Die vier Schulbeispiele der Rubrik "Schule im Fokus" in unserer Zeitschrift Die Schule für alle 2025/2 zeigen konkret, was Schulen tun und getan haben, um zu besseren Orten zu werden.
Zum Herunterladen steht Ihnen die ganze Rubrik Schule im Fokus mit allen Artikeln zur Verfügung.
D. Spielmann: Die Idee von Lernen – Nelson-Mandela-Gesamtschule Bergisch-Gladbach
Die Nelson-Mandela-Gesamtschule – wie Lernen neu und transformativ gedacht werden kann
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Die Idee von Lernen
an der Nelson-Mandela-Gesamtschule
Daniela Spielmann
Die Nelson-Mandela-Gesamtschule ist noch eine sehr junge Gesamtschule: Sie wurde 2013 gegründet und verschrieb sich von Anbeginn an der Idee, Lernen neu, anders und transformativ zu denken. Sie geht von der Grundlage aus, dass alle Schüler*innen Potenziale in sich tragen, die es zu entdecken und weiterzuentwickeln gilt – auch über das zunächst Erreichbare weit hinaus.
Das Lernen umfasst drei Säulen:
- Die Ich-Säule: Das Individuum steht im Vordergrund und entwickelt sich, indem es Themen selbstständig und selbstorganisiert erlernt. Dies erfolgt in der Lernzeit (Sek I) und in der Individuellen Lernzeit (Sek II).
- Die Wir-Säule: In dem Fach „Lernen im Projekt“ stehen das Team und die Teamarbeit im Vordergrund. Zu einem Oberthema – angelehnt an die Global Goals – entwickeln die Schüler*innen in Kooperation miteinander Forscherfragen zu dem Thema, beantworten diese, erstellen in dem Kontext ein Produkt, präsentieren ihr Ergebnis und überarbeiten es.
- Die Ich-Wir-Säule: Diese Säule kombiniert das Ich und das Wir. Das Kooperative Lernen und Differenzierungsmatrizen sind Formate, die wir gerne nutzen.
Geschützt wird dieses Lernen mit unserem Dach Teamschule. Gearbeitet wird nach dem Kleingruppenteammodell: Jede Lehrkraft ist einer bestimmten Jahrgangsstufe zugeordnet und übernimmt dort die Funktion der Klassenleitung. Wir begleiten unsere Schüler*innen i. d. R. von der 5 bis zur 10. Das hat den großen Vorteil, dass wir die Kinder in diesem Jahrgang namentlich kennen, weil wir i. d. R. nur dort unterrichten. Für die Schüler*innen heißt das, dass sie einen festen Kern an Lehrer*innen haben, die sie unterrichten. Ein weiterer großer Vorteil ist, dass in Vertretungssituationen der Unterricht gewährleistet ist: Entweder arbeitet man mit der Lerngruppe im eigenen Fach weiter, man nutzt das Material der Fachlehrerin/des Fachlehrers oder man setzt das Format der Lese-Lernzeit, der Zeit für selbstgesteuertes und eigenverantwortliches Lernen, ein.
Auch für das Lehrer*innen-Team bestehen viele Vorteile: In den nahezu wöchentlichen Teamsitzungen gibt es genügend Austauschzeit über die Schüler*innen, für organisatorische Absprachen und Zeit, um gemeinsam den Unterricht vorzubereiten.
Das alles zusammengenommen, lässt Schüler*innen in einem geschützten Raum lernen und leben.
Lernen auf individueller Ebene
Unsere Idee von transformativem Lernen enthält zahlreiche Ansatzpunkte, wie wir unsere Schule als angstfreien Raum gestalten möchten. Zwei Formate sollen fokussiert betrachtet werden.
Die Schüler*innen der NMG erfahren an vielen Stellen eine Lernberatung mit smarter Zielsetzung. So haben wir die typischen Elternsprechtage abgeschafft und führen stattdessen Lern-Entwicklungs-Gespräche mit unseren Schüler*innen durch. Die Eltern dürfen (sollen) bei diesen zweimal jährlich stattfindenden Gesprächen dabei sein. Der Hauptanteil des Gesprächs findet zwischen Kind und Lehrkraft statt. Dabei geht es darum zu schauen, wo das Kind steht, welche Ziele nun angegangen werden wollen, was das Kind dafür tun wird und welche Unterstützung es braucht. Diese vier Schritte werden im Logbuch dokumentiert und nach einem festen Schema überprüft und ggf. angepasst. In dieser Form ist auch unser Schüler*innen-Sprechtag aufgebaut. Dieser findet an dem Tag der Halbjahreszeugnisausgabe statt. Neben diesen drei großen Beratungsanlässen streben wir an, mit jedem Kind im Schuljahr zwei bis drei Lernzeitberatungen durchzuführen. Der Ablauf der Beratung entspricht dem o. g. Vorgehen, wird aber ergänzt durch einen Selbstreflexionsbogen, den die Schüler*innen vorab hinsichtlich ihrer Lernzeit ausfüllen. Dieser Bogen ist Grundlage für das Gespräch.
Mit der Differenzierungsmatrix nach Ada Sasse (1) nutzen wir ein Lernformat, bei dem alle Schüler*innen entsprechend ihrem Entwicklungsstand und ihrer kognitiven Fähigkeit ein passendes Aufgabenformat finden. Da der klassische Unterricht aufgelöst ist, hat die Lehrkraft viel Zeit, um direkt mit den Kindern zu arbeiten, sie zu beobachten oder sie fachlich zu beraten.
Soziales Lernen systematisch angelegt
Neben diesem individuellen Begleiten und dem ständig miteinander in Gespräch sein, bedarf es systematischer und systemisch angelegter Präventionsmaßnahmen, um den Raum Schule angstfrei zu gestalten.
Die ersten Berührungspunkte mit der NMG sichern wir durch unser Patensystem ab. Die Schüler*innen kommen i. d. R. aus kleinen behüteten Systemen an sehr große Systeme und sollen sich möglichst schnell zurechtfinden. Um dem gerecht werden zu können, begleiten unsere Achtklässler die Fünftklässler bei diesem Übergang. Das beginnt schon beim Kennenlernnachmittag vor den Sommerferien und mündet häufig in Freundschaften.
In der neuen Schule dann angekommen, führen wir ein Sozialtraining innerhalb der Klasse durch, in dem es darum geht, als Gemeinschaft zusammen zu wachsen und Konflikte friedvoll miteinander zu bewältigen. Dafür nutzen wir die Methode von „Anders streiten“ (2), das von der Grundannahme ausgeht, dass in jedem Streit beide Seiten einen Streitanteil haben. Wenn der herausgearbeitet wurde, kann man nach einer guten Lösung für beide Seiten schauen.
Dieses Sozialtraining umfasst mindestens das erste Halbjahr in der 5.
Die Methode „Anders streiten“ nutzen die Kolleg*innen z. B. auch in Pausenaufsichten, wenn es sich um kleinere Vorfälle handelt, oder aber die Klassenleitungen nutzen es in Streitsituationen in der Klasse oder im Jahrgang. Dafür hängen an unserer Schule die 5 Schritte jeweils von innen an der Klassentür, sodass dieses Gespräch jederzeit stattfinden kann.
Daran anschließend können Schüler*innen sich in der Streitschlichtung ausbilden lassen. Aktuell haben wir drei Kolleg*innen, die diese Ausbildung mit den Schüler*innen durchführen können. Die ausgebildeten Streitschlichter*innen stehen dann im Rahmen des Ganztages ebenfalls für Streitschlichtgespräche zur Verfügung.
Außerdem haben alle Klassen von 5 bis 10 wöchentlich eine Stunde Klassenrat, der ebenfalls als Präventionsmaßnahme angesehen wird. Hier geht es häufig um gemeinsame Absprachen, wie man innerhalb der Klasse miteinander umgehen möchte. Durch eine klare Struktur können die Schüler*innen die Durchführung zügig selbst übernehmen und erfahren dabei Selbstwirksamkeit im Demokratisierungsprozess.
Die NMG als angstfreier Raum
Schule soll ein Ort sein, an dem jeder angstfrei lernen, streiten und spielen darf. Dass Konflikte zum Leben dazu gehören, ist selbstverständlich. Um diese Konflikte zu bewältigen, muss sich jede Schule auf den Weg machen, Ideen zu entwickeln und Konzepte entstehen zu lassen. Es ist Aufgabe aller Schulen dafür Sorge zu tragen, dass die erst kleinen Menschen und später großen Menschen, die Lehrer*innen und Schulleitungen, gerne täglich an den Ort zurückkehren, der ein Ort des angstfreien Lernens sein soll. Wenn wir dafür Sorge tragen, dass die Schüler*innen selbstwirksam werden können, sich darin üben können z.B. angstfrei Konflikte auszutragen oder weil man ihr Lernen ernstnimmt, dann sollte es gelingen, Schule als guten Ort zu gestalten.
Quellen:
- Berufsbildung NRW - Bildungsgangübergreifende Themen - Individuelle Förderung am Berufskolleg - Gestaltung gemeinsamen Lernens in der Praxis: Unterrichtsmaterialien für die Ausbildungsvorbereitung – Differenzierungsmatrizen nach Prof. Dr. Sasse
- Das Bensberger Mediationsmodell – Anders streiten
Weitere Informationen:
Nelson-Mandela-Gesamtschule Bergisch-Gladbach
Artikel aus Die Schule für alle Heft 2025/2
U. Reinartz: Ergänzender Bericht über die Nelson-Mandela-Schule
Die Nelson-Mandela-Gesamtschule wurde 2023 mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet. Aus diesem Anlass besuchte kürzlich die NRW-Bildungsministerin, Dorothee Feller, die Schule. Ursula Reinartz war dabei und berichtet über die Schule.
Eine Schule zum Wohlfühlen
eine ganz persönliche Begegnung
Ergänzung zu
Daniela Spielmann: Die Idee vom Lernen – an der Nelson-Mandela-Gesamtschule
in Die Schule für alle 2025/2
Ursula Reinartz
Bereits beim Betreten der Schule wird die freundlich-offene Atmosphäre des Schullebens deutlich: Bunte, von Lehrerteams erstellte Kunstwerke und ein von Schüler:innen gestaltetes Tableau der „Global Goals“ strahlen den großen Eingangsbereich aus. Der Ton ist gesetzt: Offenheit, Transparenz, Aufgeschlossenheit und Teamwork zeichnen diese Schule aus!
Der Rundgang durch die Schule gab Einblick in drei Lerneinheiten: Im „Sterne-Projekt“, angekoppelt an „Lernen im Projekt“ des 6. Jahrgangs, setzten die Schüler:innen eigenständig mit Tanz und Bewegung ein selbstgewähltes Thema um: Dabei ging es – trotz des Besuches – lebhaft zu, Kreativität braucht halt lebendige Kommunikation zwischen den Schüler:innen! In der „Leselernzeit“ im 9. Jahrgang waren die Schüler:innen dagegen besonders ruhig und fokussiert. Sie lasen in selbst gewählten Büchern im Lernraum oder auf roten Sitzkissen im vorgelagerten Flur. Was für eine schöne, freundliche Atmosphäre – die unmittelbar zu kurzen Gesprächen zwischen der Ministerin und den Schüler:innen führte.
Im Ganztagsbereich erschließt sich, wieviel an Leben sich in dieser Schule täglich abspielt. In der Mittagszeit ist die Mensa stark ausgelastet – offensichtlich schmeckt das Essen prima. Noch einladender sah es im „Nelson’s Café“ aus, das im Rahmen des selbständigen Lernens von Förderschüler:innen der 7. bis 10. Klassen mit kleinen Mittagsgerichten betrieben wird und sehr regen Zuspruch erfährt.
Im Lehrerzimmer wurde die Teamstruktur der Schule deutlich: Alle Lehrpersonen sind dem Team einer Jahrgangsstufe zugeordnet; die Arbeitsplätze liegen nah beieinander, so dass ein schneller, enger Kommunikationsaustausch möglich ist. „Vertretungsstunden“ im bisherigen Sinne gibt es nicht mehr, da das jeweilige Lehrerteam in Eigenregie die „Vertretung“ regelt und die Schüler:innen ja an ihren Lernmaterialien selbständig lernen.
Frau Ministerin Feller betonte mehrfach, sie sei gekommen, um Anregungen einzuholen und zu lernen, was sie besser machen könnten. Ihre positive Rückmeldung an die Schule beinhaltete, dass dies eine besondere Schule sei, die zurecht mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet wurde.
Was fehlt an dieser Schule, um sich noch wohler zu fühlen und noch besser lernen zu können? Eigentlich nichts – dennoch gibt es Erfordernisse! So sind die Räumlichkeiten nicht originär für offene Lernformen konzipiert. Die Schülerbibliothek ist liebevoll und ansprechend eingerichtet, aber zu klein und jenseits von Digitalisierungsmöglichkeiten. Lernräume können zwar zu den Fluren hin ausgeweitet werden, aber das teilweise flexible Mobiliar muss aus Durchgangsgründen zu den Pausenzeiten wieder beiseite geräumt werden. Enge herrscht auch in anderen Räumen. Schulleitung und Kollegium setzen den räumlichen Problemen Nähe und Ansprechbarkeit für die Schüler:innen, Eltern und weiteren Mitarbeiter:innen deutlich entgegen. Aber neue Lernkonzepte erfordern auch Raum!
Übrigens: Die Nelson-Mandela-Gesamtschule ist eine ganz „normale“ Gesamtschule von Jahrgang 5 bis 13 mit etwa 800 Schüler:innen, davon 80 Förderschüler:innen und c a. 60 Prozent mit Migrationshintergrund.
Und sie ist wahrhaftig eine Schule zum „Wohlfühlen“ – ein „guter Ort“!
H. Klemm: Eine Mittelschule macht sich für mehr Bildungsgerechtigkeit stark – Eichendorffschule Erlangen
Die Eichendorffschule in Erlangen – ein bayerisches Beispiel für mehr Bildungsgerechtigkeit
hier lesen
Eine Mittelschule macht sich für mehr Bildungsgerechtigkeit stark
Die Eichendorffschule in Erlangen
Helmut Klemm
Das deutsche Schulsystem ist ungerecht, das bayerische besonders. Wir an der Eichendorffschule in Erlangen erleben es tagtäglich.
Wir können das bayerische Schulsystem nicht ändern. Aber wir können den Ort, den wir jeden Tag gestalten, ein wenig gerechter machen. Der Ganztag, die integrative und flexible Beschulung sowie das eigenverantwortliche und selbstorganisierte Lernen sind dafür von Bedeutung. Aber auch Potenzialentfaltung, eine pädagogisch motivierte Notengebung und eine wertschätzende Haltung den uns anvertrauten jungen Menschen gegenüber.
„Der Eichendorffschule gelingt es, den Schülerinnen und Schülern, die von der Grundschule oftmals nur das Gefühl des Scheiterns kennen, die Angst vor Fehlern zu nehmen und ihnen wieder Freude am Lernen zu vermitteln.“ So begründete Thorsten Bohl, Jury-Sprecher des Deutschen Schulpreises und Direktor der Tübingen School of Education, die Vergabe dieser renommierten Auszeichnung an die Eichendorffschule am 12. Oktober 2023.
Ganztagsschule als notwendige Voraussetzung
Wir betrachten die Ganztagsschule als notwendige Voraussetzung für eine gerechtere Schule. Von unseren ca. 400 Kindern und Jugendlichen aus über 30 Ländern können 70 % eine Migrationsgeschichte erzählen und 35% leben in ärmeren Verhältnissen. Eltern können häufig nicht helfen und die Wohnverhältnisse sind zu oft hinderlich. Wir sagen: Hausaufgaben sind Hausfriedensbruch. Alles schulische Lernen muss in der Schule stattfinden, im Unterricht und zusätzlich in der individuellen Lernzeit, von der jede Ganztagsklasse zwei bis drei Stunden in der Woche hat. Die Ganztagsschule bietet uns den organisatorischen Rahmen für ein dringend benötigtes Mehr an Zeit. Innerhalb des ganztägigen Rahmens setzen wir unsere vier Bildungsprinzipien um:Wissen neu lernen, Potenziale entfalten, zusammen leben und Verantwortung übernehmen-Herausforderungen meistern. Von diesen sind „Wissen neu lernen“ und „Potenziale entfalten“ besonders bedeutsam. Es geht um materialgeleitete, adaptive Unterrichtskonzepte wie den Raum der Mathematik oder die Lernbüroarbeit, um auf die Diversität unserer Schülerschaft angemessen reagieren zu können. Die Potenziale und Talente unserer Kinder und Jugenlichen wollen wir in zahlreichen Arbeitsgemeinschaften zur Entfaltung bringen. Unsere jungen Menschen sollen nicht nur in Mathematik und Deutsch erfolgreich sein. Kunst und Musik, Hegen und Pflegen in unseren vier Biotopen, Filme drehen und BMX fahren sind nicht weniger bedeutsam. Wir verstehen uns als zeitgemäßen Bildungs- und Kulturort.
Der pädagogische Dreiklang: Beziehung-Erziehung-Unterricht
Unsere Lehrkräfte unterrichten keine Fächer, sie initiieren und begleiten das Lernen junger Menschen. Es braucht eine Beziehung zwischen Lernenden und Lehrenden. Zusammen mit unserem langjährigen Bildungspartner ChangeWriters e. V. festigen wir unser Kollegium in der wertschätzenden Haltung den Kindern und Jugendlichen gegenüber und bilden sie regelmäßig fort, immer zu Beginn eines neuen Schuljahres. Als ChangeWriters-Schule haben wir zwei ausgebildete Methodencoaches. Sie bieten Workshops für gelingende Beziehungen in der Eichendorffschule an, für Schülergruppen und Lehrkräfte und führen ein in bis zu 200 Methoden.
Unsere kleinkarierte und das Schulklima negativ beeinflussende Schulordnung ersetzten wir durch unser Schulethos - unsere KICKFAIR Werte. In mehreren moderierten Workshops haben sich Schülerinnen und Schüler die Frage gestellt, wie wollen wir an unserer Schule zusammen lernen und leben? Wir verbringen viele Stunden zusammen, nicht nur im Klassenzimmer, sondern auch in der 45-minütigen freien Zeit, in der Mensa, den beiden Lebensräumen, in den Gängen oder auf dem Pausenhof. Konflikte bleiben nicht aus. Gute Antworten auf die Frage nach einem harmonischen Zusammenleben sind von entscheidender Bedeutung. Eine gute Schule zeichnet sich nicht dadurch aus, dass sie Konflikte ignoriert oder unterdrückt, sondern auch durch die Art und Weise, wie sie Konflikte bewältigt. Die KICKFAIR Werte und die Drei-Halbzeiten-Methode spielen dabei für uns eine bedeutende Rolle.
KICKFAIR Werte statt Hausordnung
Das Ergebnis der Schülerworkshops war zunächst überraschend. Nur sieben Sätze mit je einem vorangestellten Hashtag und zum Teil kryptischen Formulierungen wie z. B. Wir brauchen Raum. Raus aus den Ecken! Es hat etwas gedauert, bis wir Lehrkräfte den Wert dieser Werte für unsere Erziehungsarbeit erkannten. Die sieben Formulierungen bilden alles ab, was wir für ein gutes Miteinander an der Eichendorffschule brauchen. Das Mitgefühl für den anderen, den Respekt vor dem anderen. Die Sätze treffen den Kern und sind doch offen formuliert. Sie müssen verstanden und in den Alltag übersetzt werden, so konkret wie möglich. Wir brauchen Raum kann das Drängeln in den Gängen oder vor dem Pausenverkauf einschließen oder das Bedürfnis nach Rückzugsmöglichkeiten in der freien Zeit. Unsere KICKFAIR Werte sind allgegenwärtig, in jedem Unterrichtsraum und in jedem Logbuch. Wir setzen sie präventiv ein, als Wert des Tages, der Woche oder des Monats, in Projekten, in der Klasse oder im Lernhaus. Oder wir reagieren mit ihnen auf konkrete Verfehlungen, situativ und individuell in pädagogischen Gesprächen oder grundsätzlicher im wöchentlichen Klassenrat oder in den mindestens sechs Vollversammlungen der Schulgemeinschaft.
In der Erziehungsarbeit an der Eichendorffschule werden vorgegebene Regeln durch einvernehmliche Abmachungen ersetzt. An die Stelle von Lob und Tadel treten die Reflexion und das Feedback. Ob es die neue Klasse ist oder der erste Fachunterricht im Werkraum. Der Aufenthalt in der Mensa oder das Lernen in den Lernbüros. Wir setzen auf die Drei-Halbzeiten-Methode auf der Grundlage unserer KICKFAIR Werte. In der ersten Halbzeit werden Abmachungen getroffen und verschriftlicht. Sie sind der Maßstab für unser Handeln. Die zweite Halbzeit ist die gute Praxis. Ihre Dauer ist variabel. In der dritten Halbzeit reflektieren wir die Umsetzung der Abmachungen und geben uns Feedback. Das ist zeitaufwändig und mitunter nervig, aber es ist nachhaltig. Natürlich gibt es auch rote Linien wie Körperverletzung oder Cybermobbing. Hier helfen kein Feedback und keine Reflexion, hier braucht es vielleicht eine Strafanzeige.
Die Eichendorffschule ist eine Hinweisschule
Und dann sind da noch die „-ismen“, vor allem Sexismus und politischer Extremismus. Sie werden über die Elternhäuser, Peer Groups oder soziale Netzwerke in die Schule gespült. Ihnen müssen wir uns stellen. Zusammen mit unseren beiden Jugendsozialarbeiterinnen und unserem Respekt Coach bieten wir zahlreiche themen- und alterspezifische Angebote an. Es geht um Workshops zur Queerfeindlichkeit, Empowerment-Veranstaltungen für Mädchen oder eine Woche der Demokratie für alle Klassen, allein 193 Angebote in den letzten drei Jahren.
Die Eichendorffschule versteht sich nicht als Best Practice. Ihr mehrjähriger, systematischer und ganzheitlicher Schulentwicklungsprozess kann nicht mit Copy & Paste auf andere Schulen eins zu eins übertragen werden. Wir verstehen uns eher als Hinweisschule. Wir können Hinweise geben, wie an einer Ganztagsschule, die sich als zeitgemäßer Bildungs- und Kulturort versteht, das Miteinander gestaltet werden kann, manchmal mehr, selten weniger harmonisch.
KICKFAIR e.V. ist unser zweiter wichtiger Bildungspartner. KICKFAIR steht eigentlich für eine besondere Art des Fußballspielens. Heute ist die langjährige Kooperation mit KICKFAIR e. V. ein fester und integrativer Bestandteil unserer Schulentwicklung und viel mehr als Fußball. KICKFAIR steht an der Eichendorffschule für unsere KICKFAIR Werte – unseren Schulethos. Für die Drei-Halbzeiten-Methode und das Projekt Football Learning Global und damit für Erziehungsarbeit und Demokratiebildung. Für Südexperten und Teamer. Für das bundesweite KICKFAIR-Festival in Ostfildern oder die regionale Zusammenarbeit mit Partnerschulen. Und das alles unter der Federführung unserer KICKFAIR Schule, eine von fünf Schulen der Eichendorffschule. Für uns steht KICKFAIR für Sozialerziehung und Demokratiebildung.
Weitere Informationen:
Eichendorffschule Erlangen
Artikel aus Die Schule für alle Heft 2025/2
B. Riekmann u. a.: Das Kind in seiner Einzigartigkeit wahrnehmen – W-v-Humboldt-Gemeinschaftsschule Berlin
Die Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule Berlin – geprägt von einer Kultur der Anerkennung, der Wertschätzung und des Miteinanders
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Das Kind in seiner Einzigartigkeit wahrnehmen
Die Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule Berlin
Laïs Anders, Judith Bauch, Laura Cavallaro und Katrin Scheinpflug beantworten in einem Schreibinterview die Fragen von Barbara Riekmann.
Die Wilhelm-von-Humboldt-Schule wurde 2008 im Rahmen des Berliner Schulversuchs Pilotphase Gemeinschaftsschule neu gegründet. Sie ist seitdem von der Grundschule bis zum Abitur kontinuierlich „aufgewachsen“. 2024 erhielt die Schule den Deutschen Schulpreis.
Welche Bausteine Eurer Schule sind konzeptionell besonders relevant und bilden vom ersten Jahrgang bis zum Abitur einen Roten Faden?
„Jede*r ist anders / Keine*r ist gleich / Wir alle gemeinsam / Lernen ist leicht!“, so lautet das Schulmotto der Wilhelm-von-Humboldt Gemeinschaftsschule. Im Mittelpunkt steht: Das Kind in seiner Einzigartigkeit wahrnehmen und gleichzeitig ermöglichen, sich als Teil der Gemeinschaft wohl und geborgen zu fühlen. Das ebnet den Weg, sich von der Neugierde im Lernen vorantreiben zu lassen.
Als wichtige Bausteine dazu haben wir eine Kultur der Anerkennung, Wertschätzung und des Miteinanders sowie ein Konzept des inkludierenden individualisierten Lernens auf Grundlage datenbasierter Lernbegleitung definiert.
Eine Schule ohne Klassifizierung und Stigmatisierung durch: Kombination von Lerninstrumenten für das inklusive, individualisierte und selbstorganisierte Lernen, regelmäßiges Feedback, jahrgangsübergreifendes Lernen, thematisches, exemplarisches, projektorientiertes und kooperatives Lernen in Fächerverbünden, Eigenverantwortung, Lernen an anderen Orten, eine Rhythmisierung von An- und Entspannung innerhalb des gebundenen Ganztages bis 10, keine Notenpunkte und Zensuren bis Jahrgang 9, Selbstüberprüfung zum selbstgewählten Zeitpunkt statt Klassenarbeiten bis 9, Ansprache aller mit Vornamen und „Du“ und nicht zuletzt Demokratiebildung von Anfang an.
Wie beschreibt Ihr eine Schule „als guten Ort zum angstfreien Lernen“? Welche Elemente sollte sie unbedingt haben?
Eine solche Schule muss den Kindern und Jugendlichen ermöglichen, dass sie als Individuum gesehen und anerkannt werden und sich gleichermaßen als Teil der Gemeinschaft erfahren können. Selbstwirksamkeitserfahrung durch Partizipation und Verantwortungsübernahme muss durch verschiedene Formate ermöglicht werden. Durch grundsätzliche Erfahrung und Anerkennung von Vielfalt werden herabsetzende Vergleiche unmöglich gemacht. Schule muss der Ort der Lernenden sein. Schule soll ein spannender, vielfältig gestalteter und nutzbarer Ort sein, in dem individuelle Erfolge von der Gruppe gefeiert werden – ein anziehender Ort.
Welche Strukturen habt Ihr geschaffen, um angstfreies Lernen zu etablieren? Welche sind aus Eurer Erfahrung besonders bedeutsam, bzw. wirksam? Und warum?
Wir sind eine Schulgemeinschaft und jede*r ist ein Teil. Das wird sichtbar u. a. durch den alltäglichen Umgang miteinander, regelmäßige Fortbildung in gewaltfreier und lösungsorientierter Kommunikation für alle am Schulleben Beteiligten, die räumliche Anordnung der Lernenden der Jahrgänge 1–10 in einem Gebäudeteil, durch multiprofessionelle Teamstrukturen, die Querverbindungen zwischen Pädagog*innen, Schüler*innen- und Elternvertretung herstellen, Strangstärkung, jährliche Gemeinschaftshöhepunkte.
Partizipationsmöglichkeiten für die Lernenden sind in Unterricht und Freizeit grundsätzlich gegeben durch: den wöchentlichen Lerngruppenrat, den täglichen Abschlusskreis, ritualisierte Coaching- und Feedbackgespräche, eine professionelle Begleitung der Schüler*innenvertretung, von Kindern erstellte Lerngruppenregeln, partizipative Erarbeitung von Schulregeln als Schulentwicklungsvorhaben. Als herausragende Partizipationsmöglichkeit ist die Umsetzung des Hybriden Lernens mit Hilfe des Lerninstrumentes Türöffner zu bezeichnen: Die Jugendlichen schlagen vor, an welchem Lernort sie gut zum vorgegebenen Thema arbeiten können. Die Lernbegleitung coacht dazu.
Wir ermöglichen Gestaltete Lernumgebung partizipativ mit Expert*innen zu entwickeln. Der Raum als dritter Pädagoge!
Herzstück des Kinderschutzkonzepts ist der partizipativ entwickelte Verhaltenskodex, der unsere pädagogische Haltung abbildet und in allen Lerngruppen kommuniziert und sichtbar ist. Notfallnummern und Ansprechpersonen sind in Schaukästen und in jeder Toilette ausgehängt.
Wir Pädagog*innen sehen uns als Begleitung beim Lernen der Schüler*innen. Schüler*innen werden als Expert*innen betrachtet und können anderen mit ihren Kompetenzen helfen. Jeden individuellen Erfolg feiern! Erleben von Vielfalt statt vergleichen! Stärken stärken, Strategien für „Baustellen“ erlernen!
Entscheidendes Element: Kompetenzfeststellung statt Bewertung und somit keine Noten!
Welche etablierten Abläufe bezogen auf Prävention und Intervention habt Ihr entwickelt, um Konflikte zu bearbeiten?
Die bereits genannten Elemente und Strukturen sind etabliert und bieten eine grundsätzliche Prävention. Die gewaltfreie Kommunikation ist fester Teil des sozialen Lernens für die Kinder (Zaubersprache) und Prävention für Pädagog*innen durch schulinterne Fortbildung.
Streitschlichter*innen erhalten ihre Ausbildung als Lernende der Jahrgänge 4–6 und sind dann als Pat*innen für Konflikte in 1–3 zuständig. Die Fachgruppe Soziales Lernen hat zusammen mit den Jahrgangsteams Vorschläge und mögliche Angebote für Anti-Mobbing-Prävention erarbeitet, um den Präventionsteil des Anti-Mobbing-Konzepts umzusetzen.
Digitale Held*innen kommen mit Themen wie Gaming, Klassenchat, Recht am eigenen Bild, Datensicherheit in die Lerngruppen und führen Workshops durch.
Die Leitfäden für Gespräche, für kurze/lange Intervention (Streitprotokoll, Störungsprotokoll, Leitfaden für das Vorgehen bei Mobbingverdacht oder Mobbingvorfall) sind allen Pädagog*innen bekannt und auf unserer Plattform abrufbar. Die Schulleitung ist erreichbar und priorisiert diese Vorfälle. Das Krisenteam ist mit verschiedenen Professionen besetzt und arbeitsfähig. Eine erhebliche Anzahl von Kolleg*innen hat sich zu Anti-Mobbing-Expert*innen ausbilden lassen.
Was wünscht Ihr Euch an Unterstützung für Euer Anliegen einer „Schule als guter Ort“. Wo habt auch Ihr noch Entwicklungsbedarf?
Entwicklungsbedarf haben wir natürlich an verschiedensten Stellen und sind selbstkritisch. Im Alltag ist es ein großes Thema, die Verbindlichkeit von Regeln bei allen umzusetzen.
Verschiedene Netzwerke – Schulpreisträgernetzwerk, Netzwerk der Gemeinschaftsschulen (GGG), Blick über den Zaun, Fachstellen, Schulaufsicht – unterstützen uns.
Was wir uns hier an „mehr“ wünschen, richtet sich an unsere gesamte Gesellschaft und die „Großen“ in der Politik: mehr Aufmerksamkeit und – klar – auch Gelder für den Bildungsbereich und besonders die Inklusion.
Wir sind der Überzeugung, dass es eine Transformation des Schulsystems braucht! Leuchtturmschulen zeigen Möglichkeiten für Veränderung auf, schaffen aber alleine keine ausreichende Wirkkraft für großflächige Veränderungen, die allen Kindern zugute kämen.
Und zudem, wenn Ihr Euch was träumen dürftet: Was wären drei Träumchen für die nächsten fünf Jahre?
Geträumt: Digitale Ausstattung und die Medienbildung sind so ausgebaut, dass die Lernenden souverän und kritisch Teil der digitalen Revolution sind. Die Ausweitung des Projektes Hybrides Lernen führt zur weiteren Öffnung der Schule, in der die Schule ein sicherer Hafen für die Gemeinschaft bleibt.
Geträumt: Die Frequenzen in unseren Lerngruppen sind wieder niedriger, denn unsere Schule ist durch den enormen Bedarf an Schulplätzen im Bezirk derzeit räumlich extrem verdichtet.
Geträumt: Lernende und Pädagog*innen, alle in der Schule tätigen Menschen, sind resilient, unterstützt trotz Bildungskrise, fühlen sich wohl und gut! Das ist nicht nur die Voraussetzung für angstfreies und erfolgreiches Lernen, sondern auch für gute pädagogische Arbeit!
Weitere Informationen:
Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule Berlin
Artikel aus Die Schule für alle Heft 2025/2
K. Schneider u. a.: Angstfrei lernen und sich wohlfühlen – Ernst-Reuter-Schule Offenbach
Die Ernst-Reuter-Schule – ein multiprofessionelles Unterstützungsteam für einen guten Schulalltag
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„Schule als guter Ort – angstfrei lernen – sich wohlfühlen“
Die Ernst-Reuter-Schule in Offenbach
Sabine Henning, Carolin Rost und Konstanze Schneider
Wir haben zu unserem Magazinthema ein Schreibgespräch mit der Schulleiterin Sabine Henning der Offenbacher Ernst-Reuter-Schule, IGS mit Grundstufe, und der Schulgesundheitsfachkraft Carolin Rost geführt. Ein ausführliches Schulportrait der Ernst-Reuter-Schule finden Sie in unserer Ausgabe 2022/3, dem Hessenmagazin.
Wie kommen Sie in der ERS der Wunschvorstellung einer Schule als gutem Ort näher?
Die ERS ist ein großstädtische Integrierte Gesamtschule mit Grundstufe im Rhein-Main Gebiet, die von ca. 900 Schülerinnen und Schülern besucht wird, die sich bezüglich ihrer Bildungslaufbahn, ihrer Fähigkeiten und ihrer Motivation zu lernen, sehr stark unterscheiden. Erfolgreiches und angstfreies Lernen setzt also voraus, dass die Lernangebote grundsätzlich auf Unterschiedlichkeit hin angelegt sind. Konsequente Binnendifferenzierung im Unterricht und auch in der Leistungsmessung ist eine große Herausforderung für die Lehrkräfte und braucht zum Gelingen gemeinsame, nachhaltige Anstrengung und ein Konzept. Wir arbeiten seit der Umwandlung in eine IGS im Jahr 2016 mit (Lern-) Aufgaben auf vier Niveaustufen; von sehr einfachen Basisaufgaben bis zu komplexen Transferaufgaben. So können auch Schülerinnen und Schüler mit großen Lernlücken und/ oder Motivationsproblemen angstfrei mitarbeiten, da es immer Aufgaben gibt, die sie erfolgreich bearbeiten können.
Um ein guter Ort zu sein, muss Schule neben der Möglichkeit angstfrei zu lernen auch möglichst angstfreie soziale Strukturen bieten. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es (sehr) viele Schülerinnen und Schüler gibt, die sich in der sozialen Beziehung zu ihren Mitschülerinnen und Mitschülern sehr unsicher, unwohl und angstvoll fühlen. Sie fürchten unbeaufsichtigte Situationen, die herabsetzende Kommentare, Blicke und Posts in den sozialen Medien ermöglichen. Auch fällt es diesen Schülerinnen und Schülern häufig schwer, Personen zu finden, denen sie sich mit diesen Sorgen und Ängsten öffnen können.
Weiterhin wissen wir, dass selbst gutes Classroom Management und Präventionsangebote negatives Verhalten untereinander zwar begrenzen, aber nicht wirklich verhindern können.
Daher versuchen wir, Schülerinnen und Schülern, die mit Ängsten und Sorgen untereinander oder auch in anderen Bereichen kämpfen, möglichst viele Unterstützungspersonen anzubieten.
Wie sieht Ihr Unterstützungskonzept für die Schülerschaft im einzelnen aus?
In der Mindmap „Sei mutig und stark“ (siehe Abb.) werden den Schülerinnen und Schülern diese unterstützenden Personen vorgestellt. Die Zugänglichkeit wird durch offene Angebote und Projekte im Unterricht unterstützt: So stellen sich die Sozialpädagoginnen im Sozialtraining (Grundstufe), Interviews und dem Projekt Fair im Netz (Jg.5) vor, während die Gesundheitsfachkraft durch tägliche Sprechzeiten und bspw. den Präventionsunterricht zur Stärkung der Persönlichkeit in Jg. 6 den Schülerinnen und Schülern bekannt und zugänglich wird.
Offene Angebote des Unterstützungsteams ab Klasse 5 sind die Teestube in der Mittagspause oder nach Unterrichtsschluss Die gleiche Funktion hat der tägliche Pausentreff für Schülerinnen und Schüler ab Klasse 7.
Häufig müssen darüberhinaus aber auch die Lehrkräfte initiativ werden und weiterführende professionelle Unterstützung für die Schülerinnen und Schüler einfordern. Aufgrund unserer Erfahrung geht dies unaufgeregt und schnell. Das erleichtert auch den Umgang mit externen Stellen wie z.B. der Polizei, Kliniken, dem Jugendamt.
Sie beziehen sich mehrfach auf das Unterstützungsteam der ERS. Können Sie uns dazu etwas mehr sagen? Die Übersicht weist neun Personen ganz unterschiedlicher Professionen aus- wie arbeiten diese zusammen? Wie werden Absprachen und Informationen ausgetauscht? Was hat sich dabei bewährt?
Die Wirkungsmöglichkeit der Lehrerin oder des Lehrers ist begrenzt. Wir haben uns daher bemüht, Personen anderer Professionen mit vielfältigen Fähigkeiten an die Schule zu bekommen. Dass sich aus den Einzelpersonen ein funktionierendes Team gebildet hat, ist nicht selbstverständlich, verlangt Aufmerksamkeit und das aktive Schaffen der nötigen Bedingungen. Das Unterstützungsteam trifft sich wöchentlich zu einer gemeinsamen Koordinationssitzung, vierteljährlich mit einem Supervisor und halbjährlich zu einem eigenen „Pädagogischen Tag.“
Wchtig ist, die beratende und intervenierende Arbeit des Unterstützungsteams eng mit der alltäglichen schulischen zu verknüpfen und zu koordinieren, um „Mehrfachberatungen“ und damit verbundene Missverständnisse zu vermeiden.
Auch hier war der Aufbau einer festen Kommunikationsstruktur notwendig: Wir nennen diese das PÜZ (Professionell übergreifende Zusammenarbeit). Hier treffen sich einmal wöchentlich für eine Stunde das Unterstützungsteam, die Schulleitung (alle Mitglieder!), die Präventionslehrkraft, die Inklusionsbeauftragten und das BFZ Team zum Austausch über die aktuellen „Fälle“. Dies geschieht zurzeit in einem „Speed-Dating-Verfahren“: Die Moderation liegt jede Woche bei einem anderen Mitglied, das eingangs die Ergebnisse der Verabredungen / Aufträge der vergangenen Woche abfragt und dann die aktuellen Anliegen sammelt. Dabei nennt der Fallgeber, welche Personen er bei der Besprechung braucht; die übrigen Teilnehmer ordnen sich nach Interesse und Infostand selbst zu. Anschließend verteilen sich die so gebildeten Kleingruppen auf verschiedene Räume und beraten sich zu dem Anliegen. Es werden die Eckpunkte und die Verabredungen / Aufträge notiert, im Plenum knapp vorgestellt und ggf. ergänzt. Dieses Verfahren funktioniert grundsätzlich gut, allerdings bedarf es sehr viel Disziplin bei allen Teilnehmenden. Eine große Stärke dabei sind die vielen unterschiedlichen Perspektiven und Ideen, die so zur Lösung beitragen können.
Aus Beobachtungen und deren Besprechung wissen wir, dass die Unterstützungsangebote von den Schülerinnen und Schülern sehr gut angenommen werden, dass es unzählige Gespräche zu kleinen, aber auch gravierenden Nöten gab und gibt und wir eigentlich nie mit bisher unbekannten schwerwiegenden Krisen oder Konflikten überrascht werden.
Wenn Sie drei Wünsche frei hätten- was wünschen Sie sich für Ihre Schule als „guter, angstfreier Ort“?
Wir wünschen uns mehr von dem, was wir begonnen haben:
Wir wünschen uns mehr ZEIT, um miteinander zu sprechen, uns zu koordinieren und zu beraten. Dies geht nicht informell zwischen Tür und Angel, sondern bedarf festgelegter Zeiten und verabredeter Strukturen. Solche sind im Hinblick auf die stetig wachsenden Anforderungen vor allem an den Erziehungsauftrag der Schulen unbedingt notwendig.
An Schulen kommen täglich hunderte bis über tausend Heranwachsende zusammen: für einen angstfreien Alltag in dem Schülerinnen und Schüler sich wohlfühlen, bedarf es neben den Lehrkräften weiterer PERSONEN, die in diesem Alltag anwesend und sichtbar sind, um möglicherweise angstbesetzte Situationen zu entschärfen, Pausen zu gestalten und andere außerunterrichtliche Angebote zu machen.
Wir wünschen uns, dass ernsthaft wahrgenommen wird, dass GUTE Schulen heute so viel mehr Aufgaben haben als bisher und dass dies nicht mit der traditionellen Personalversorgung und den Strukturen der Vergangenheit gehen kann. Wir wünschen uns, dass der Mut und die Entschlossenheit aufgebracht werden, den Schulen nicht nur ständig neue Aufgaben zu geben, sondern die Bedingungen, unter denen diese erledigt werden können, endlich grundsätzlich neu zu denken!
Weitere Informationen:
Artikel aus Die Schule für alle Heft 2025/2