Gemeinsamer Werteunterricht für alle und/oder Religionsunterricht ist hier die Frage.
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Gemeinsamer Werteunterricht
in einer Schule für alle
Gerhard Lein
Die GGG setzt sich seit Bestehen für die Schule für alle ein, in der Schülerinnen und Schüler nicht nach Leistung oder sonstigen Merkmalen eingeteilt oder sortiert werden. Wie wir wissen, ist das ein langwieriger Kampf. Ein gemeinsames Unterrichtfach, in das wir die trennenden Religionsunterrichte und dazu den Ethik-Philosophie-Religionskunde-Unterricht für religionsfern aufwachsende Schüler*innen überführen sollten, gehört im Grund dazu!
Das einzige Unterrichtsfach, das es in unser Grundgesetz geschafft hat, ist der Religionsunterricht. Im Artikel 7 Absatz 3 steht u. a., dass er „unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechts … in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt“ wird, und Ländersache ist. Was in den Anfangsjahren der Bundesrepublik unproblematisch, einfach und überschaubar schien, immerhin waren über 90 % der Bürgerinnen und Bürger Mitglieder einer der beiden großen Religionsgemeinschaften, hat sich zu einer verwirrenden Vielfalt entwickelt. Heute geht es nicht mehr nur um evangelischen oder katholischen Religionsunterricht. In Hamburg haben z. B. fünf verschiedene Religionsgemeinschaften, in Hessen über zehn das gesetzliche Recht, „ihren“ schulischen Religionsunterricht durchzuführen. Dabei sind auch islamische und alevitische Religionsgemeinschaften, nicht jedoch z. B. die buddhistische, die noch auf diese Anerkennung wartet. Die Länderregelungen sind sehr unterschiedlich.
Nur noch die Hälfte der bundesdeutschen Bevölkerung ist Mitglied einer Religionsgemeinschaft
Nun hat sich hierzulande auch die Religionszugehörigkeit insgesamt dramatisch verändert. Nur noch die Hälfte der bundesdeutschen Bevölkerung ist Mitglied einer Religionsgemeinschaft oder fühlt sich einer zugehörig So haben es jüngst die 5. Studie der EKD zur Kirchenmitgliedschaft1 oder der Bertelsmann-Religionsmonitor2 festgestellt. Ca. die Hälfte der Schülerinnen und Schüler besuchen nach Erreichen der Religionsmündigkeit mit 14 Jahren weiterhin den Religionsunterricht, die anderen melden sich für alternative Pflichtunterrichte – zumeist Philosophie, Ethik oder wie auch immer die Länder sie bezeichnen, auch hier von Land zu Land sehr unterschiedlich.
Nicht alle Bundesländer bieten den Erziehungsberechtigten in den Klassen 1–4, 5/6 einen Alternativunterricht und drängen deren Kinder auf diese Weise unfair in einen Religionsunterricht hinein. In einigen Bundesländern rücken die Religionsgemeinschaften zusammen, bilden einen konfessionell-kooperativen evangelisch-katholischen – oder gar „religionspluralen“ Religionsunterricht. Das vorgebliche Motiv: Besser miteinander und voneinander lernen als getrennt übereinander reden.
Gegenstand des Religionsunterrichts sind Bekenntnisinhalte und Glaubenssätze so das BVerfG
Religionsunterricht, so hat es das Bundesverfassungsgericht am 25.2.1987 entschieden, ist jedoch „keine überkonfessionelle vergleichende Betrachtung religiöser Lehren, nicht bloße Morallehre, Sittenunterricht, historisierende und relativierende Religionskunde, Religions- und Bibelgeschichte. Sein Gegenstand ist vielmehr der Bekenntnisinhalt, nämlich die Glaubenssätze der jeweiligen Religionsgemeinschaft. Diese als bestehende Wahrheit zu vermitteln, ist seine Aufgabe.“ (BVerfGE 74, 244 (252)). Wer weiß, wie lange innerreligiöse, synkretistische Modelle des Zusammengehens höchstrichterlichen Bestand haben werden.
Kooperationstendenzen bei Religionsgesellschaften können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Religionsunterricht auf trennende bzw. konkurrierende Bekenntnisse ausgerichtet ist. Und angesichts der schon erwähnten religions-demografischen Entwicklung in unserem Land schließt er zudem die stark zunehmende Zahl konfessionsfreier Menschen aus einem im Grunde eigentlich erwünschten Dialog aus.
Was wir brauchen ist ein gemeinsames Fach
Was wir brauchen ist ein gemeinsames Fach, in dem Schülerinnen und Schüler lernen, sich über Werte in unserer Gesellschaft auszutauschen; dabei sollen sie auch Religionen und deren Wertvorstellungen kennen lernen und – gerade, wenn sie Erfahrungen mit ihnen haben – sich auch kritisch auseinandersetzen. Dies alles in Verantwortung des Staates und nicht einzelner konkurrierender Religionsgesellschaften.
Genauso wie im Gesellschaftskunde-/Politik-Unterricht bei Unterrichtenden, die Mitglieder von Parteien sind, kein sozialdemokratischer oder christdemokratischer Unterricht gemacht werden darf.
Wem könnten eine Diskussion und Propagierung dieser Forderung besser zustehen als der GGG, einer Organisation, die sich seit Bestehen einsetzt für ein gemeinsames Lernen in einer nicht ausgrenzenden Schule, und dem Grundschulverband, dem wir als GGG herzlich verbunden sind.
In der Bevölkerung haben wir eine deutliche Mehrheit für einen gemeinsamen Ethikunterricht. Das Marktforschungsinstitut GFK (Nürnberg) fand 2022 in einer repräsentativen Studie dafür eine klare Mehrheit von 72 Prozent. Dass sich ein beträchtlicher Teil der Befragten (50 %) auch für ein zusätzliches freiwilliges Fach Religionslehre ausspricht, irritiert nicht, wenn zugleich nur gerade 28 % wollen, dass alles so bleibt3 .
Nicht unerwähnt bleiben soll eine weitgehend unbekannte Bestimmung unseres Grundgesetzes. Im Artikel 7 (3) heißt es: „Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach.“ Schaut man in den Länder-Schulgesetzen nach, dann findet man keines, in dem die bekenntnisfreie Schule (ohne Religionsunterricht!) auch nur genannt wird.
Dr. Dieter Galas, ehem. Schulleiter der IGS Langenhagen und GEW-Niedersachsen-Vorsitzender, hat dieses Unterlaufen einer Grundgesetzbestimmung vor einiger Zeit durch eine (leider erfolglose) Petition an den Landtag wieder bewusst gemacht. Die Bundes-Fachgruppe Gesamtschulen der GEW hat jüngst beschlossen, das Thema „Bekenntnisfreie Schule“ auf den Bundes-Gewerkschaftstag der GEW zu bringen. Schulen müssen ein Recht erhalten, den Weg zu einer bekenntnisfreien Schule beschreiten zu dürfen!
Der Hauptausschuss der GGG hat sich mit dem Thema beschäftigt
Die Diskussion im Hauptausschuss am 24.9.2024 spiegelte nicht nur die Vielfalt der Regelungen in den Bundesländern wider, sondern ließ auch die große Zahl von Versuchen erkennen, die komplizierte Situation schulisch handhabbar zu machen. Dazu wurde von allerlei Bemühungen der Schulverwaltungen, aber auch von schulinternen Regelungen und Verabredungen berichtet. Und klar, die GGG begibt sich auf ein schwieriges Feld, wenn sie hier eine Meinungsbildung Richtung gemeinsamer Unterricht und Lernen mit- und voneinander, nicht nebeneinander her vorantreiben will. Hier werden wir einen langen Atem brauchen, aber das kennen wir. Konsens war, dass die GGG am Ball bleiben, Gespräche mit unseren Bündnispartnern Grundschulverband und GEW führen und das Thema vielleicht bei den Himmelfahrtstagungen sowie beim nächsten Bundeskongress auf die Tagesordnung bringen will.
Wer sich tiefer einlesen möchte, dem sei das Buch „Religionsunterricht oder Ethikunterricht? Entstehung des Religionsunterrichts – Rechtsentwicklung und heutige Rechtslage – politischer Entscheidungsbedarf“ von Hartmut Kreß empfohlen. Erschienen 2022 im Nomos Verlag. Erfreulicherweise ist das teure Buch im open access zugänglich4. Meine Rezension gibt es im Humanistischen Pressedienst5.
1 https://www.ekd.de/vernetzte-vielfalt-68334.htm
2 https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/unsere-projekte/religionsmonitor/ueber-die-studie
3 https://fowid.de/meldung/religions-und-oder-ethikunterricht
4 https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/9783748932116.pdf?download_full_pdf=1
5 https://hpd.de/artikel/religionsunterricht-oder-ethikunterricht-20499
Artikel aus Die Schule für alle Heft 2024/4