Die folgenden Artikel aus Die Schule für alle Heft 2025/4 sind Beiträge der Rubrik "SchuleImFokus". Hier berichten Schulen, wie sie mit den digitalen Herausforderungen umgehen.
Starke Schulen fördern Stärken
Zum Herunterladen steht Ihnen die ganze Rubrik SchuleImFokus mit allen Artikeln zur Verfügung.
K. Schneider: 'Es ist gut, wie es ist!' – Richtsbergschule Marburg
Lernen mit digitalen Hilfsmitteln – so sehen es Jugendliche der Richtsbergschule in Marburg
Ein Gespräch mit David, Wanja, Ida, Oskar und Johan
hier lesen
Konstanze Schneider im Gespräch
Mit dem nachfolgenden Interview wollen wir zum Thema unseres Magazins auch Schülerinnen und Schüler zu Wort kommen lassen. Das Gespräch führte ich mit einer Gruppe von Jugendlichen aus dem Jahrgang 9/10 der Richtsbergschule in Marburg, einer integrierten Gesamtschule in Mittelhessen.
Einen ausführlichen Bericht und das Portrait der Richtsbergschule finden Sie im Magazin „Die Schule für alle“ 2020/1 auf S. 15ff.
Die Richtsbergschule hat seit 2019 ihr Lernkonzept verändert und arbeitet mit dem PerLenWerk (personalisierte Lernumgebung mit Werkstätten), jahrgangsübergreifend, mit individuellen Stundenplänen und Arbeitsplätzen für die Schülerinnen und Schüler. Sie ist gebundene Ganztagsschule und Kulturschule des Landes Hessen.(www.richtsbergschule.de) Die fünf Jugendlichen aus den Jahrgängen 9 und 10 lernen und arbeiten seit ihrem Start in der Richtsbergschule nach diesem Konzept
Sie besitzen alle ein Handy, das IPad für die Schule – das Pflicht ist und erworben werden muss – teilweise einen PC und nutzen die digitalen Möglichkeiten ihrer Familien, um zu spielen, Filme zu schauen und mit Freunden zu kommunizieren. Selbstkritisch schätzen sie ihre nicht-schulische Zeit an den digitalen Geräten auf 20–30 Stunden pro Woche. Drei der fünf jungen Leute lesen zurzeit ein Buch.
Eure Handys werden seit diesem Schuljahr morgens eingeschlossen. Wie ist das für euch?
Oskar: Ich finde das gar nicht schlimm. Vorher durften wir es auch nicht benutzen. Auf dem IPad kann man auch einiges machen.
Ida: Am Schultag brauche ich es nicht.
Wanja: In der Schule sind die Freunde, wenn ich alleine bin, brauche ich es mehr.
Wie ist euer Lernen in der Richtsbergschule organisiert und wie verwendet ihr das IPad?
Oskar: Jeder hat sein eigenes IPad und z. B. in Mathe haben wir eine App, da finden wir die Aufgaben, wir tippen sie ein. Rechnungen kann man entweder auf dem geteilten Bildschirm direkt machen oder auf einem Block wie früher.
Johan: Wir arbeiten meistens auf dem IPad und schicken, wenn wir alles bearbeitet haben, dem Lernbegleiter unsere Ergebnisse z.B. über Good Notes.
Wanja: Seit dem 10. Schuljahr schreiben wir zentrale Klassenarbeiten, meistens auf Papier. Vorher waren es Gelingensnachweise, die wir individuell angemeldet haben. Die waren auch auf Papier. Jetzt kann unsere Lehrerin z. B. in Mathe auf ihrem Bildschirm unsere Bildschirme sehen und nachverfolgen, wie wir arbeiten. Das geht digital.
Ida: Wir können uns auch aussuchen, ob wir auf dem IPad oder auf Papier schreiben. Meine Fremdsprachenlehrerin möchte, dass wir auch auf dem IPad nicht nur tippen, sondern auch mit dem Stift schreiben.
Wie seid ihr auf die andere Art des Arbeitens mit digitalen Medien vorbereitet worden?
Johan: Im 5. Schuljahr gab es eine Einführungswoche zum Umgang mit Medien. Da haben wir das Wichtigste gelernt. Man lernt es dann auch mit den anderen.
David: Ich kam erst später in die Richtsbergschule. Mir hat meine Lehrerin die wichtigsten Dinge gezeigt und erklärt und ich habe mir das nach und nach angeeignet. Es gibt auch genaue Vorgaben der Schule, wie die IPads gestaltet sein sollen und welche Apps erlaubt sind.
Welche Vorteile seht ihr bei der Gestaltung von Lernen, wie ihr sie hier erlebt?
Johan: Ich mache die Erfahrung, dass ich mich nicht so schnell ablenken lasse. Man lernt viel für die Medienkompetenz, wie man z. B. verschiedene Programme benutzt. Das braucht man später bestimmt im Beruf.
Oskar: Ich finde die Vielfältigkeit gut. Man hat auch Zugriff auf andere Lernprogramme und kann sich informieren. Außerdem kann man über den Chat mit den Lernbegleitern immer kommunizieren und bekommt Antwort und Hilfe. Früher hätte man sie anrufen müssen, was nicht alle wollen.
David: Für mich ist der große Vorteil beim digitalen Lernen, dass wir keine Bücher rumschleppen müssen, sondern alles auf dem IPad dabei haben. Das ist wirklich praktisch.
Ida: Da möchte ich direkt anschließen: Man verliert weniger Sachen. Wenn man seine Daten gut verwaltet, findet man alles wieder, auch durch die Cloud.
Wanja: Wenn man das IPad verliert oder vergisst, dann kann es blöd werden. Man kann dann an dem Tag schlecht mitarbeiten. Deshalb kommt das kaum vor. Das IPad gehört einfach dazu.
Seht ihr auch Nachteile?
Ida: Man kann sich sehr, sehr leicht ablenken lassen. Durch die ManagedAppleID ist es besser geworden. Aber man kann nebenbei ein YouTube-Video schauen oder etwas malen.
Wanja: Ich weiß noch, in der 5. Klasse konnte ich nicht damit umgehen, da konnte man sich noch Spiele runterladen.
David: Ich glaube es ist einfach ungesünder, den ganzen Tag auf den Bildschirm zu schauen. Das strengt die Augen an.
Johan: Je älter man wird und je ernster die Schule wird, desto weniger kann man es sich leisten, sich ablenken zu lassen. Ab der 8. Klasse ist das einfach so.
Ida: Ich finde, dass die Regelung mit den farbigen Ausweisen (siehe Konzept der IGS Richtsberg), die angeben, wo man sich aufhalten darf, hilft, konzentrierter zu arbeiten. Wenn ich meinen Arbeitsplatz frei wählen kann, das gefällt mir gut.
Eure Schule ist Ganztagsschule, wie sieht es mit der Lernzeit und Hausaufgaben aus?
David: In den Jahrgängen 5–8 gibt es Lernzeitaufgaben, die wir hier in der Schule machen.
Oskar: In der Zeit waren es nicht so viele Aufgaben, das war gut zu schaffen. Aber seit der 9. Klasse ist es sehr viel Stoff geworden. Dazu reicht die Lernzeit nicht aus. Deshalb finde ich, dass wir ab der 9 Klasse weniger Lernzeit, aber dafür mehr Unterricht haben sollten.
Johan: Es wird immer davon ausgegangen, dass wir alle super schlau sind, konzentriert durcharbeiten und 100 % der Zeit produktiv sind und das für alle Fächer, wenn man nicht so ist, dann ist der Inhalt einfach zu viel.
Ida: Unsere Woche ist ziemlich vollgeklatscht, wir haben 90 Minuten ‚Puffer’ im Stundenplan, aber das reicht nicht, um alles zu erledigen. In Klasse 5–8- war alles sehr entspannt, das ist jetzt anders.
Wanja: Es ist schon schwer, sich immer zu konzentrieren, mit den Freunden drum herum, das lenkt schon ab.
Oskar: Wir sind wirklich sehr durchgetaktet, vor allem, wenn Arbeiten geschrieben werden, die ja jetzt zentral stattfinden. Wenn man noch Bus fahren muss und auch im Sportverein aktiv ist, dann wird es abends oft spät.
Wie wird hier mit dem Thema künstliche Intelligenz umgegangen?
Johan: Es kommt auf den Lehrer an. Manche sind sehr streng und verbieten die Nutzung. Andere sind entspannt und sehen den Vorteil, dass wir lernen, KI zu nutzen und damit umzugehen.
Ida: Es ist doch so, dass wir bei den neuen IPads ChatGPT als App drauf haben?! Manche Lernbegleiter sind da total unentspannt, andere sagen, z. B. in Spanisch lass‘ mal KI deinen Text korrigieren. Aber da habe ich den Text ja selber geschrieben.
David: Genau, es kommt auf das Fach an: z. B. in Deutsch zum Thema Sachtexte kann KI meinen Text korrigieren und ich sehe meine Fehler. Aber in Mathe geht das nicht
Wanja: Ich nutze ChatGPT zur Recherche oder lasse mir helfen, wenn ich nicht weiter weiß oder lasse mir Lernvideos empfehlen. Natürlich kann man sich Hausaufgaben machen lassen, aber da muss man sich selber sagen, dass das nicht schlau ist. Denn es fehlt dann die Übung für die Lernkontrollen.
Welche Botschaft habt ihr an eure Lehrer und Lehrerinnen?
David: Ich finde, unsere Lehrer machen das ganz gut. Ich wüsste nicht, was sie verbessern sollten.
Wanja: Unsere Lehrer sind auch sehr fit mit den digitalen Geräten. Manchmal muss man ihnen bei Apple TV helfen oder sie fragen, wer kennt sich hier aus und wir unterstützen sie.
Johan: Schule sollte helfen, das zu unterstützen, was man gut kann. Es sollten alle zusammen lernen und es soll nicht immer nur um Leistung gehen.
David. Lehrer sollten Nächstenliebe zeigen und nicht zu streng sein. Die Lehrer waren doch auch alle mal Schüler, das sollten sie bedenken. Bei uns gibt es ein gutes Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern, das ist gut so.
Artikel aus Die Schule für alle Heft 2025/4
L. Ritzka: Vernetzt lernen – Leonardo da Vinci Campus Nauen
Sport- und Kreativitätsgesamtschule des Leonardo da Vinci Campus in Nauen
Lernen ein Abenteuer – in offenen Lernlandschaften mit digitaler Lernumgebung
hier lesen
Linda Ritzka
„Wir lernen nicht nur mit Tablets – wir gestalten unsere Lernwelt selbst.“
Dieser Satz einer Zehntklässlerin bringt auf den Punkt, was an der Leonardo da Vinci Gesamtschule längst Realität ist: Digitalität ist hier kein Schlagwort, sondern gelebter Alltag. Tablets, Lernplattformen und projektbasiertes Arbeiten verbinden Unterricht, Partizipation und digitale Kompetenzen – mit messbaren Lernerfolgen und praxisnahen Lernsettings.
Digitalität wird heute nicht mehr ausschließlich als Fortschrittsversprechen gefeiert, sondern zunehmend kritisch – gerade im Bildungsbereich – diskutiert. Nach Jahren intensiver Bemühungen, Schulen umfassend zu digitalisieren, ziehen sich inzwischen erste Länder wieder spürbar zurück. Umso dringlicher stellt sich die Frage: Wie lassen sich digitale Technologien sinnvoll und nachhaltig in den Schulalltag einbinden – über die bloße digitale Kopie von Schulbüchern hinaus? Wie entfaltet der Computer sein pädagogisches Potenzial als Lern- und Arbeitswerkzeug?
Ein Campus, ein Leitbild
Unsere Gesamtschule ist Teil eines lebendigen Campus, der Bildung und Betreuung von der Kita bis zum Abitur vernetzt. Wohngruppen, Hort und Ganztagsangebote schaffen einen durchgängigen Bildungs- und Lebensraum, in dem Kinder und Jugendliche nicht nur fachlich gefördert, sondern auch sozial gestärkt werden. Dieses Campusmodell prägt unser Leitbild: Lernen und Leben gehören zusammen – verlässlich, inklusiv und zukunftsorientiert.
Rund 420 Schüler:innen lernen derzeit in der Mittel- und Oberstufe der Gesamtschule – in kleinen, gut betreuten Tutorien. Schon in der Mittelstufe können sie eigene Schwerpunkte setzen: kreative Profile wie Kunst oder Musik, Sport oder MINT. Zusätzliche Ganztagsstunden bieten Raum, Talente zu entfalten und eigene Interessen zu vertiefen. Kunstausstellungen, Konzertabende und sportliche Erfolge sind sichtbarer Ausdruck einer lebendigen Schulkultur.
Unsere Vision – erste Schritte
Unser Unterricht nutzt digitale Werkzeuge nicht als Selbstzweck, sondern als Chance, individuelle Lernwege zu eröffnen, Zusammenarbeit zu stärken und junge Menschen zu kritisch denkenden Gestalter:innen einer vernetzten Zukunft zu befähigen.
2016 starteten wir den Weg in die Digitalität: Lehrkräfte erhielten dienstliche Laptops, Schüler:innen brachten eigene Geräte mit. OneNote ersetzte Hefte und Bücher, „Teams“ wurde zur Kommunikationsplattform. Von Beginn an verabschiedeten wir uns von vorgefertigten Materialien der Schulbuchverlage und entwickelten passgenaue Inhalte für unsere heterogenen Lerngruppen. Projektorientiertes Arbeiten wurde früh zum Markenzeichen unseres Schulkonzepts.
Dann kam die Corona-Pandemie. Während vielerorts Stillstand herrschte, blieben wir handlungsfähig: Kinderzimmer und Küchen wurden zu Klassenräumen, gemeinsames Lernen und Prüfen fand nahtlos über Bildschirme statt. Die etablierten digitalen Strukturen trugen – der Bruch fiel vergleichsweise gering aus.
Neue Wege: Lernen neu gedacht
Doch wir wollten mehr: 2023 wagten wir den nächsten großen Schritt und brachen Mauern ein, im übertragenen wie im wörtlichen Sinn. Wer Lernen neu denkt, muss auch die äußeren Rahmenbedingungen verändern.
Klassische Klassenräume wichen offenen Lernlandschaften mit Gruppentischen, Lernnischen und Ruheräumen. Starre 45-Minuten-Takte wurden abgelöst von großzügigen Freiarbeitsphasen, flexiblen Kurswahlen und individuellen Lernplänen, die auf unterschiedliche Leistungsniveaus eingehen.
Die Fächer sind heute kompetenzorientiert modularisiert und um projektbasierte Alternativen ergänzt. Zu Beginn des Schuljahres erhalten die Schüler:innen eine Übersicht mit allen Modulen, Gelingensnachweisen und Prüfungsformaten. In wöchentlichen Einzelgesprächen planen sie gemeinsam mit ihrer Tutorin oder ihrem Tutor, welche Materialien sie bearbeiten und wann sie Prüfungen ablegen.
Unsere digitale Lernumgebung bildet dafür den organisatorischen Kern: Sie bündelt Kurspläne, Materialien und Lernfortschritte. Ein Graduierungsmodell (Level A–E) zeigt den aktuellen Stand der Eigenständigkeit und steuert, wie eng die Tutor:innen begleiten.
Zu Schuljahresbeginn buchen die Schüler:innen über die Plattform ihre Nebenfächer – aus Gesellschafts- und Naturwissenschaften sowie den Kreativbereichen – und wählen selbst, bei welchen Lehrkräften und in welchen Lerngruppen sie arbeiten möchten. In den Hauptfächern Deutsch, Englisch und Mathematik übernehmen sie ebenfalls Verantwortung: Viermal im Jahr wählen sie ihre Kurse neu. Ein Teil der Unterrichtszeit fließt in diese Kurse, der Rest des Stundenkontingents in pädagogisch begleitete Freiarbeit: Das wären beispielsweise bei Deutsch oder Englisch je 1 Stunde Lektüre-/Kommunikationskurs die Woche und 3–4 h Freiarbeit; bei Physik oder Chemie wären es je 1 h Experimentierkurs und Freiarbeit.
Gelernt wird auf dem sogenannten „Marktplatz“: einer offenen Fläche mit fachspezifisch gestalteten Zonen – Deutsch mit kleiner Bibliothek, Mathematik mit Lernkästen zur Visualisierung theoretischer Konzepte, Englisch mit Lektüren und Lernhilfen. Jede Zone wird von Fachlehrkräften begleitet, die individuell unterstützen und Impulse geben. Das digitale Material ist auf den Endgeräten der Lernenden stets verfügbar – jederzeit und überall.
Auch die Leistungserbringung passt sich unserem digitalen und heterogenen Lernkonzept an. Einen wachsenden Anteil bilden prozessbegleitende und kooperative Leistungen, die den unterschiedlichen Lernwegen gerecht werden: Leistungen zeigen sich in authentischen Formaten – von Portfolios, digitalen Zeitungsartikeln und Forschungsprotokollen bis zu multimedialen Präsentationen oder digital gestützten Fachgesprächen. Neue Prüfungsformate machen Lernstände transparent und ermöglichen eine differenzierte, flexible Bewertung, die individuelle Stärken sichtbar werden lässt. So wird deutlich: Digitalität eröffnet Räume, in denen Heterogenität nicht als Herausforderung, sondern als Chance für vielfältige, passgenaue Leistung sichtbar wird.
Ohne diese digitale Lernumgebung wäre ein so hohes Maß an eigenständigem und verantwortungsvollen Lernen kaum denkbar. Erst sie ermöglicht , dass Schüler:innen ihre Kurse selbst wählen, nach Leistung und Interesse differenziert arbeiten und ihren Lernweg individuell gestalten können. Unser adaptives Unterrichtskonzept gewinnt durch digitale Werkzeuge entscheidend an Flexibilität – und macht personalisiertes Lernen im Alltag überhaupt umsetzbar.
Erfahrungen, Chancen, Perspektiven
Der Weg war nicht immer einfach. Manche Schüler:innen fühlten sich von der neuen Eigenverantwortung zunächst überfordert, manche Eltern fürchteten, ihre Kinder könnten beim Lernen allein gelassen werden, und auch Lehrkräfte hinterfragten den zusätzlichen Aufwand. Doch wir nahmen diese Bedenken ernst, schufen Räume für Austausch und Beteiligung und überzeugten die meisten, den Weg mit uns zu gehen.
Heute gestalten die Kolleg:innen den Unterricht dank digitaler Möglichkeiten interaktiver, inklusiver und individueller. Zugleich haben wir gelernt, dass nicht jede Lernphase von Digitalität profitiert: Wenn die 37. PowerPoint-Präsentation im Schuljahr abgespeichert wird oder Arbeitsblätter nur noch als PDFs erscheinen, verpufft der Mehrwert. Entscheidend ist der sinnvolle Einsatz – Qualität vor reiner Quantität.
Unsere nächsten Entwicklungsschritte liegen in der weiteren Ausweitung projektbasierter Lernformate und darin, auch die Oberstufe vollständig in das adaptive Lernkonzept einzubeziehen. Die ersten Jahrgänge, die ausschließlich mit dem neuen Modell aufgewachsen sind, erreichen nun die Sekundarstufe II und erwarten konsequente Weiterentwicklung.
Blick nach vorn
Digitale Medien sind für uns kein Trend, sondern ein Schlüssel, um die Zukunftskompetenzen von Schüler:innen und Lehrkräften zu stärken: kritisches Denken, Kreativität, Teamfähigkeit und die Fähigkeit, sich in einer vernetzten Welt sicher zu bewegen.
Dabei muss niemand ein „Digital-Nerd“ sein. Entscheidend ist der Mut, Neues auszuprobieren, Lücken zu akzeptieren und aus Erfahrungen zu lernen. Digitalität in der Schule ist kein fertiges Produkt, sondern ein lebendiger Prozess. Wir evaluieren, justieren und entwickeln uns weiter. So bleibt Lernen ein offenes Abenteuer – für unsere Schüler:innen ebenso wie für uns als Lehrkräfte.
Artikel aus Die Schule für alle Heft 2025/4
R. Hahn: Erfahrungen mit KI in einer Schule mit schwierigem Umfeld – Grund- und Gemeinschaftsschule am Brook Kiel
Die Grund- und Gemeinschaftsschule am Brook in Kiel-Gaarden
KI – eine echte Chance für neue Formen des Lernens und zur Überwindung von Sprachbarrieren
hier lesen
Roy Hahn
Die Gemeinschaftsschule selbst wurde im Schuljahr 2010/2011 gegründet, als die damalige Haupt- und Förderschule am Standort Brook – das ist ein kleiner Wasserlauf – zu einer der ersten Gemeinschaftsschulen in Kiel umgewandelt wurde. Sie ist eine offene Ganztagsschule und bietet den Ersten allgemeinbildenden und den Mittleren Schulabschluss an sowie eine „Clever-Kooperation“ mit den regionalen Berufsbildungszentren (Fachhochschulreife, Allgemeine Hochschulreife).
Nach der Zusammenlegung mit der Grundschule, deren Fusion in diesen Wochen stattfindet, hat die Gemeinschaftsschule aktuell 36 Klassen, inkl. DaZ, und insgesamt 760 Schülerinnen und Schüler.
An der Gemeinschaftsschule am Brook in Kiel-Gaarden nutzen wir KI im Unterricht zur Überwindung von Sprachbarrieren, zur Vertiefung des Textverständnisses und zur Förderung von Diskussionen. Damit verbunden sind mehr Teilhabe, Zeitgewinn und neue Formen des Lernens – immer auch mit Fokus auf die kritische Nutzung von KI.
Als wir an der Gemeinschaftsschule am Brook in Kiel-Gaarden vor gut einem Jahr den offiziellen Zugang zu ChatGPT über die landeseigene Plattform OPSH bekamen, war ich neugierig und höchst motiviert. Kiel-Gaarden ist ein Ausnahmestadtteil – bunt, lebendig, aber auch von sozialen Herausforderungen geprägt, wie man sie in Schleswig-Holstein selten findet. Unsere Schule ist Teil des Startchancen-Programms (früher in Schleswig-Holstein bekannt als Perspektiv Schulen) und wir stehen täglich vor besonderen Aufgaben: Viele Schülerinnen und Schüler wachsen mehrsprachig auf, viele Familien leben in schwierigen sozialen Verhältnissen und die sprachlichen Hürden im Unterricht sind hoch. Für den Unterricht bedeutet das: Oft liegt das eigentliche Problem nicht im fehlenden Fachwissen. Ich erlebe Jugendliche, die komplexe Zusammenhänge verstanden haben, diese aber nicht ausdrücken können. Genau an dieser Stelle hat die Arbeit mit KI in den letzten Monaten einen Unterschied gemacht.
KI im Literaturunterricht
Besonders deutlich wurde mir das bei der gemeinsamen Lektüre eines Jugendbuchs – „Der aus den Docks“ - im vergangenen Halbjahr im Jahrgang 8. Wir hatten uns im Jahrgang auf ein Werk geeinigt, das sprachlich durchaus anspruchsvoll ist. Für einige Schülerinnen und Schüler war das zunächst eine große Hürde. Ich konnte ihnen die Fremdwörter erklären und wichtige Passagen paraphrasieren, aber das reichte nicht immer aus, damit sie wirklich ins Gespräch über den Text kamen.
Hier setzten wir den Chatbot ein. Gemeinsam mit den Jugendlichen ließen wir uns einzelne Absätze in eine einfachere Sprache übertragen. Manche baten sogar darum, schwierige Stellen in ihre Muttersprache zu übersetzen, um sicherzugehen, dass sie den Inhalt richtig verstanden hatten. Andere stellten dem Chatbot gezielte Fragen: „Warum verhält sich die Figur so?“ oder „Was bedeutet dieser Ausdruck in der Situation?“ Aus diesen Nachfragen entstand plötzlich eine lebendige Diskussion. Die Jugendlichen begannen, sich über die Handlung auszutauschen, ihre Meinungen zu vergleichen und Argumente zu entwickeln. Das wäre ohne die Unterstützung kaum in dieser Intensität möglich gewesen.
Ein Beispiel ist mir dabei besonders wichtig: Ich hatte Teile des Buches in den ChatBot eingespeist, sodass die Schülerinnen und Schüler ihre Fragen in ihrer eigenen Sprache stellen konnten – egal ob auf Türkisch, Bulgarisch oder Arabisch. Für mich allein wäre das schlicht unmöglich gewesen. Natürlich ersetzt das nicht die Notwendigkeit, Deutsch zu lernen. Aber Deutschunterricht ist viel mehr als nur Grammatik und Rechtschreibung. Es geht auch um die Auseinandersetzung mit Kulturgütern und um die Frage, wie man Motivation fürs Lesen weckt. Ist die Grundvoraussetzung des Verstehens nicht gegeben, ist das Begeistern für die Sprache an sich nahezu unmöglich. Genau hier hat mir die KI wertvolle Unterstützung geleistet.
KI im Physikunterricht
Ein zweites Erlebnis hatte ich in meinem Physikunterricht, ebenfalls im 8. Jahrgang. Es ging um Elektrizitätslehre. Normalerweise ist das Beschäftigen mit Physikgeschichte ein eher mühsames Unterfangen. Mit ChatGPT konnte ich jedoch Bots erstellen, die sich als historische Physiker ausgegeben haben. Die Schülerinnen und Schüler haben Interviews mit diesen „Physikern“ geführt und anschließend Präsentationen erstellt, die ich bewertet habe. Die Kinder hatten Spaß dabei, und gleichzeitig wurden Aspekte der Medienbildung ganz nebenbei interdisziplinär mitgefördert. Für viele war das ein völlig neuer Zugang zu einem Fach, das sie sonst oft nur über Formeln und Experimente wahrnehmen.
Solche Erfahrungen zeigen mir, welches Potenzial in der Nutzung von KI liegt. Es geht nicht darum, den Schülerinnen und Schülern die Arbeit abzunehmen oder ihnen fertige Lösungen zu liefern. Vielmehr geht es darum, ihnen Werkzeuge an die Hand zu geben, mit denen sie ihre eigenen Fähigkeiten besser entfalten können. Wo früher Sprachbarrieren eine Mauer bildeten, können wir sie nun zumindest teilweise einreißen.
Natürlich profitiere auch ich als Lehrkraft. Arbeitsblätter, Wortlisten oder differenzierte Aufgabenstellungen kann ich mir mit Unterstützung der KI schneller erstellen lassen. Vor allem aber schafft es Zeit. Und Zeit ist in der Bildung eine Ressource, die stets knapp ist. Mit etwas mehr Zeit kann eine Lehrkraft dem eigentlichen Kerngeschäft besser nachgehen: der persönlichen Kommunikation mit den Schülerinnen und Schülern. Ich habe außerdem erlebt, dass nahezu das gesamte Kollegium offen für die neue Technologie ist. Während einige sie nur gelegentlich nutzen, um Aufgabentypen zu variieren oder Beispielsätze zu erzeugen, setzen andere die KI bereits viel umfassender ein. Genau darin liegt die Stärke dieser Werkzeuge: Sie lassen sich so nutzen, wie es zum eigenen Unterrichtsstil passt.
KI-Antworten überprüfen
Es wäre allerdings nicht richtig zu behaupten, dass alle Schülerinnen und Schüler stets hervorragende Ergebnisse erzielt haben. In einer Einheit waren die Ergebnisse unzureichend, weil sich einige zu sehr auf die Antworten der KI verlassen hatten, ohne sie kritisch zu prüfen. Genau diese Erfahrung hat bei vielen die Augen geöffnet. Seitdem ist das Überprüfen und Faktenchecken von KI-Antworten für die Schülerinnen und Schüler zunehmend zur Selbstverständlichkeit geworden. ChatGPT ist nämlich bei Weitem nicht unfehlbar. Manchmal sind die Antworten ungenau, manchmal schlicht falsch. Und immer schwingt die Gefahr mit, dass Schülerinnen und Schüler Ergebnisse ungeprüft übernehmen. Deshalb ist es für mich zentral, mit ihnen darüber zu sprechen, wie die KI funktioniert, wo ihre Grenzen liegen und warum man niemals alles für bare Münze nehmen darf.
Einer Tatsache müssen wir jedoch alle in die Augen blicken: KI wird von den Jugendlichen ohnehin genutzt – ob wir wollen oder nicht. Wenn wir das Thema im Unterricht ausklammern, überlassen wir sie ihren eigenen Erfahrungen, ohne Orientierung oder Korrektur. Das halte ich für gefährlich. Schule muss ein geschützter Raum sein, in dem ausprobiert werden darf, in dem Fehler passieren dürfen und in dem man über Stärken und Schwächen einer Technologie spricht. Natürlich bleibt die Arbeit mit KI ein Balanceakt. Sie darf nicht zum Ersatz für eigenes Denken werden, sondern soll es unterstützen. Sie darf nicht zur Quelle ungeprüfter Informationen verkommen, sondern muss Anlass sein, kritisch zu hinterfragen. Diese Balance herzustellen, sehe ich als eine unserer wichtigsten Aufgaben.
Dieses Jahr probieren wir das erste Mal bei uns an der Schule aus, KI explizit bei den Abschlussprüfungen zuzulassen. Die erste Phase davon ist bereits angelaufen (Themen- und Gruppenfindung). Dabei wurde KI bereits genutzt, um Ideen zu suchen. Aus meiner Sicht sind da teilweise sehr spannende Ansätze rumgekommen, auch eine Gruppe, die sich explizit den Einfluss von KI auf die Psyche anschaut – spannend.
Fazit
Nach einem Jahr mit ChatGPT an unserer Schule ziehe ich für mich eine positive Bilanz. Ich habe gesehen, wie Schülerinnen und Schüler, die sich sonst im Unterricht kaum äußern, mit neuer Sicherheit in den Diskurs treten konnten. Ich habe erlebt, wie sich Diskussionen vertieft haben, weil plötzlich alle dieselbe sprachliche Grundlage hatten. Und ich habe gelernt, wie wertvoll es ist, den Einsatz von KI nicht dem Zufall zu überlassen, sondern ihn bewusst in den Unterricht zu integrieren. Für mich als Lehrkraft ist es ein gutes Gefühl, meine Schülerinnen und Schüler auf eine Zukunft vorzubereiten, in der der Umgang mit Künstlicher Intelligenz selbstverständlich sein wird – aber hoffentlich auch kritisch und reflektiert.
Für unsere Schule im Brennpunkt bedeutet die Arbeit mit KI eine echte Chance. Eine ehrliche Prognose, wie sich KI auf das Schulleben auswirkt, kann aus meiner Sicht noch nicht erstellt werden, da das Thema noch zu jung ist. Die aktuellen Beobachtungen lassen aber die These zu, dass ein bisschen mehr Bildungsgerechtigkeit hergestellt wird. Ob das nachher auch zu tatsächlich besseren Abschlüssen führt, muss sich jedoch noch zeigen.
B. Riekmann, M. Pallesche: Uns geht es um Ergebnisoffenheit und Sinnhaftigkeit – Ernst-Reuter-Gemeinschaftsschule Karlsruhe
Ein Gespräch mit Micha Pallesche, Schulleiter der Ernst-Reuter-Gemeinschaftsschule in Karlsruhe
Eine Medienschule von Anfang an – der Prozess ist wichtig, das Produkt steht im Zentrum
hier lesen
Barbara Riekmann, Micha Pallesche
Die Ernst-Reuter-Gemeinschaftsschule hat in den vergangenen Jahren ihre Lernkultur grundsätzlich verändert. Im Zentrum stehen die individuelle Arbeit an Wochenplänen und Lernweglisten, das themenorientierte Arbeiten als fächerübergreifender Unterrichtsansatz, ein erweitertes Bildungsangebot im Rahmen einer gebundenen Ganztagsschule sowie ein kontinuierliches Lerncoaching. Als Medienschule von Anfang an ist die Schule mehrfach ausgezeichnet worden. In diesem Jahr hat sie den Deutschen Schulpreis im Themenkreis Demokratiebildung erhalten.
In Ihren Veröffentlichungen betonen Sie, dass die digitale Kultur und die Bausteine einer neuen Lernkultur in der Entwicklung Ihrer Schule eng miteinander zusammenhängen. Hat die Digitalität Ihre Schule verändert oder war es umgekehrt?
Wir haben uns ab 2014 intensiv mit dem Gedanken befasst, Schule anders zu denken. Damals war klar, dass wir an unserer Lernkultur arbeiten wollen. Das war der Ausgangspunkt. Aber die Tatsache, dass digitale Medien eine immer größere Rolle in unserer Gesellschaft spielen, wollten wir in unser Profil aufnehmen, und zwar zunächst mal, um die Lernprozesse zu unterstützen. Uns wurde aber relativ schnell klar, dass es um mehr geht, nämlich um ein grundlegend anderes Verständnis. Digitale Geräte eben nicht mehr nur als Tools zu sehen, mit denen analoge Prozesse optimiert werden. Sondern dass es um veränderte kulturelle Praktiken geht, die unsere Gesellschaft verändern und sich natürlich auch in irgendeiner Form im Lernen der Kinder widerspiegeln müssen. Wenn man sich diese Praktiken einer Kultur der Digitalität anschaut, findet sich etwas wie Partizipation, dann geht es um Co-Creation. Gerade in einer Welt, die immer komplexer wird, muss man gemeinschaftlich co-creativ Probleme lösen. Es geht um Ergebnisoffenheit, und es geht auch um Sinnhaftigkeit. Wenn man das berücksichtigt, sind digitale Medien ein Bestandteil des Lernens, aber sie sind kein Add-On mehr, sondern sie sind ganz organisch eingebunden in den Lernprozess.
Wir haben relativ früh damit begonnen, digitale Medien zu nutzen, um Produkte zu schaffen; es ging uns darum, dass Lernende ihre eigenen Materialien, ihren eigenen Content selbst produzieren. Das war damals unser Einstieg, der sehr spannend war, denn letztendlich ging es um die veränderte Praxis.
Welche Beispiele für diese Arbeitsweise würden Sie besonders hervorheben, worauf sind Sie besonders stolz?
Im gesamten Bereich der Produktion sind unsere Schüler:innen unglaublich stark, also im Erstellen von Materialien, von Erklärvideos, von Podcasts, von Audiodateien. Wir legen zugleich großen Wert auf den Bereich des Jugend-Medienschutzes. Auch da sind die Schüler:innen gut aufgeklärt und kritisch. Wir haben eine tolle Schüler:innenzeitung, das „Ernschtle“, sie ist ganz aktuell auch die beste Deutsche Schüler:innenzeitung, die crossmedial arbeitet. Sie erscheint einmal im Jahr als Printmedium, aber auch als Internetseite –ernschtle.de–. Es gibt einen Videokanal, aktuell wird dort ein Podcast erstellt.
Bei den Lernsettings gibt es den einen Bereich, in dem Schüler:innen individualisiert arbeiten, ihre eigenen Lernpfade verfolgen und durch Programme unterstützt werden. Ein zweiter Bereich ist uns sehr wichtig: Wir haben vor fünf Jahren das sogenannte „Themenorientierte Arbeiten“ eingeführt – THEA – bei dem wir Themenfelder aus den 17 Nachhaltigkeitszielen identifiziert haben, um diesen dann die Inhalte der Bildungspläne aus dem Fächerkanon der Nebenfächer zuzuordnen. So entstanden vier Themenfelder in den Klassen 5, 6 und 7. Wir arbeiten en bloc und beleuchten das Themenfeld aus unterschiedlichen Fachperspektiven. Am Ende steht immer ein Produkt. Zum Beispiel haben wir ein Themenfeld, das nennt sich „Das grüne Wunder Wald“; da sind wir 10 Wochen lang im Wald mit dem Forstamt als Kooperationspartner. Die Schüler:innen dokumentieren mit Portfolios, was sie dort wöchentlich machen, und dann entsteht ein Produkt, also entweder ein Erklärvideo, das produziert wird oder ein Modell, das gebaut wird oder ein Marktstand beim Karlsruher Stadtfest, um dort Honig zu verkaufen. Diese Lernnachweise entstehen aus einer guten Kombi aus analogen und digitalen Mitteln.
Welche Ausstattung war hierfür notwendig?
Alle Klassen- und Lerngruppenräume haben Präsentationsmöglichkeiten. Wir arbeiten mit schuleigenen Tablets in Tablet-Koffern. Dabei haben wir bewusst keine Eins-zu-Eins-Versorgung, weil wir die Geräte nur nutzen wollen, wenn wir sie brauchen. Für das mobile Lernen ist wichtig, dass die digitale Ausstattung im ganzen Hause und auch außerhalb auf dem ganzen Schulgelände vorhanden ist. Zentral für uns ist der Maker-Space-Raum. Das ist im Grunde ein Filmproduktionsstudio mit Schnittplätzen, Robotik, Coding, 3-D-Drucker, Mikrocontroller usw. Ich glaube, da sind wir sehr privilegiert. Das liegt sicherlich auch daran, dass wir früh dran waren. Wir sind 2014/15 mit dem Medienprofil gestartet, 2017 waren wir die erste Smart-School Baden-Württembergs - früh dran also auch im Kontakt mit dem Schulträger und haben zudem über Preisgelder und Stiftungen Finanzierungsmöglichkeiten erschlossen.
Auf unserer digitalen Lernplattform arbeiten wir mit DiLer, die von einem Team der Gemeinschaftsschule Wutöschingen entwickelt wurde. Auf der sogenannten Next Cloud, einer datenschutzrechtlich abgesicherten Cloud-Lösung auf unserem Server, können die Schüler:innen Daten ablegen, tauschen und damit auch kollaborativ arbeiten.
In Ihrem Schulprofil betonen Sie „Ein Minimum an individuellen und ein Optimum an kooperativen Lernen“. Wie halten Sie diese Balance?
Der Zeitgeist geht aktuell in Richtung Individualisierung. Dies auch, weil neue technische Möglichkeiten vorhanden sind und die künstliche Intelligenz darin ihre Stärken hat, beispielsweise in der Diagnostik und danach natürlich im adaptiven Lernen. KI kann individuelle Lernpfade erstellen, sie kann reagieren, sie kann Feedback geben. Ich sehe darin eine Gefahr, denn es wird außer Acht gelassen, dass die Fragestellungen, die Schülerinnen und Schüler in Zukunft erwartet, so komplex sind, dass sie eben nicht mehr individuell gelöst werden können. Was wir bräuchten, wären reale Problemstellungen, komplexe Fragestellungen, die von Schülerinnen und Schülern möglichst gemeinschaftlich co-creativ gelöst werden. Das wäre jetzt mein Weg mit meiner Schule.
Einen Gedanken würde ich gerne zusätzlich in die Diskussion einbringen. Im Rahmen meiner Doktorarbeit habe ich Lehrkräfte an so genannten Best Practice Schulen gefragt, was für sie Transformation bedeutet. Für die Lehrkräfte war das „Entgrenzen“ von Fach-, Zeit- und Ortsstrukturen das wichtigste Element der Transformation. Wenn man das betrachtet, müssen wir alles nochmal auf den Kopf stellen und aus der Schülerperspektive fragen, wie gutes Lernen eigentlich aussehen muss.
Noch einmal zur KI. Wie gehen Sie damit um?
Wir haben direkt nach dem Erscheinen von ChatGPT vor zweieinhalb Jahren mit der gesamten Schulgemeinschaft einen „Roten Salon“ zu dem Thema gemacht und sind der Frage nachgegangen, was es für das Lernen und auch für uns bedeutet. Wir haben dann neue Formate entwickelt. Beispielsweise haben wir im Kunstunterricht Bilder zur Stadt der Zukunft digital und analog erstellt und miteinander verglichen. Oder wir haben die Projektprüfung umgestellt und erlaubt, dass für den Teil der Verschriftlichung KI benutzt wird - unter der Voraussetzung, dass die PROMs dargestellt und reflektiert werden. Unser Konrektor hat gerade selber einen Chatbot gebaut (Name: FlowERS), der empathisch ist, der ein Coach ist, der Schülerinnen und Schüler begleiten soll. Den Bot nimmt er mit in den Ethikunterricht, um zu diskutieren, ob eine KI überhaupt so etwas wie ein Coach oder eine Begleitung sein kann. KI wird sicherlich die Welt noch mehr verändern als das bisherige Technologien getan haben, aber sie ist nur eine weitere Technologie, sie wird nicht die letzte sein. Was wichtig ist, ist, dass wir Schülerinnen und Schüler dazu befähigen, die Technologie und die ihr zu Grunde liegenden Algorithmen zu verstehen.
Welches sind Ihre nächsten Schritte?
Wir wollen die Schule noch weiter öffnen, das themenorientierte Arbeiten noch weiter entwickeln und die Arbeit an der Demokratiebildung weiter intensivieren. Demokratie muss im aktuellen Mitgestalten und im aktiven Tun in der unmittelbaren Umgebung erfahrbar und spürbar sein. Erst dann kann man ins Große, in die theoretischen Gedanken gehen. Aber die Kinder müssen es erlebt haben, um es zu verstehen.
Ich danke Ihnen recht herzlich für dieses Gespräch.
S. Lührs: KI gemeinsam starten – Digitale Unterrichtsentwicklung – Georg-Christoph-Lichtenberg-Gesamtschule Göttingen
an der Georg-Christoph-Lichtenberg-Gesamtschule in Göttingen
Das Kollegium mitnehmen – schulinterne Fortbildung als Motor für Schulentwicklung
hier lesen
Susanne Lührs
„KI an Bord, du am Steuer“ – mit diesem Leitspruch hat eine Arbeitsgruppe der Georg-Christoph-Lichtenberg-Gesamtschule ihre Haltung zur Künstlichen Intelligenz auf den Punkt gebracht. Denn klar ist: Digitale Technologien und KI verändern den Bildungsalltag – tiefgreifend, schnell, mit offenen Fragen und großen Potenzialen. Für eine Schule wie unsere, in der das gemeinsame Lernen in heterogenen Gruppen im Mittelpunkt steht, ist das Chance und Herausforderung zugleich.
Wie kann Lernen mit digitalen Mitteln so gestaltet werden, dass niemand abgehängt wird? Wie gelingt es, KI-Kompetenzen nicht nur zu fordern, sondern tatsächlich zu fördern – bei Lehrkräften, Schüler:innen und Eltern? Und wie bewahren wir dabei das soziale, kooperative Lernen als Herzstück unserer Schulkultur?
Schon früh wurde seitens des Kollegiums und der AG „Digitales“ damit begonnen, eine Diskussion darüber anzustoßen, wie wir als Schulgemeinschaft mit KI umgehen wollen – und was wir brauchen, um souverän, kreativ und pädagogisch reflektiert damit zu arbeiten. Herausgekommen ist eine fünfteilige Fortbildungsreihe, in der sich unsere Lehrkräfte intensiv mit unterschiedlichen Aspekten von KI im Schulalltag auseinandergesetzt haben. Der Artikel gibt einen Einblick in dieses Format, unsere Erfahrungen damit und wie daraus ein gemeinsamer Lern- und Entwicklungsprozess entstanden ist – getragen von dem Anspruch, Bildungsgerechtigkeit auch im digitalen Zeitalter aktiv voranzubringen.
Unsere Fortbildungen wurden von Kolleg:innen aus dem eigenen Haus entwickelt und durchgeführt – nicht mit externen Referent:innen. Dadurch konnten die Themen gezielt auf unsere schulischen Fragen und Herausforderungen zugeschnitten werden. Gleichzeitig entstand durch die gemeinsame Arbeit ein Raum, in dem Kolleg:innen sich offen, praxisnah und mit gegenseitiger Unterstützung dem Thema KI nähern konnten.
Die Reihe umfasste fünf aufeinander aufbauende Termine, die jeweils verschiedene Perspektiven auf den Einsatz von KI im Schulalltag eröffneten – von den Grundlagen bis hin zu ethischen Fragen und Zukunftsvisionen. Im Mittelpunkt stand dabei immer das Prinzip: Input, ausprobieren, reflektieren, ins Gespräch kommen. Durch den zeitlichen Aufbau war es den Teilnehmenden möglich, zwischen den Terminen Neues auszuprobieren und Erfahrungen mit in den Folgetermin zu bringen.
Gleich zu Beginn stand das eigene alltägliche Handeln im Vordergrund. Unter dem Titel „Lasst uns loslegen“ ging es um die Frage, wie eine KI funktioniert, wie man Prompts optimieren kann und wie KI ganz konkret zur Unterstützung im schulischen Alltag genutzt werden kann, etwa bei der Differenzierung von Aufgaben, der Anpassung von Elternbriefen oder zur Strukturierung von Arbeitsmaterialien. Für viele war das eine erste Gelegenheit, KI-Tools in einem geschützten Rahmen kennenzulernen und einfach auszuprobieren. Denn die Fortbildungsreihe adressierte eben nicht nur diejenigen mit KI-Erfahrung, sondern auch absolute Neulinge. Zu diesem Zweck gab es bei einigen Terminen Gruppenangebote für erprobte „KI-Piloten“ sowie „KI-Entdecker:innen“ und auch eine „Starthilfe“-Gruppe, in der nochmal Fragen zu den Grundlagen gestellt werden konnten. Diese Differenzierung ermöglichte auch in einer thematisch heterogenen Gruppe einen guten Dialog, so dass trotz der Freiwilligkeit eine hohe Konstanz in der Teilnahme zu verzeichnen war.
In den weiteren Veranstaltungen wurde das Thema systematisch erweitert. So rückte etwa die Frage in den Fokus, wie KI auch im Klassenraum eingesetzt werden kann – nicht nur von Lehrkräften, sondern auch von Schüler:innen. Dabei ging es sowohl um technische Voraussetzungen als auch um didaktische Möglichkeiten: Welche Aufgabenformate eignen sich? Wo kann KI das Lernen tatsächlich bereichern? Es rückte aber auch die Frage in den Mittelpunkt, welche Kompetenzen Schüler:innen im Umgang mit KI eigentlich brauchen. Als Ausgangspunkt diente ein Kompetenzmodell (1), das vier zentrale Bereiche unterscheidet: Verstehen, Anwenden, Mitgestalten und Reflektieren. Vor allem im Bereich des Reflektierens wurde diskutiert und schließlich vereinbart, dass jeder KI-Output gemeinsam mit oder durch die Schüler:innen reflektiert werden muss.
Großes Interesse entwickelten die Teilnehmenden der Fortbildungsreihe als das Thema Chatbots aufkam. Die Vorstellung, eigene Bots zu gestalten, individuell an Unterrichtssituationen angepasst, hat nicht nur Neugier geweckt, sondern auch ganz praktische Ideen hervorgebracht – etwa für den Einsatz in Projektphasen, zur Unterstützung von Sprachlernprozessen oder zur Berufsorientierung. Gleichzeitig wurde deutlich, wie wichtig es ist, bei aller Begeisterung den pädagogischen Mehrwert im Blick zu behalten: Wann hilft der Einsatz von KI wirklich weiter – und wann steht er dem kooperativen Lernen im Weg? Wollen wir uns dafür entscheiden, individuelle Lernprozesse durch KI-Bots gestalten zu lassen oder verstehen wir Lernen als soziale Interaktion?
Diese Fragen gewannen noch mehr an Gewicht im Rahmen des vierten Termins, der sich mit rechtlichen und ethischen Aspekten befasste. Ein Schwerpunkt lag dabei auf der Rolle von KI in Rückmeldeprozessen – insbesondere im Kontext von Lernentwicklungsberichten, die an unserer Schule eine zentrale Funktion für individuelle Förderung und persönliche Beziehungsgestaltung haben. Die Diskussion zeigte deutlich: Der Wunsch nach Effizienz darf nicht auf Kosten von Empathie und pädagogischer Sorgfalt gehen. Gerade an dieser Stelle wurde im Kollegium spürbar, wie notwendig ein gemeinsames Werteverständnis im Umgang mit KI ist.
Den Abschluss der Reihe bildete eine Zukunftswerkstatt: Gemeinsam entwarfen die Teilnehmenden Visionen für das Lernen mit KI in fünf Jahren. Welche Rolle wird die KI spielen? Welche Aufgaben werden bei den Lehrkräften bleiben – und welche vielleicht nicht? Was brauchen Schüler:innen, um in einer digitalisierten Welt gut lernen zu können?
Diese Visionen bilden nun die Grundlage für den nächsten Schritt: In einem schulweiten Beteiligungsprozess entsteht in den nächsten Monaten ein gemeinsamer Orientierungsrahmen zum verantwortungsvollen Umgang mit KI. Ziel ist es, grundlegende Prinzipien festzuhalten – etwa Transparenz, Augenmaß und Verantwortung – und diese mit Lehrkräften, Schüler:innen und Eltern abzustimmen. Erste Entwürfe werden an einem SchiLf-Tag von den Jahrgangsteams und der Schüler:innenvertretung diskutiert, kommentiert und weiterentwickelt. Auch die Eltern erhalten im Rahmen einer Abendveranstaltung Gelegenheit, sich zu informieren, selbst praktische Erfahrungen mit KI zu sammeln und an der Entwicklung des „KI-Kodex“ mitzuwirken. Dieses partizipative Vorgehen eröffnet uns die Chance auf eine schulweit abgestimmte Erklärung, die nicht nur Regeln definiert, sondern vor allem Orientierung bietet und eine Haltung sichtbar macht.
Die Fortbildungsreihe hat damit einen wichtigen Impuls gegeben – nicht nur für den Aufbau digitaler Kompetenzen, sondern auch für eine gemeinsame Verständigung darüber, wie wir als Schule mit KI umgehen wollen. Sie hat Räume eröffnet, in denen Neues ausprobiert, Sorgen geteilt und gemeinsame Haltungen weiterentwickelt werden konnten. Die regelmäßigen Feedback-Schleifen haben gezeigt, dass die Kolleg:innen die Formate als gewinnbringend erlebt und vielfältige Einsatzmöglichkeiten entdeckt und in den Unterricht integriert haben.
In einer Schule, die das gemeinsame Lernen in seiner Vielfalt ernst nimmt, ist es entscheidend, dass neue Technologien nicht unreflektiert übernommen, sondern im Einklang mit den pädagogischen Zielen weiterentwickelt werden. Dazu gehört auch, das Soziale im Lernen zu bewahren, kooperative Strukturen zu stärken und die Dimension des „Lernens ohne KI“ nicht aus dem Blick zu verlieren. Analoges, zwischenmenschliches, erfahrungsbezogenes Lernen wird auch in Zukunft neben den vielfältigen digitalen Möglichkeiten ein zentraler Bestandteil unserer Schulkultur bleiben.
(1) nach Susanne Alles, Joscha Falk, Manuel Flick und Regina Schulz
