In folgenden Beiträgen der Rubrik "Schule im Fokus" in HEFT 2024/4 unserer Zeitschrift Die Schule für alle berichten Schulen über ihren Umgang mit Lernenden, deren Stärken nicht immer ins traditionelle Bild passen.
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Starke Schulen fördern Stärken
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D. Kesting: Wo Vielfalt auf Potenzial trifft – Gesamtschule Münster Mitte
Begabungsförderung ist Teil der inklusiven Schulkultur in der Gesamtschule Münster Mitte.
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Wo Vielfalt auf Potenzial trifft
Begabungsförderung an der Gesamtschule Münster Mitte
Dagmar Kesting
Die Gesamtschule Münster Mitte (im Folgenden GeMM) gilt als Vorbild im Bereich der Begabungsförderung und bewegt sich in vielen Netzwerken, die sich zu dem Thema austauschen. Die GeMM ist überzeugt, dass individuelles Potenzial in jedem Kind schlummert. Doch wie lässt sich dieses Potenzial in einem Umfeld finden und fördern, das so heterogen ist?
Die Schule hat diese Herausforderung mit einem dynamischen, kreativen und vor allem inklusiven Konzept angenommen, das auf eine Förderung des ganzen Menschen abzielt. Geprägt von einer grundsätzlich potenzialorientierten Haltung jedem einzelnen Kind gegenüber, steht nicht nur die intellektuelle, sondern auch die soziale, emotionale und persönliche Entwicklung im Fokus.
Lehrkräfte und multiprofessionelles Team arbeiten hier eng zusammen, denn es geht darum, jedes Kind zu seiner nächstmöglichen Entwicklungsstufe zu begleiten, ungeachtet dessen, ob es im Vorfeld einen Förderbedarf oder einen hohen IQ attestiert bekommen hat.
Stärken – Potenziale – Begabungen
An der GeMM wird der Begabungsbegriff weit gefasst. Hier geht es um weitaus mehr als nur hohe schulische Leistungen. Begabung kann sich in allen Bereichen des schulischen Lebens und Erlebens zeigen. Durch ein professionelles System zur Identifikation von Stärken wird von Anfang an sensibel darauf geachtet, welches Potenzial Schülerinnen und Schüler in den unterschiedlichsten Bereichen mitbringen. Das macht einen stärkenorientierten Blick auf jedes einzelne Kind möglich, unter dem sich Selbstbewusstsein und Selbstwahrnehmung auf gesunde Art entwickeln können.
Mit dem „FairStärken“-Projekt beobachten die Lehrkräfte bereits in den ersten Wochen des 5. Schuljahres intensiv, wo besondere Fähigkeiten sichtbar werden. Im Rahmen dieses Programms ist auch vorgesehen, dass Schülerinnen und Schüler sich gegenseitig nominieren können und so einen positiven und wertschätzenden Blick auf die Stärken der anderen erlangen. So gelingt es, versteckte Talente, die vielleicht noch im Verborgenen liegen, frühzeitig zu entdecken, und im Prozess Vertrauen und Selbstvertrauen zu schaffen.
Ob im Verlauf der Schullaufbahn aus Stärken Potenziale werden und aus Potenzialen Begabungen, das ist zunächst unerheblich. Aus der Förderung heraus erwächst das, was möglich sein kann – und oft taucht Ungeahntes auf, das einem defizitorientierten Blick auf das Kind ewig verborgen bliebe.
Enrichment statt Elite: Immer im Flow bleiben
Ein entscheidendes Merkmal der Begabungsförderung an der GeMM ist, dass sie zu einem großen Teil innerhalb des regulären Unterrichts stattfindet. Das Stichwort lautet hier „Enrichment“, das alle Schülerinnen und Schüler während des gesamten Unterrichtsalltags miteinbezieht. Das selbstregulierte Arbeiten im „Lernbüro“ macht differenzierte Lernangebote möglich, aber auch Zusatzangebote wie die „Digitale Drehtür“ kommen hier zum Einsatz.
Für besonders interessierte und talentierte Schülerinnen und Schüler gibt es zusätzliche Herausforderungen, wie die „GeMM-Talente“ oder das „diFF-Projekt“, die außerhalb der regulären Klasse angeboten werden. Hier kann man sich in ein selbst gewähltes Projekt hineinvertiefen, allein oder mit anderen.
Die Angebote der inneren und äußeren Differenzierung sorgen dafür, dass niemand auf der Strecke bleibt, während Potenziale im eigenen Tempo und nach individuellen Fähigkeiten wachsen können. Im Flow zu bleiben, bedeutet dabei, Underachievement ebenso zu verhindern wie Angst durch Überforderung. Bei der Auswahl des richtigen Angebots hilft die wöchentliche, für jeden zugängliche Begabungssprechstunde.
Soziale Begabungen: Engagement und Verantwortung lernen
In einer Welt, die sich durch rasante technologische, gesellschaftliche und ökologische Veränderungen auszeichnet, gewinnt die Förderung von Talenten zunehmend an Bedeutung. Die GeMM hat erkannt, dass Begabungsförderung nicht nur darauf abzielen kann, individuelle Talente zu stärken, sondern auch darauf, junge Menschen auf die komplexen Herausforderungen der Zukunft vorzubereiten und ihre Stärken für die Gesellschaft nutzbar und relevant zu machen.
Mit einem visionären und dennoch längst überfälligen Ansatz, der Kreativität, kritisches Denken, soziale Verantwortung und die Stärken des Einzelnen in den Mittelpunkt stellt, macht die Schule sich zum Ziel, Kinder und Jugendliche zu befähigen, aktiv und im Team an der Lösung globaler Zukunftsprobleme mitzuwirken.
Im „GeMM4Future“-Projekt wird in Teams an den Nachhaltigkeitszielen gearbeitet. Mithilfe realistischer Zielsetzungen erfahren die Kinder Selbstwirksamkeit und Verantwortung für die eigene Umwelt.
Die „GeMM-Lesescouts“ haben sich zum Ziel gesetzt, im Peer-Mentoring-Verfahren andere Kinder zum Lesen zu motivieren. Gerade diejenigen, die zuhause kein gefülltes Bücherregal und keine Lesevorbilder haben, profitieren von diesem Projekt zur Förderung der Lesekultur. Aber auch die Lesescouts selbst setzen ihre Leidenschaft, ihr Talent, für den sozialen Zweck ein und schaffen Bildungsgerechtigkeit. Sie übernehmen Verantwortung und erfahren Selbstwirksamkeit und Wertschätzung.
Eine Schule für alle: Inklusion als Erfolgsfaktor
Die GeMM ist stolz auf ihr inklusives Konzept: Die Begabungsförderung findet in einer Schule statt, die sich der Heterogenität ihrer Schülerschaft bewusst ist. Dort, wo geflüchtete Kinder in DaZ-Kursen gefördert werden und das große Spektrum neurodiverser, sozial-emotionaler oder anderer Besonderheiten tagtäglich zum Thema wird, geht man davon aus, dass in dieser gesamten Bandbreite Begabungen zu finden sind. Begabte stehen hier nicht neben anderen, die entsprechend dann nicht begabt sein dürften, sondern alle an dieser Schule arbeitenden und lernenden Menschen verfügen über Begabungen, und es ist für alle vorteilhaft, diese zu sehen und zu entfalten.
Fazit: Begabungsförderung als gelebte Begabungskultur
Die Begabungsförderung an der Gesamtschule Münster Mitte zeigt, wie wichtig eine stärkenorientierte Haltung, gepaart mit einem weit gefassten Begabungsbegriff, gerade in heutiger Zeit ist. Begabungsförderung wird hier nicht als elitäres Projekt, sondern als inklusiver Prozess und nicht zuletzt als Teil der Schulkultur verstanden und gelebt. Die Schülerinnen und Schüler entwickeln sich nicht nur intellektuell ihren Potenzialen entsprechend, sondern wachsen auch emotional und sozial – in einer Umgebung, die sie als ganze Persönlichkeiten sieht und stärkt. Die GeMM lebt Begabungskultur, getreu ihrem Motto „Gemeinsam Erreicht Man Mehr“.
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Artikel aus Die Schule für alle Heft 2024/4
I. König: Gemeinsam einfach stark – Lobdeburgschule Jena
Begabten- und Begabungsförderung an der Lobdeburgschule Jena – Von der Grundschule bis zur Oberstufe greifen inner- und außerschulische Angebote ineinander.
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Gemeinsam einfach stark
Begabungs- und Begabtenförderung an der Lobdeburgschule
Iris König
„Miteinander leben lernen“ – so lautet das Motto unserer Staatlichen Gemeinschaftsschule „Lobdeburgschule“ in Jena. Unser Lebensraum Schule wird von 700 Schüler:innen der Klasse 1 bis 12 inklusive temporärer Austauschschüler:innen aus dem Ausland ebenso gemeinsam gestaltet wie von Pädagog:innen der Primarstufe und der Sekundarstufen I und II sehr unterschiedlicher Ausbildung und Prägung. Jede:n individuell anzunehmen und zu fördern, gehört gerade wegen dieser Diversität zum grundsätzlichen Leitbild unserer Schule.
Wir verbinden mit dem Terminus Begabungsförderung die Idee, den ‚klassischen Lehrer:innenblickwinkel‘ zu verschieben und statt Schwächen zu schwächen (durch ausgiebiges Training), Stärken zu stärken. Hier geht es für alle Kinder und Jugendlichen unserer Schule um die Möglichkeit, sich entsprechend ihrer Stärken und Kompetenzen wirkungsvoll in den Schulalltag einzubringen und ihr individuelles Entwicklungspotential auszuschöpfen.
Als Teil davon darf die Begabtenförderung hervorgehoben werden. Sie richtet sich an Kinder und Jugendliche, die im traditionellen Sinne als ‚hochbegabt‘ bezeichnet werden. Dabei folgen wir in unserem Begriffsverständnis dem multiplen Intelligenzmodell nach Howard Gardner.
Es geht uns mit unseren Maßnahmen um Lernende, die allgemein oder fachgebietsspezifisch soweit über dem Durchschnitt ihrer Alterskamerad:innen liegen, dass sie einerseits ihr Anderssein sehr deutlich spüren und andererseits oft mit Lernangeboten konfrontiert sind, die sich für ihren individuellen Lernweg wenig eignen.
Das Kurssystem
Kern der Förderung ist ein in die Struktur des Unterrichtsalltags integriertes Kurssystem von der Klassenstufe 1 bis 10. Eingeordnet ist es in die ‚Eigene Lernzeit (ELZ)‘.
In der Grundschule haben die Erstklässler:innen eine Stunde Neugierzeit pro Woche bis zum Schuljahresende. Diese dient dem Kennenlernen, der kontinuierlichen Begegnung mit komplexen und ihrem eigenen Lerndurst entsprechenden Aufgaben und dem Ausloten ihrer Interessen (als Ausgangspunkt für die Kurse ab Klassenstufe 2).
Von der Klassenstufe 2 bis zur Klassenstufe 4 gibt es in einer Doppelstunde pro Woche ein jahrgangsübergreifendes Angebot. Die betreffenden Kinder wählen sich dreimal jährlich in einen von fünf angebotenen Kursen ein. Die Angebote sind eine Mischung aus mathematisch-naturwissenschaftlichen, technischen, sprachlichen und künstlerisch-kreativen Angeboten.
In der Sekundarstufe 1 gibt es Extrakurse als Doppelstunde im Rahmen der Begabungs- und Begabtenförderung (BBF). Diese sind ebenfalls in die `Eigene Lernzeit` integriert. Die Kurse sind immer jahrgangsübergreifend organisiert (in der Regel 5/6, 7/8, 9/10). Auch hier gibt es wiederum mathematisch-naturwissenschaftliche, sprachliche, technische und künstlerisch-kreative Angebote für die sich Schüler:innen schriftlich begründet einwählen dürfen. Dieses Kurssystem bietet sich unter anderem an, um Schülerwettbewerbe in diesem Rahmen zu realisieren wie z. B.: Jugend debattiert, Jugend forscht, Formel 1, Europawettbewerb, …)
Kursleitungen sind nicht nur Lehrkräfte der Schule. Etwa 50 % und bei guter finanzieller Lage auch mehr Kurse werden durch Fachpersonen aus dem kommunalen Umfeld begleitet. Diese schließen nach Prüfung einen Honorarvertrag mit dem Schulförderverein, der die Finanzen der Begabten- und Begabungsförderung verwaltet. Manche Kurse werden auch durch Partnerinstitutionen unserer Schule gestaltet, wie z. B. der Schülerforscherklub durch den witelo e. V. aus Jena. Im Primarbereich drei- und im Sekundarbereich zweimal pro Schuljahr gibt es Zusammenkünfte aller Kursleiter:innen, um den spezifischen Charakter dieser Kurse aufrecht zu erhalten und auftretende Fragen zu beantworten. Für letztere gibt es eine kontinuierliche Ansprechpartnerin an der Schule (Koordinatorin für Begabungs- und Begabtenförderung).
Andere Formen pädagogischer Begleitung: Beratungsgespräche/Einzelfallbegleitung
Ausgebildete Kolleg:innen kommen zu Elterngesprächen hinzu, wenn es beim beteiligten Kind auch um Aspekte der Hochbegabung geht. Eltern und Schüler:innen können ihrerseits Kolleg:innen zum beratenden Gespräch aufsuchen. In Fällen von Überspringen einer Klassenstufe werden die betreffenden Schüler:innen bei Bedarf in regelmäßigen Reflexionsrunden durch eine Pädagogin/einen Pädagogen begleitet.
Verbindung und Vermittlung zu außerschulischen Angeboten
Jena bietet eine Vielzahl an Angeboten für begabte Schüler:innen in der Region. Die Bildungscamps in Christes und Zella-Mehlis bieten während der Schulzeit temporär (jeweils eine Woche) für Schüler:innen der Klassenstufen 1 bis 10 eine sinnvolle und wirkmächtige Alternative zum schulischen Lernen. Ausgewählte Schüler:innen der Oberstufe können ein Juniorstudium an der Friedrich-Schiller-Universität absolvieren.
Das Regionalzentrum für Begabungsförderung Ost mit Sitz am Carl-Zeiß-Gymnasium Jena bietet ein umfangreiches Korrespondenzzirkelprogramm für viele naturwissenschaftliche Fächer und Mathematik in der Sekundarstufe I. An der Salzmannschule Schnepfenthal gibt es einen Korrespondenzzirkel Sprache für Schüler:innen der Klassenstufe 4.
Das Schülerforschungszentrum in der Dauerausstellung „Imaginata“ bietet dem Forschungsdrang auch in der Freizeit viele Möglichkeiten, die es zu Hause so nicht gibt.
Einmal im Quartal findet an einer Jenaer Schule samstags der ‚mach-bar!‘-Tag statt für Schüler:innen, die vom Lernen nicht genug bekommen.
Mit der Herbstschule erhalten einzelne Schüler:innen in den Ferien die Möglichkeit mit Lernpat:innen höherer Klassenstufen eine Woche lang täglich 1,5 Stunden Kenntnisse in einem Schulfach zu vertiefen. Jede:r Schüler:in kann maximal zwei Fächer belegen.
Leistung lohnt sich
Auch wenn das ein bisschen nach FDP-Wahlwerbung klingt, hatten wir exakt dieses Motto bei uns für diese Art der Veranstaltungen kreiert. Hier geht es v. a. darum, einen Gegentrend zu setzen zu der ‚Coolness‘ schlechter Benotung und betont lässiger Egalhaltung gegenüber der Gemeinschaft Schule.
Unter diesem Motto gibt es in jedem Schuljahr einen ein- oder mehrtägigen Ausflug mit speziellem Bildungserlebnis für Schüler:innen, die sich über das normale Maß hinaus für die Schule engagiert haben. Das können Wettbewerbspreisträger:innen ebenso sein wie jene, die neue Impulse in das Schulleben getragen haben oder sich besonders in der Unterstützung anderer Klassen/Schülergruppen/Mitschüler:innen hervortaten (Beispielziele: EU-Parlament in Brüssel, Gläserne Manufaktur in Dresden, Falknerei/Rennsteig – Juniorfalknerschein).
Identifizierung von Begabungen
Kontinuierlich fortgebildete Lehrer:innen diagnostizieren die Begabungen des Kindes und sprechen Empfehlungen aus. Mit der Denkolympiade für alle Schüler:innen in Klasse 5 nutzen wir ein Instrument schullehrstoffunabhängiger Überprüfung. Besondere Bedeutung hat die Selbstidentifikation bzw. Benennung über die Peer-Group im Rahmen des oben beschriebenen Kurssystems ab Klasse 5.
Netzwerke und Partner
Als LemaS-Schule (´Leistung macht Schule´) sind wir Teil eines bundesweiten Fördernetzwerkes für Begabungs- und Begabtenförderung. Dazu stehen wir im direkten Austausch und Kontakt mit dem Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport und demThüringer Institut für Lehrerfortbildung. Wir kooperieren mit dem Bildungscamp e. V., mit witelo e. V., der Friedrich-Schiller-Universität Jena, der Ernst Abbe-Fachhochschule Jena, dem Förderverein Lobdeburgschule e. V., Komme e. V. und anderen.
Seit nunmehr 15 Jahren befinden wir uns auf dem Weg, eine zielgerichtete Begabten- und Begabungsförderung an der Lobdeburgschule in Jena zu etablieren. Unser im Leitbild formulierter Anspruch auf Individualisierung und Förderung aller ist oberste Maxime. Und es gibt sie auch an unserer Schule – jene Kinder und Jugendlichen, die unterfordert sind mit den ‚normalen‘ kognitiven Angeboten und überfordert werden mit ihrer ständigen Anpassungsleistung. Deshalb lohnt es sich, die Stärken aller Schüler:innen in den Vordergrund der pädagogischen Betrachtung zu rücken.
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Artikel aus Die Schule für alle Heft 2024/4
L. Kunze: Begabungsförderung im Dialog – Anne-Frank-Schule Bargteheide
Eine großartige Idee, wie eine gute Feedbackkultur Begabungen entdecken und entwickeln kann – Anne-Frank-Schule Bargteheide
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Begabungsförderung im Dialog
an der Anne-Frank-Schule Bargteheide
Lisa Kunze
An der Anne-Frank-Schule Bargteheide stellt der Dialog zwischen den Schülerinnen und Schülern, Eltern und Lehrkräften einen wertvollen Schlüssel zum Gelingen der Begabungsförderung dar. Er ist fest im partizipativen Beurteilungssystem dieser Gemeinschaftsschule verankert, das auf einer Kombination aus fächerübergreifender Portfolioarbeit und regelmäßigen Portfoliogesprächen beruht.
Von der 5. bis zur 10. Klasse führen die Schülerinnen und Schüler der Anne-Frank-Schule ein Lernentwicklungsportfolio, in das sie jedes Halbjahr ein Produkt aus jedem Unterrichtsfach aufnehmen. Sie können dabei zwischen vielfältigen Produktformaten wählen, sodass neben selbstverfassten Geschichten oder Plakaten beispielsweise auch Werkstücke aus dem Kunst- oder Technikunterricht, selbstkreierte Podcastfolgen aus dem Weltkundeunterricht oder Videoaufnahmen aus dem Sportunterricht Eingang in die Portfolios der Lernenden finden. Diese Produkte werden von den Schülerinnen und Schülern jeweils um ein reflexives Element ergänzt, bei dem es sich unter anderem um eine Lernlandkarte, einen Selbsteinschätzungsbogen oder eine frei formulierte Reflexion der eigenen Lernentwicklung im jeweiligen Fach handeln kann.
Für die Arbeit an ihren Portfolios erhalten die Schülerinnen und Schüler der Anne-Frank-Schule sowohl im Fachunterricht als auch im Freiarbeitsfach Forschen und Üben Zeit. In diesem Rahmen werden sie von ihren Lehrkräften bei der Portfolioarbeit individuell begleitet und bedarfsgerecht unterstützt. Die Lernenden unterstützen sich darüber hinaus auch gegenseitig, indem sie sich beispielsweise ihre Portfolios vorstellen und dazu eine Rückmeldung geben.
Halbjährliche Portfoliogespräche
Zum Ende eines jeden Halbjahres finden dann die 30-minütigen Portfoliogespräche statt, an denen neben den Schülerinnen und Schülern auch ihre Eltern und ihre beiden Klassenlehrkräfte beteiligt sind. Nach einer kurzen Begrüßungsphase beginnen diese Gespräche damit, dass die Lernenden die Produkte aus ihrem Portfolio vorstellen und darauf aufbauend eine eigene Einschätzung ihrer Leistungen und Lernfortschritte in den verschiedenen Unterrichtsfächern abgeben. An diese Selbsteinschätzung knüpfen die beiden Klassenlehrkräfte in der darauffolgenden Rückmeldephase an, in der sie den Schülerinnen und Schülern ein differenziertes und wertschätzendes Feedback geben. Auf der Grundlage ihrer eigenen Beobachtungen und den kompakten verbalen Rückmeldungen, die sie von den anderen Lehrkräften ihrer Klasse im Vorweg erhalten haben, bestätigen die Klassenlehrkräfte zutreffende Einschätzungen der Lernenden und gehen mit ihnen gemeinsam bei Bedarf auch möglichen Unterschieden zwischen der Selbst- und Fremdbeurteilung auf den Grund. Daraus entwickelt sich ein zukunftsorientierter Dialog, der der weiteren Planung des Lernens der Schülerinnen und Schüler dient und in einer Lernvereinbarung mit mehreren individuell bedeutsamen Lernzielen für das kommende Halbjahr mündet.
In der zuvor beschriebenen Form ersetzen die Portfolioarbeit und die Portfoliogespräche an der Anne-Frank-Schule von der 5. bis zur 7. Klassenstufe vollständig tradierte Zeugnisformate. Ab der 8. Klassenstufe werden sie parallel zur verpflichtenden Notenvergabe in einer leicht abgewandelten Form fortgeführt.
Für die Förderung der individuellen Begabungen der Schülerinnen und Schüler besitzt das besondere Portfoliokonzept der Anne-Frank-Schule in verschiedener Hinsicht ein großes Potenzial. Es ermöglicht es den Lehrkräften zunächst, einen differenzierten Einblick in die individuellen Stärken und Übungsbedarfe der Lernenden zu gewinnen, und trägt so zur pädagogischen Diagnostik bei. Die gewonnenen Erkenntnisse stellen zudem eine wertvolle Grundlage für die Abstimmung des Unterrichts auf die individuellen Voraussetzungen der Lernenden dar. Da an der Anne-Frank-Schule bewusst auf eine äußere Fachleistungsdifferenzierung verzichtet wird, kommen in diesem Zusammenhang bevorzugt verschiedene Formen der Binnendifferenzierung und Öffnung des Unterrichts zum Einsatz. Im Umgang mit den damit verbundenen Wahlmöglichkeiten und Gestaltungsfreiräumen kommt es den Schülerinnen und Schülern der Anne-Frank-Schule zugute, dass auch sie im Rahmen der Portfolioarbeit und der Portfoliogespräche ein detailliertes Bild von ihren eigenen Fähigkeiten, Interessen und Zielen gewinnen. Über den schulischen Kontext hinaus ist dies unter anderem auch für die Wahl eines ihren Begabungen entsprechenden Berufs hilfreich. Die Eltern erhalten durch die Portfoliogespräche schließlich ebenfalls einen anschaulichen Einblick in die schulische Lernentwicklung ihres Kindes und werden dadurch in die Lage versetzt, es von häuslicher Seite aus noch erfolgreicher zu unterstützen.
Begabungsförderliche Maßnahmen mit allen Beteiligten beraten
Zusätzlich bieten die Portfoliogespräche den Schülerinnen und Schülern, Eltern und Lehrkräften einen geeigneten Rahmen dafür, gemeinsam über begabungsförderliche Maßnahmen zu beraten, die über den fachlichen Unterricht hinausgehen. In diesen Gesprächen kann so beispielsweise die Verwirklichung anspruchsvoller Projekte im Freiarbeitsfach Forschen und Üben in die Wege geleitet werden. Es ist den Lehrkräften in diesem Rahmen außerdem möglich, die Lernenden und ihre Eltern über fest in den Ganztagsbetrieb integrierte AG-Angebote und Projekte zu informieren, die der Förderung verschiedener Begabungen und Interessen dienen. Diese reichen vom kreativen Schreiben über sportliche Angebote bis hin zum naturwissenschaftlichen Experimentieren. Darüber hinaus bietet die Anne-Frank-Schule als Kompetenzzentrum für Begabungsförderung auch verschiedene Enrichment-Angebote an, über die in den Portfoliogesprächen ebenfalls gemeinsam beraten werden kann. Das Gleiche gilt auch für weitere begabungsförderliche Angebote wie die digitale Drehtür, das Schülerforschungszentrum oder das Team der Schülerpaten, das herausfordernde Projekte wie die Entwicklung eines Escape Games für die Schulgemeinschaft verfolgt.
Die Anne-Frank-Schule bietet ihren Schülerinnen und Schülern somit vielfältige Möglichkeiten dazu, ihr individuelles Potenzial zu entfalten, und die dialogbasierte Leistungsbeurteilung mit Portfolios trägt dazu bei, dass die Lernenden auch dazu bereit und in der Lage sind, diese Möglichkeiten verantwortungsvoll zu nutzen. Aus der langjährigen wissenschaftlichen Evaluation der dialogbasierten Leistungsbeurteilung durch die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel geht so beispielsweise hervor, dass das besondere Portfoliokonzept der Anne-Frank-Schule die intrinsische Motivation und die Lernzielorientierung der Schülerinnen und Schüler fördert. Sie unterstützt die Lernenden zudem bei der Entwicklung eines differenzierten Selbstkonzepts und einer positiven Selbstwirksamkeitserwartung, die für die erfolgreiche Bewältigung von herausfordernden Lern- und Leistungssituationen von zentraler Bedeutung ist. Zusätzlich dazu fördern die Portfolioarbeit und die Portfoliogespräche wertvolle überfachliche Kompetenzen wie die Selbstbeurteilungskompetenz oder Fähigkeiten aus dem Bereich des selbstregulierten Lernens, die den Schülerinnen und Schülern sowohl während ihrer Schulzeit als auch darüber hinaus zugutekommen. Schließlich stärken die Portfoliogespräche auch die Beziehungen zwischen den Beteiligten sowie die Kooperation zwischen Schule und Elternhaus.
Angesichts dieser vielfältigen Vorteile wurde die dialogbasierte Leistungsbeurteilung mit Portfolios im Jahr 2023 in die Zeugnisverordnung des Landes Schleswig-Holstein aufgenommen, sodass dieses partizipative Beurteilungssystem fortan von allen interessierten Gemeinschaftsschulen in diesem Bundesland mit einem zustimmenden Schulkonferenzbeschluss eingeführt werden kann.
Online-Tipp: Ein sehenswerter Kurzfilm und weitere Informationen zum Portfoliokonzept der Anne-Frank-Schule Bargteheide sind unter dem folgenden Link zu finden:
https://deutsches-schulportal.de/konzepte/portfolio-dialogische-form-der-leistungsbeurteilung/
Weitere Informationen: Anne-Frank-Schule Bargteheide
Artikel aus Die Schule für alle Heft 2024/4
M. Sommerfeld: Nicht nur eine DFB-Eliteschule – Gesamtschule Berger Feld
Gesamtschule Berger Feld: hier haben Mario Neuer, Benedikt Höwedes und Alexandra Popp gelernt und ihre Karriere gestartet.
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Nicht nur eine DFB-Eliteschule
Gesamtschule Berger Feld
Mario Sommerfeld
Die Gesamtschule Berger Feld in Gelsenkirchen verbindet als „DFB-Eliteschule des Fußballs“ und „NRW-Sportschule“ Begabtenförderung für Leistungssportler und Begabungsförderung für alle Schüler in einem inklusiven Schulmodell. Im Verlauf der letzten Jahrzehnte sind zahlreiche Spitzensportler aus ihr hervorgegangen. Dazu gehören u.a. die Fußball-Weltmeister Manuel Neuer und Benjamin Höwedes.
Die Gesamtschule Berger Feld war eine der ersten Gesamtschulen in Nordrhein-Westfalen. In den 70er Jahren war der Andrang bereits groß und das Interesse immens, sodass ca. 2.200 SchülerInnen den Ganztagsbetrieb – eine Neuheit in der Stadt – auf dem Berger Feld aufnahmen. Die Nachfrage war noch viel größer.
Der Sport kann ohne Sprachbarrieren wunderbar vereinen und Integration ermöglichen
Im Jahr 2007 hat sich die Schule das „Gemeinsame Lernen“ auf die Fahne geschrieben und galt als Vorreiter in Gelsenkirchen. Die vergangenen Jahre zeigten bei allen Herausforderungen eine erfolgreiche Integration von SchülerInnen mit körperlichen bzw. geistigen Einschränkungen und Lernschwächen im Lernprozess einzelner Klassen. Aber auch die Integration von SchülerInnen mit ausländischen Wurzeln hat Tradition und verläuft erfolgreich. Zudem kann der Sport, der ohne jeglichen Zweifel an der Schule einen großen Stellenwert hat, ohne Sprachbarrieren ganz wunderbar vereinen und Integration ermöglichen. Heute lernen gut 100 Kinder mit allen Förderschwerpunkten an der Gesamtschule Berger Feld, die von einem Team von LehrerInnen, SonderpädagogInnen und MPTlern unterstützt werden.
Die Gesamtschule Berger Feld ist DFB-Eliteschule des Fußballs
Die Gesamtschule Berger Feld ist in erster Linie national und international durch ihr ausgereiftes Sportprofil bekannt. Schon früh wurde das Profil im Bereich Fußball geschärft und bereits im Jahr 1995 eine Kooperation mit dem FC Schalke 04 abgeschlossen. 2007 wurde die Schule zur „DFB-Eliteschule des Fußballs“ ernannt. Sie etablierte sich damit als eine der ersten von etwa 30 Eliteschulen in ganz Deutschland und wurde im Vorfeld der Heimeuropameisterschaft im Jahr 2024 nicht grundlos als Location für das Maskottchen-Launch von „Albärt“ mit prominenten Gästen wie Philipp Lahm ausgewählt. Zudem erlangte sie den Titel „NRW‑Sportschule“ im Schuljahr 2012/13. Die Gelsenkirchener Schule liegt im sogenannten Berger Feld, vorteilhaft im Schatten der „Veltins Arena“ des langjährigen Kooperationspartners FC Schalke 04. Aus manchen Klassenräumen können viele der mittlerweile über 50 Sportler ihren Traum täglich sehen. Meist finden junge Sportler in den Jahrgängen 8, 9 und 10 teilweise sogar aus anderen Bundesländern, wie auch einst Ralf Fährmann aus Chemnitz, den Weg ins Ruhrgebiet. Nicht immer leicht fiel die Entscheidung für die Spieler und die Eltern, die ihren Schützling aus dem Elternhaus ins vereinseigene Internat bzw. in jüngeren Jahren zu Gasteltern ziehen lassen.
Ziel einer jeden DFB-Eliteschule liegt darin, junge talentierte Sportler im Fußball adäquat zu begleiten und zu fördern, sodass bestmögliche Ergebnisse im schulischen und sportlichen Kontext erreicht werden können. Dieses Ziel ist in Anbetracht des „Fulltime-Jobs“ für die jungen Sportler mit den belastungsintensiven sportlichen und den hohen schulischen Anforderungen lediglich in Kooperation zwischen Schule, Verein und den dazugehörigen Verbänden (DFB, FLVW), dem Sportministerium und der Bezirksregierung Münster erreichbar.
Zahlreiche Fotos und Trikots bekannter Fußballprofis schmücken den Flur
Der Flur im Verwaltungstrakt der Schule, gegenüber vom Büro des sportaffinen Schulleiters Mario Sommerfeld, wird durch zahlreiche Fotos und Trikots von bekannten Fußballprofis geschmückt, die als Jugendliche an der Adenauerallee die Schulbank gemeinsam mit ca. 1.500 Schülerinnen gedrückt haben: Mit Alexandra Popp, Manuel Neuer, Marvin Friedrich, Leroy Sané, Joel Matip oder Keke Topp sind nur ein paar der Absolventen genannt, die in bis zu drei Trainingseinheiten am Vormittag unter der Leitung von hauptamtlichen Trainern auf dem Platz stehen und ihren Traum realisieren konnten. Die gemeinsame Kooperation erlaubt es, ein optimales schulisches und sportliches Umfeld für Fußballtalente zu schaffen. Eine Infrastruktur, die ihresgleichen in Deutschland sucht, ermöglicht den Sportlern zudem kurze Wege zwischen den Sportanlagen von Schalke 04 und der Schule.
Bestmöglicher Schulabschluss für alle
Der dadurch planmäßig entfallende Unterricht wird durch FachkollegInnen in verankerten Kompensationsstunden effizient aufgearbeitet und erteilte Hausaufgabenbetreuung und Nachhilfestunden gewährleisten eine umfassende schulische Förderung.Trotz der optimalen Ausbildung ist der sportliche Durchbruch nicht garantiert. Zu groß ist die Konkurrenz und zu schnelllebig das Fußballgeschäft, in dem eine schwerwiegende Verletzung das Karriereaus bedeuten kann. Aus diesem Grund und um erfolgreichen Fußballern eine hervorragende berufliche Perspektive nach ihrer Karriere zu ermöglichen, ist allen Beteiligten von schulischer und Vereinsseite an einem bestmöglichen Schulabschluss gelegen.
Betreut werden sie von den Fußballkoordinatoren Sebastian Husemeyer für die Sekundarstufe II und Kevin Kisyna für die Sekundarstufe I, wenn es z. B. um Freistellungen und individuelle Absprachen zwischen Fachlehrer, Sportler und Eltern geht. Beispiele sind vielfältig, wie die Qualifikation mit der Schulmannschaft für das Bundesfinale von Jugend trainiert für Olympia in Berlin oder für Länderspielmaßnahmen etc. Mit dem Sportmentor Thomas Kaiser besitzt die Schule ein Alleinstellungsmerkmal. Bei der Persönlichkeitsbildung in Bezug auf eigenverantwortliches Handeln, Werte, soziale Kompetenzen, sowie bei Problemlösungen in zwischenmenschlichen Beziehungen, Integrationsarbeit für die Schulgemeinschaft, aber auch bei wesentlichen Fragen zur Berufsorientierung, wie auch bei der Stipendiumssuche im Ausland (USA) mit dem Kooperationspartner „soccership“ steht er als Ansprechpartner zur Verfügung.
Sportförderung auch im Rudern, Judo, BMX und in der Leichtathletik
Mit der Ernennung zur NRW‑Sportschule im Schuljahr 2012/2013 hat das Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport in NRW der Gesamtschule Berger Feld die Aufgabe übertragen, im Verbundsystem Leistungssport und Schule neben den Fußballschülern in der Eliteschule des Fußballs weitere talentierte junge SportlerInnen sowohl in ihren jeweiligen Sportarten zu fördern als auch eine Chance auf einen bestmöglichen Schulabschluss zu bieten. Ein frühzeitiges Scouting und Förderung bereits in fünf ausgewählten Kooperationsgrundschulen in Gelsenkirchen erhöhten die Qualität und Quantität bei den letzten sportmotorischen Tests und erleichterten die Überführung von SchülerInnen zur NRW- Sportschule.
Bei erfolgreicher Aufnahme in einer der zwei Sportklassen erwartet die SchülerInnen fünf Sportstunden in der Woche, aufgeteilt in drei Stunden im Klassenverbund und eine Doppelstunde in ausgewählten Kleingruppen in der jeweiligen Schwerpunktsportart Rudern, Judo, BMX und Leichtathletik. Bei Spitzensportlern kann ebenfalls ein- bis zweimal Vormittagstraining nach individueller Absprache mit dem Koordinator Jochen Wittor stattfinden. In diesem Zusammenhang entsteht bis zum 2. Schulhalbjahr 2024/25 eine neue und hochwertige Leichtathletikanlage direkt neben der Mehrfachturnhalle auf dem Schulgelände. Zudem ist mittelfristig die Ernennung zur Eliteschule des Fußballs für Mädchen anvisiert. Das Fundament wurde bereits mit der Zusammenarbeit mit dem FC Schalke 04 angelegt, sodass die Qualität des Sportprofils durch verschiedene Bausteine in Gelsenkirchen in Zukunft weiter optimiert werden soll und Integration und Förderung weiterhin so auf allen Ebenen für „Alle“ trotz spezieller Begabtenförderung gelingen kann.
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Artikel aus Die Schule für alle Heft 2024/4
K. Baumeister: Heterogenität und Potenzialentwicklung – Comenius-Gesamtschule Voerde
Potenzialentwicklung für eine heterogene Schülerschaft – Lernbüros an der Comenius-Gesamtschule Voerde
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Heterogenität und Potezialentwicklung
– Lernbüros an der Comenius-Gesamtschule Voerde
Kirsten Baumeister
Heterogenität ist ein Wort, das in der Bildungsdiskussion nicht mehr wegzudenken ist, wenn es um Schwierigkeiten bei der bestmöglichen Förderung von Schüler:innen, aber auch, wenn es um die Begründung von neuen Lehr- und Lernansätzen geht.
Ein Konzept, das an vielen Schulen, auch an der Comenius-Gesamtschule Voerde, erfolgreich umgesetzt wird, um den Schüler:innen in ihrer Potenzialentwicklung besser gerecht zu werden, sind die Lernbüros.
Die Lernenden entscheiden über den Lernprozess
Unsere Lernbüros beziehen sich derzeit noch auf die Fächer Deutsch, Mathematik, Englisch und sind darauf ausgelegt, der Heterogenität unserer Schüler:innen, sowohl im Hinblick auf die Leistungsniveaus als auch auf individuelle Lerntypen, gerecht zu werden. Dies gelingt durch projektartiges Arbeiten in folgender Schrittigkeit:
Die Schüler:innen lernen in den Jahrgangsstufen 5 und 6 die Struktur der Lernbüros zunächst innerhalb des Klassenverbandes kennen und entwickeln ihre Reflexionskompetenz – bezogen auf den eigenen Lernprozess und Feedbackgespräche.
Ab Jahrgangsstufe 7 – derzeit ist das System bis Jahrgang 9 ausgebaut – entscheiden die Schüler:innen, welches Lernbüro (D, M, oder E) sie dreimal in der Woche (zweimal eine Doppel-, einmal eine Einzelstunde – im Band für den ganzen Jahrgang) besuchen.
Die Schüler:innen bestimmen selbst, wie sie dabei vorgehen. So besuchen einige z. B. die Fächer abwechselnd, während andere ihren Fokus zunächst auf ein fachbezogenes Projekt in einem Lernbüro legen, dieses abschließen, bevor sie sich dem nächsten widmen. In Austauschrunden mit Lehrkräften wird evaluiert, ob das Vorgehen dem Lernstand und Lerntyp entspricht und zum bestmöglichen Erfolg führt.
Wir legen Wert darauf, dass nicht Aufgaben schematisch „abgearbeitet“ werden. Deshalb verfolgen wir einen projektorientierten und deutlich prozessorientierteren Ansatz.
Das bedeutet, dass im Lernbüro ein produktorientiertes Projekt (z. B. ein Podcast, ein Lernspiel…) erstellt wird. Es gibt immer zwei Projekte zur Auswahl. Diese variieren in Sozialform, Methode und teils auch hinsichtlich des Schwerpunkts, um sowohl die Bandbreite der Lerntypen als auch die divergenten kognitiven wie fachlichen Kenntnisse berücksichtigen zu können. D. h. die Projekte sind so aufgebaut, dass unterschiedliche Leistungsniveaus berücksichtigt werden. Zudem wollen wir den Lernenden ermöglichen, individuelle Potenziale sowie Interessen einbringen und ausbauen zu können.
Doch wie gelingt das und vor allem, wie gestaltet sich bei aller notwendigen Berücksichtigung des Lernenden als Individuum die Notengebung?
Reflexion und Notengebung
In digitalen Taskcards können die Schüler:innen Hilfestellungen (Erklärvideos, Internetseiten, Tippkarten zu Methoden…) ebenso einsehen wie den Erwartungshorizont. Bei der Benotung werden die individuelle Dokumentation der Projektplanung und der Lernprozess berücksichtigt. So wird bei der Präsentation der Projektergebnisse mit Hilfe von Leitfragen der Lernprozess reflektiert: „Wo gab es Schwierigkeiten?“ „Was habe ich dazu gelernt?“ „Was mache ich beim nächsten Mal anders?“ Auch diese Reflexion findet Eingang in die Endnote. Dabei sind die Aspekte so gestaltet, dass die individuelle Entwicklung berücksichtigt werden kann. Da Teampartner:innen frei gewählt werden, können z. B. auch Schüler:innen mit dem Förderschwerpunkt Lernen mit leistungsstarken Schüler:innen ein Produkt gestalten. Selbstverständlich wird das in der Bewertung berücksichtigt: zum einen durch die individuelle Dokumentation der Projektplanung, zum anderen durch die vorgegebene Fokussierung auf den eigenen Lernprozess in der Phase der Präsentation.
Feedback durch Meilensteingespräche
Um sicherzustellen, dass die Schüler:innen nicht erst am Schluss mit einem nicht zufriedenstellenden Ergebnis konfrontiert und damit demotiviert werden, wird vor dem Beginn der Produkterstellung ein Meilensteingespräch mit den betreuenden Lehrkräften geführt.
Dabei fokussiert das persönliche Gespräch auf den aktuellen, individuellen Leistungsstand und die Schritte, die zum Erstellen eines angemessenen Produktes notwendig sind. Hier werden spezifische Hilfestellungen zur Vertiefung oder Motivationshilfen gegeben. Es kommt vor, dass bisherige Ergebnisse überarbeitet werden müssen. Wichtig ist uns dabei aufzuzeigen, dass Fehler Teil des Lernprozesses sind und ohne sie ein Fortschritt nur bedingt gelingen kann.
Gleichzeitig ist durch die Taskcards (z. B. durch Links, die tiefergehende Informationen enthalten) und den Austausch mit den Lehrkräften sichergestellt, dass alle Schüler:innen, gerade auch leistungsstärkere, ihr Potenzial ausschöpfen, sich weiterentwickeln, das Projekt proaktiv ausgestalten und sich nicht mit dem Minimum zufriedengeben.
Durch die schriftliche Dokumentation aller Arbeitsschritte, auch des Meilensteingespräches, kann – basierend auf dem individuellen Leistungsstand zu Beginn des Projektes – der Heterogenität der Schülerschaft Rechnung getragen werden.
Neue Verantwortung für Lehrkräfte und Lernende
Selbstverständlich erfordert diese Art des Lehr- und Lernprozesses ein Umdenken der Lehrkräfte hinsichtlich der persönlichen Haltung und des eigenen Rollenverständnisses. Das ist aber nicht die einzige Herausforderung, der sich Schule in diesem Zusammenhang, in einem solchen Entwicklungsprozess, einem Aufbrechen der tradierten Strukturen, stellen muss.
Neben dem Wechsel der Lehrerperspektive, weg von der klassischen Lehrerrolle als reiner Wissensvermittler hin zum Berater, Lerncoach… , stellen sich auch neue Herausforderungen auf Seiten der Schüler:innen: Das Reflexionsvermögen der Schüler:innen muss weitergehend geschult werden, eine Erziehung hin zur stärkeren Übernahme von Verantwortung für den eigenen Lernprozess (z. B. „Welche Hilfestellung in der Taskcard hat für mich Relevanz?“) muss erfolgen, und ebenso eingeübt werden, wie Fehler als legitimen Teil des Lernprozesses zu sehen – eine Einsicht, die durch die Erziehung mit dem Rotstift in Schulen systematisch abtrainiert wurde.
Weitergehende Perspektiven
Trotz der Herausforderungen – neben dem Aufwand bei der Erstellung der Projektpfade – haben wir im Interesse unserer heterogenen Schülerschaft weitergehende Perspektiven, die wir verfolgen:
- Digitale Lernbüros und damit auch Schulung des Umgangs mit digitalen Medien,
- Erweiterung des projekt- und prozessorientierten Lernbürokonzeptes in der Sekundarstufe I auf weitere Fächer(gruppen),
- Vernetzung mit dem Konzept der Fachlernzeiten (Wissenserwerbfokussierung) in der Oberstufe.
Weitere Informationen:
Artikel aus Die Schule für alle Heft 2024/4