Selbstwirksamkeit, Verantwortungsübernahme, Beteiligung – Elemente einer guten Schule
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Eine gute Schule ist eine demokratische Schule
Helmolt Rademacher
Was ist eine gute Schule? Diese Frage lässt sich sicher auf verschiedene Weise beantworten – je nachdem welche Kriterien angelegt werden. Eine gute Schule sollte auf jeden Fall eine sein, in der mit Freude gelernt wird und es entsprechende Bedingungen gibt, um dies zu gewährleisten. Die offene Schule Waldau bei Kassel hat dazu folgende Schlagworte in den Vordergrund gestellt: friedlich, freundlich, langsam, leise. Diese Begriffe wirken zunächst sehr banal, aber bei genauerer Betrachtung bilden sie den Kern einer guten Schule. „Friedlich“ bedeutet, dass es keine Diskriminierung gibt, keine Ausgrenzung, keinen Rassismus und Antisemitismus, kein Mobbing, keine Gewalt, d.h. auch, dass es dort leiser und freundlicher zugeht. Konflikte werden konstruktiv unter Mitwirkung aller Beteiligten ausgetragen und nicht von oben geregelt. Hier kommt ein Element eines demokratischen Miteinanders ins Spiel: die Mediation.
Mediation als konstruktive Konfliktbearbeitung
Die Mediation ist ein Verfahren konstruktiver Konfliktbearbeitung, bei der eine Vermittlerperson aktiv wird und unter der Maßgabe von Allparteilichkeit und Lösungsabstinenz agiert. Dieses Verfahren der Entschleunigung bedeutet sich entsprechend Zeit zu nehmen, langsam zu sein. Das hört sich sehr einfach an, setzt allerdings eine Schulkultur voraus, die über Jahre entwickelt und immer wieder neu justiert werden muss. Denn das Verfahren der Mediation, bei dem geschulte Schülerinnen und Schüler die Vermittlerrolle übernehmen, ist zwar seit Mitte der 90er Jahre in hessischen Schulen verbreitet, hat aber immer wieder damit zu kämpfen, dass es insbesondere von Lehrkräften aber auch der Schülerschaft akzeptiert wird und aktiv beworben werden muss. Ca. 30 Jahre nach seiner Einführung und einer Boomphase Ende der 90er und Anfang der Nullerjahre kamen und kommen zwar immer wieder neue Schulen hinzu, die Schülerinnen und Schüler in Mediation schulen. Aber in der Umsetzung dieses Ansatzes im Alltag hapert es. Es liegt vor allen Dingen daran, dass das Angebot kaum oder selten in Anspruch genommen wird. Mein Eindruck ist, dass praktizierte Mediation eher ab- als zunimmt zumindest aber stagniert.
Beteiligung als Schlüssel zu gutem Schulklima
Neben der Mediation gibt es noch andere Programme, die für ein gutes Schulklima sorgen und damit gute Voraussetzungen für eine demokratischen Schule bilden. Hierzu zählen Programme zum sozialen Lernen (z. B. bei Einführungswochen aller 5. Klassen), Mobbing-Interventionsteams (MIT) und Programme gegen sexuelle Gewalt. Neben diesen präventiven und interventiven Programmen in Sachen Gewaltminderung gibt es Formate, die die Beteiligung fördern und damit explizit Demokratiepädagogik ermöglichen. Hierzu zählen u. a. der Klassenrat, das Service-Lernen, das kooperative Lernen und das Förderprogramm Demokratisch Handeln.
Beteiligung in Schule – und nicht nur dort – ist ein wesentliches Element, um mehr Zufriedenheit in der Schule und im Unterricht zu ermöglichen. Wer beteiligt wird, fühlt sich gehört und gesehen und kann sich daher stärker mit einer Sache identifizieren, d. h. besser und motivierter lernen. Nicht umsonst kommt der Partizipation bei den Kinderrechten als eine von drei Säulen eine besondere Bedeutung zu.
Wir leben in einer Zeit großer und schneller Veränderungen. Der Klimawandel, der Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten, die künstliche Intelligenz und der Einfluss sozialer Medien führen zu Verunsicherung nicht nur junger Menschen. Sie sind aber besonders davon betroffen. Das wirkt sich auch in der Schule aus. Insbesondere Cyber-Mobbing ist ein Phänomen, das sich negativ auf das Schulklima und damit auf das Lernen auswirkt. Weiter oben habe ich beschrieben, was dagegen unternommen werden kann. Entscheidend ist dabei, dass all die Programme, Beteiligungsformate und Maßnahmen kontinuierlich und möglichst in allen Klassen und durch alle Lehrkräfte in der gleichen Qualität durchgeführt werden. Das ist kein Selbstläufer. Vielmehr bedarf es ständiger Anstrengungen und damit eines demokratischen Schulentwicklungsprozess, um dieses Ziel u.a. durch Fortbildungen zu erreichen.
Demokratie lernen und leben
Von 2002–2007 gab es das Bund-Länder-Kommission-Programm „Demokratie lernen und leben“, das in Hessen den Schwerpunkt „Mediation und Partizipation“ hatte. In diesem Programm wurden in Modellschulen wichtige Erfahrungen gesammelt, wie sie oben kurz skizziert wurden.
„Aus der Erfahrung des BLK-Programms „Demokratie lernen und leben“ hat Wolfgang Edelstein drei zentrale Begriffe genannt, die von großer Bedeutung sind: Anerkennung, Selbstwirksamkeit, Verantwortungsübernahme.
Ein demokratischer Habitus lässt sich ausbilden, indem Kinder und Jugendliche für ihr Handeln Anerkennung und Wertschätzung erfahren, eine ganz wesentliche Voraussetzung in Erziehungsprozessen und damit auch im Zusammenhang mit demokratischem Lernen. Wenn ich erlebe, dass ich mit meinem Handeln wirksam bin, werde ich mich damit identifizieren können. Anerkennung und Selbstwirksamkeit erfahre ich bei der Verantwortungsübernahme, sei es für die Übernahme eines Amtes, bei der Organisation eines Projekts oder der Unterstützung anderer Menschen. Diese Verantwortungsübernahme ist ein zentraler Aspekt der systemischen Schulentwicklung, da sie die Eigenverantwortung und Mitgestaltung der Schüler*innen fördert. Wenn diese Erfahrungen in gute Lernprozesse integriert werden, ist die Wahrscheinlichkeit der Identifikation mit Demokratie relativ groß.“ (Rademacher 2021, 61/62)
Selbstwirksamkeit und Verantwortungsübernahme
Diese Gedanken korrespondieren wiederum mit dem Motto der Offenen Schule Waldau: „Beziehung vor Erziehung vor Unterricht“, d. h. die Entwicklung der Beziehung der Lehrkräfte zu ihren Schülerinnen und Schülern steht am Anfang, hat die größte Bedeutung, dann folgt der Erziehungsgedanke und danach der Unterricht. In den meisten Schulen steht aber der Unterricht im Zentrum. Daher gibt es dort auch keine systematische Beteiligung von Schülerinnen und Schülern. Sie werden nicht vor jeder Unterrichtseinheit gefragt, was sie interessiert, welches Vorwissen sie zum Thema haben, wo sie sich aktiv einbringen können und wie der Unterricht gestaltet werden könnte. Die Folge mangelnder Partizipation ist geringeres Interesse, weniger Engagement und damit im Sinne Wolfgang Edelsteins fehlende Selbstwirksamkeit und Verantwortungsübernahme.
Diese Fixierung auf den Unterricht – wobei guter Unterricht ein wichtiges Ziel ist – führt dazu, dass es zu wenig systematische Veränderungen in Schule gibt. Schulpolitisch wird der Ausfall von Unterricht beklagt, aber nicht die Qualität von Lernen und die Beziehungsgestaltung von Lehrenden und Lernenden. Diese Sicht einiger Kultusverwaltungen wie in Hessen hat dann zur Folge, dass ganztägige Fortbildungen in der Unterrichtszeit mehr oder weniger unterbunden werden, wo diese doch ein wichtiger Baustein für die Qualität von Schul- und Unterrichtsentwicklung sind. Die Bedeutung von Peer-Learning, wie es sich beispielsweise im kooperativen Lernen findet, wird meist nicht gesehen. Schulen, die ihre Konzeption stärker an individualisiertem Lernen und an hoher Beteiligung ausrichten, sind letztendlich die erfolgreicheren Schulen im Kontext des ständigen Wandels der Gesellschaft. Dies zeigt sich auch darin, dass solche Schulen durch den deutschen Schulpreis gewürdigt werden. Diese Schulen sind in der Sekundarstufe meistens Gesamtschulen.
Quelle:
Rademacher, Helmolt (2021), Konfliktkultur in der Schule entwickeln. Wie Demokratiebildung gelingt, Stuttgart
Artikel aus Die Schule für alle Heft 2025/2