwicklung besser gerecht zu werden, sind die Lernbüros.
Die Lernenden entscheiden über den Lernprozess
Unsere Lernbüros beziehen sich derzeit noch auf die Fächer Deutsch, Mathematik, Englisch und sind darauf ausgelegt, der Heterogenität unserer Schüler:innen, sowohl im Hinblick auf die Leistungsniveaus als auch auf individuelle Lerntypen, gerecht zu werden. Dies gelingt durch projektartiges Arbeiten in folgender Schrittigkeit:
Die Schüler:innen lernen in den Jahrgangsstufen 5 und 6 die Struktur der Lernbüros zunächst innerhalb des Klassenverbandes kennen und entwickeln ihre Reflexionskompetenz – bezogen auf den eigenen Lernprozess und Feedbackgespräche.
Ab Jahrgangsstufe 7 – derzeit ist das System bis Jahrgang 9 ausgebaut – entscheiden die Schüler:innen, welches Lernbüro (D, M, oder E) sie dreimal in der Woche (zweimal eine Doppel-, einmal eine Einzelstunde – im Band für den ganzen Jahrgang) besuchen.
Die Schüler:innen bestimmen selbst, wie sie dabei vorgehen. So besuchen einige z. B. die Fächer abwechselnd, während andere ihren Fokus zunächst auf ein fachbezogenes Projekt in einem Lernbüro legen, dieses abschließen, bevor sie sich dem nächsten widmen. In Austauschrunden mit Lehrkräften wird evaluiert, ob das Vorgehen dem Lernstand und Lerntyp entspricht und zum bestmöglichen Erfolg führt.
Wir legen Wert darauf, dass nicht Aufgaben schematisch „abgearbeitet“ werden. Deshalb verfolgen wir einen projektorientierten und deutlich prozessorientierteren Ansatz.
Das bedeutet, dass im Lernbüro ein produktorientiertes Projekt (z. B. ein Podcast, ein Lernspiel…) erstellt wird. Es gibt immer zwei Projekte zur Auswahl. Diese variieren in Sozialform, Methode und teils auch hinsichtlich des Schwerpunkts, um sowohl die Bandbreite der Lerntypen als auch die divergenten kognitiven wie fachlichen Kenntnisse berücksichtigen zu können. D. h. die Projekte sind so aufgebaut, dass unterschiedliche Leistungsniveaus berücksichtigt werden. Zudem wollen wir den Lernenden ermöglichen, individuelle Potenziale sowie Interessen einbringen und ausbauen zu können.
Doch wie gelingt das und vor allem, wie gestaltet sich bei aller notwendigen Berücksichtigung des Lernenden als Individuum die Notengebung?
Reflexion und Notengebung
In digitalen Taskcards können die Schüler:innen Hilfestellungen (Erklärvideos, Internetseiten, Tippkarten zu Methoden…) ebenso einsehen wie den Erwartungshorizont. Bei der Benotung werden die individuelle Dokumentation der Projektplanung und der Lernprozess berücksichtigt. So wird bei der Präsentation der Projektergebnisse mit Hilfe von Leitfragen der Lernprozess reflektiert: „Wo gab es Schwierigkeiten?“ „Was habe ich dazu gelernt?“ „Was mache ich beim nächsten Mal anders?“ Auch diese Reflexion findet Eingang in die Endnote. Dabei sind die Aspekte so gestaltet, dass die individuelle Entwicklung berücksichtigt werden kann. Da Teampartner:innen frei gewählt werden, können z. B. auch Schüler:innen mit dem Förderschwerpunkt Lernen mit leistungsstarken Schüler:innen ein Produkt gestalten. Selbstverständlich wird das in der Bewertung berücksichtigt: zum einen durch die individuelle Dokumentation der Projektplanung, zum anderen durch die vorgegebene Fokussierung auf den eigenen Lernprozess in der Phase der Präsentation.
Feedback durch Meilensteingespräche
Um sicherzustellen, dass die Schüler:innen nicht erst am Schluss mit einem nicht zufriedenstellenden Ergebnis konfrontiert und damit demotiviert werden, wird vor dem Beginn der Produkterstellung ein Meilensteingespräch mit den betreuenden Lehrkräften geführt.
Dabei fokussiert das persönliche Gespräch auf den aktuellen, individuellen Leistungsstand und die Schritte, die zum Erstellen eines angemessenen Produktes notwendig sind. Hier werden spezifische Hilfestellungen zur Vertiefung oder Motivationshilfen gegeben. Es kommt vor, dass bisherige Ergebnisse überarbeitet werden müssen. Wichtig ist uns dabei aufzuzeigen, dass Fehler Teil des Lernprozesses sind und ohne sie ein Fortschritt nur bedingt gelingen kann.
Gleichzeitig ist durch die Taskcards (z. B. durch Links, die tiefergehende Informationen enthalten) und den Austausch mit den Lehrkräften sichergestellt, dass alle Schüler:innen, gerade auch leistungsstärkere, ihr Potenzial ausschöpfen, sich weiterentwickeln, das Projekt proaktiv ausgestalten und sich nicht mit dem Minimum zufriedengeben.
Durch die schriftliche Dokumentation aller Arbeitsschritte, auch des Meilensteingespräches, kann – basierend auf dem individuellen Leistungsstand zu Beginn des Projektes – der Heterogenität der Schülerschaft Rechnung getragen werden.
Neue Verantwortung für Lehrkräfte und Lernende
Selbstverständlich erfordert diese Art des Lehr- und Lernprozesses ein Umdenken der Lehrkräfte hinsichtlich der persönlichen Haltung und des eigenen Rollenverständnisses. Das ist aber nicht die einzige Herausforderung, der sich Schule in diesem Zusammenhang, in einem solchen Entwicklungsprozess, einem Aufbrechen der tradierten Strukturen, stellen muss.
Neben dem Wechsel der Lehrerperspektive, weg von der klassischen Lehrerrolle als reiner Wissensvermittler hin zum Berater, Lerncoach… , stellen sich auch neue Herausforderungen auf Seiten der Schüler:innen: Das Reflexionsvermögen der Schüler:innen muss weitergehend geschult werden, eine Erziehung hin zur stärkeren Übernahme von Verantwortung für den eigenen Lernprozess (z. B. „Welche Hilfestellung in der Taskcard hat für mich Relevanz?“) muss erfolgen, und ebenso eingeübt werden, wie Fehler als legitimen Teil des Lernprozesses zu sehen – eine Einsicht, die durch die Erziehung mit dem Rotstift in Schulen systematisch abtrainiert wurde.
Weitergehende Perspektiven
Trotz der Herausforderungen – neben dem Aufwand bei der Erstellung der Projektpfade – haben wir im Interesse unserer heterogenen Schülerschaft weitergehende Perspektiven, die wir verfolgen:
- Digitale Lernbüros und damit auch Schulung des Umgangs mit digitalen Medien,
- Erweiterung des projekt- und prozessorientierten Lernbürokonzeptes in der Sekundarstufe I auf weitere Fächer(gruppen),
- Vernetzung mit dem Konzept der Fachlernzeiten (Wissenserwerbfokussierung) in der Oberstufe.
Weitere Informationen:
Artikel aus Die Schule für alle Heft 2024/4