Der Fokus unserer Zeitschrift Die Schule für alle 2025/2 liegt auf der Frage, wie Schule verfasst und gestaltet sein muss, um ein "Guter Ort" für alle Beteiligten zu sein (oder zu werden).
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B. Riekmann: Angstfrei lernen? – Ja, unbedingt!
Angst ist ein Bildungskiller – Schule muss auch aus neurobiologischer Sicht neu gedacht werden.
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Angstfrei lernen? – Ja unbedingt!
Schule als ein guter Ort
Barbara Riekmann
Noch immer ist es eine häufig anzutreffende Meinung, dass Lernen nur mit Druck gelänge und ja, dass dies im Übrigen noch niemandem geschadet habe. Die Schule als Ort des Wohlfühlens? Es gibt auch heute nicht wenige, die diesen Auftrag der Schule für überzogen, anmaßend oder sachfremd hielten. Was also ist gemeint, mit der Schule als guter und ich füge hinzu sicherer Ort?
Es gibt in Deutschland rund 33.000 Schulen, in denen die Mädchen und Jungen in zehn Schuljahren um die neun- bis elftausend Stunden verbringen. Wenn die Erfahrungen, die sie dort machen, unerfreulich sind, Angst machen oder Stress erzeugen, z.B. durch Lärm, Enge, Hetze oder überzogenen Leistungsdruck, wenn gar Demütigungen oder Formen von Gewalt nicht ausbleiben, dann hat dies im höchsten Maße nachteilige Folgen für die Gesundheit und für das Lernen: „ Ein Organismus mit aufgedrehtem Stresssystem verliert die Fähigkeit das zu tun, worauf es in der Schule ankommt: aufmerksam zu sein und zu lernen. Angst und Stress sind Bildungskiller. “, so der Neurobiologe, Arzt und Psychotherapeut Prof. Dr. Joachim Bauer. (Bauer(1), S. 37)
Neurobiologische Erkenntnisse
Von der Neurobiologie können wir lernen, dass die Nervenzellen unseres Motivationssystems Botenstoffe produzieren (Dopamin, Opioide und Oxytozin) Anm. 1), ohne die wir uns nicht wohlfühlen können. „Entscheidende Voraussetzung für die biologische Funktionstüchtigkeit unserer Motivationssysteme sind das Interesse, die soziale Anerkennung und die persönliche Wertschätzung, die einem Menschen von anderen entgegengebracht werden.“ (Bauer (2), S.19 f)
Wenn jedoch Anerkennung, persönliche Wertschätzung ausbleiben, ist die Folge, dass das Motivationssystem nicht aktiviert wird; geschieht dies dauerhaft, kann dies körperliche und psychische Erkrankungen zur Folge haben. Aber auch in kleinen Dosen kann dies die Eigeninitiative, die Energie, die Lust auf Leistung und die Lernmotivation beeinträchtigen.
Raum – Zeit - Lernstrukturen
Die Gestaltung von Raum und Zeit, die Frage, wie Lernstrukturen konzipiert und passend zu diesen Koordinaten angelegt werden, sind zentrale Aspekte für eine Schule als guter Ort.
Es geht u.a. um ein kluges Zeitmanagement, das individuelles und gemeinsames Lernen unterstützt, das dem Lernenden Zeitautonomie gibt und dem Bedürfnis nach Ruhe, Begegnung, Essen, Spielen und Bewegung entgegenkommt. Eine Halbtagsschule kann dies kaum realisieren, in einer gebundenen Ganztagsschule sind hierfür die Gestaltungsräume vorhanden.
Idealerweise entspricht dem ein Raumangebot, das Rückzug möglich macht, das zu Gemeinsamkeit einlädt, das Anregung und Offenheit bietet und vielfältige Erfahrungen ermöglicht, so z.B. ein für alle zugängliches Forschungslabor oder weitere „Talentschmieden“, eine Bibliothek, Leseecken, Foren, Arbeitsplätze und Ruheräume. Vor dem Hintergrund des Sanierungsstaus an deutschen Schulen erscheint diese Aufzählung bizarr und unrealistisch. Es lohnt sich dennoch, auch im vorhandenen Bestand einer „Klassenraum-Schule“, die bisherige Raumstruktur auf den Prüfstand zu stellen.
Raum und Zeit unterstützen im Idealfall eine klug austarierte Lernarchitektur, die im passenden Mix den Lernbedürfnissen der Kinder und Jugendlichen entgegenkommt: selbstgesteuertes Lernen und Instruktion, fachliches Lernen und Fächer übergreifendes Lernen in Projekten, Neigungsangebote, zudem Sport und die Künste als Treiber des Motivationssystems.
Beziehung und Bedeutung
Raum und Zeit sind äußerst wichtige Voraussetzungen, Beziehung und Bedeutung aber sind entscheidend. Das gilt für die personelle Struktur, für den Umgang miteinander und für die Team- und Arbeitsstruktur innerhalb der Schule. Es hat deshalb einen hohen Stellenwert, wie das Miteinander in der Schule für alle geregelt ist. Übersichtliche und verlässliche Strukturen schaffen Vertrauen in die Abläufe. Alle können sich einbringen.
Bedeutsam sollten aber auch die Lerngegenstände sein. An Dingen zu arbeiten, die für das Verständnis der Welt relevant sind, erfordert ein Denken auch über die Fächergrenzen hinaus. Deshalb sollten vielfältige Möglichkeiten geschaffen werden, den Lernprozess vom Gegenstand und von den Kindern und Jugendlichen her zu entwickeln.
Ein Lernen ohne Noten unterstützt solche Lernprozesse, vorausgesetzt die Leistungsrückmeldung setzt auf Dialog, auf Orientierung und Stärkung.
Lernziel Friedensfähigkeit
Laut einer aktuellen Befragung von Schülerinnen und Schülern im Auftrag der Techniker Krankenkasse (3) ist fast jedes sechste Schulkind in Deutschland von Mobbing betroffen. Gemeint ist damit Mobbing in einem umfassenden Sinn: Systematisches Ausgrenzen, Beleidigen oder körperliche Übergriffe gehören genauso dazu wie das Cyber-Mobbing, das zunehmend in den Fokus rückt.
Sich wohlfühlen, Anerkennung erfahren ist Voraussetzung dafür, dass die für das Zusammenleben wichtigen sozialen Regeln erlernt werden können und die „Friedenskompetenz“ (Bauer) erworben wird. Impulskontrolle haben, sich zurücknehmen, warten können, empathisch sein oder Dinge miteinander teilen können, dies muss erlernt werden, genauso wie der Umgang mit eigener und fremder Aggression.
Für die noch junge Wissenschaft der Neurobiologie handelt es sich bei der Aggression um ein reaktives Verhaltensprogramm (Bauer (2), S. 34), sozusagen die „Rückseite der Medaille“ des Motivationssystems. Um zu erreichen, dass Kinder und Jugendliche zu einer Impulskontrolle kommen und ihre „Selbststeuerungsfähigkeit“ gestärkt wird, braucht es „Aggressions-Flüsterer“, „also Personen, die herauszufinden und in der Lage sind, was die unverständlich gewordene Aggression eines Menschen „eigentlich“ sagen will, was ihr eigentliches „Thema“ ist. Dies können Sozialarbeiter, Erzieher, Lehrer oder Psychotherapeuten sein.“ (Bauer (2), S. 80)
Gerade deshalb ist es so wichtig, dass in der Schule als guter Ort multiprofessionelle Teams zusammenarbeiten. Für die Intervention und die Prävention braucht es schulinterne Absprachen und Konzepte in und zwischen den Teams, damit verlässliche Lern- und Erfahrungsräume für die Konfliktbearbeitung entstehen.
„Out of the box“ denken
Dagegen stehen oft schulstrukturelle Bedingungen und formale Vorgaben, die nicht nur kontraproduktiv, sondern auch schädlich für unser Motivationssystem sind. Ein Schulwesen, das auf Sortieren und Aussondern setzt, nimmt strukturell die Demütigung in Kauf. Stoff- und Zeitdruck lassen sich von den Schulen durch geschickte Arrangements vermindern, aber die administrativen Vorgaben erfordern Kreativität und Widerstandsgeist. Die Schule vom Kinde her zu denken, dazu kann immer wieder nur ermutigt werden.
Anmerkung 1: Dopamin (Botenstoff für psychische Energie), Opioide (Wohlfühlbotenstoffe), Oxytozin (ein Vertrauens- und Kooperationsbereitschaft förderndes Hormon)
Quellen:
- Bauer, Joachim (2007): Lob der Schule, München
- Bauer, Joachim (2011): Schmerzgrenze – Vom Ursprung alltäglicher und globaler Gewalt, München
- Techniker Krankenkasse, https://www.tk.de/presse/themen/praevention/gesund-leben/gemeinsam-klasse-sein-hamburg-2169042?tkcm=aaus
Artikel aus Die Schule für alle Heft 2025/2
B. Klopsch, A. Deckstein: Das lernende Schulsystem
Wohlbefinden in der Schule ist mehr als ein „nice to have“, vielmehr unerlässlich für Lernprozesse.
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Wohlfühlort Schule – nur ein „nice to have“?
Britta Klopsch & Antonia Deckstein
Einleitung
Wohlbefinden an Schulen fördern – das mag zunächst vielmehr nach einer unverbindlichen Option als nach einer Notwendigkeit klingen. Nach dem Sprichwort: „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“ könnte man hinsichtlich der allseits bekannten PISA-Ergebnisse von 2022 gar empörte Blicke ernten, schließlich erfordern die Umstände Handlungsbedarf hinsichtlich eines stärkeren Wissens- und Kompetenzerwerbs. Stellschrauben wie flexiblere Förderstrukturen, Investitionen in Lehrkräftefortbildungen, datengestützte Schulentwicklung, Einbindung von KI, Ko-Konstruktion und vor allem auch Maßnahmen zur Chancengerechtigkeit sind unumstritten wichtige und notwendige Aspekte, um zeitgemäße Bildung zu ermöglichen.
Doch auch „[d]ie Gesundheit und das Wohlergehen von Kindern und Jugendlichen [sind] globale Priorität“ (OECD, 2019, S. 77). Sie können Einfluss auf Lernprozesse nehmen (Sliwka & Klopsch, 2024) und sollten deshalb aktiv gefördert werden (Europäische Union, 2024, S. 9; OECD, 2019, S. 30; S. 51).
Wohlbefinden in der Schule
Nicht nur international (Andresen & Neumann, 2018; OECD, 2017; UNICEF, 2021) gewinnt Wohlbefinden (Wellbeing) als Teil des schulischen Bildungsauftrags zunehmend an Bedeutung. Auch deutsche Bundesländer beginnen Wohlbefinden als eines der Ziele ihrer Schulsysteme zu fokussieren (Kultusministerium SH, 2025). Wohlbefinden rückt damit in Verbindung mit der Persönlichkeitsentwicklung neben der Chancengerechtigkeit und der Leistungsorientierung als eine tragende Säule eines erfolgreichen Schulsystems in den Mittelpunkt der Schul(system)entwicklung (Sliwka & Klopsch, 2024).
Das komplexe normative Konzept des Wohlbefindens ist dabei Bildungsziel und Gestaltungselement zugleich (Sliwka, Klopsch & Batarilo-Henschen, 2022). Als Gestaltungselement beschreibt es, dass Kinder und Jugendliche möglichst unbelastet, angstfrei und ohne psychische Beeinträchtigung lernen können. Als Bildungsziel unterstützt es die Lernenden, sich die Kompetenz anzueignen, sinnstiftend zu handeln, ihr eigenes Wohlbefinden und das ihrer Mitmenschen aktiv zu gestalten (Hargreaves & Shirley, 2018).
Wohlbefinden trägt dazu bei, dass alle Lernenden ihr Potenzial voll ausschöpfen können – in kognitiver, emotionaler und sozialer Hinsicht (European Commission, 2024). Wie wichtig es ist, Wohlbefinden aktiv zu berücksichtigen, zeigen die Umfragen des Schulbarometers (Robert Bosch Stiftung, 2024a; Robert Bosch Stiftung, 2024b) sowie des Präventionsradars (Hansen, Neumann & Hanewinkel, 2023):
- 20% der Schüler:innen schätzen ihr schulisches Wohlbefinden als gering ein, darunter besonders Lernende, die psychische Auffälligkeiten zeigen.
- 46% der befragten Kinder und Jugendlichen litten mindestens wöchentlich an zwei von fünf (psycho-) somatischen Beschwerden. Besonders ein niedriger Sozialstatus ist dabei korrelierend. Zudem betreffen die Beschwerden zu einem größeren Anteil Mädchen.
- Über die Hälfte befragter Schüler:innen litten im Erhebungsjahr 2023/2024 mindestens einmal pro Woche an Erschöpfung.
- Das mentale Wohlergehen von Mädchen ist nahezu ausnahmslos geringer als das der Jungen; weitere signifikante Gruppen sind Schüler:innen aus armutsgefährdeten Haushalten und psychisch auffällige Kinder und Jugendliche.
Wie kann Schule zu einem Ort des Wohlfühlens werden?
Um Schulen zu einem Ort des Wohlfühlens zu transformieren, ist zunächst eine systemische Betrachtung notwendig. Sie beginnt mit der gemeinsamen Vision aller am Schulleben Beteiligten, gemeinsam einen Wohlfühlort Schule entstehen zu lassen, in dem alle Schüler:innen ihr volles Potenzial ausschöpfen können.
Die Maßnahmen, die gemeinsam ergriffen werden können, um einen solchen Wohlfühlort Realität werden zu lassen, können sich auf die folgenden acht Perspektiven beziehen. Sie können nicht nur als zusätzliche Angebote, sondern auch als genuiner Teil des Unterrichts angelegt sein.
1. Psychische Gesundheit
Um die psychische Gesundheit der Lernenden im Blick zu behalten, kann es sinnvoll sein, sich mit der Resilienz der Lernenden auseinanderzusetzen. Resilienz beschreibt Flexibilitätskompetenz. Sie trägt dazu bei, auch in schwierigen (Lebens-)Situationen auf eigene Ressourcen zuzugreifen, Herausforderungen zu meistern und daraus gestärkt hervorzugehen (Bengel & Lyssenko, 2012). Teil dessen ist eine schöpferische Haltung zur Welt, die dazu beiträgt, unterschiedliche Situationen als Lerngelegenheiten wahrzunehmen, neue Handlungsweisen und Methoden zu erproben und Veränderungen für die Gesellschaft herbeizuführen (Klopsch & Adams, 2024).
2. Sport- und Bewegungsangebote
Spiel, Sport und Bewegung leisten einen hohen Beitrag zur physischen, psychischen und sozialen Gesundheit von Lernenden: Schüler:innen, die sportlich aktiv sind, benennen eine allgemein höhere Lebenszufriedenheit (OECD, 2017, S. 5). Je mehr Sport die Lernenden bereits in der Schule ausüben, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie dies auch in ihre Freizeit übertragen. Das wiederum wirkt nicht nur langfristig gesundheitsfördernd, sondern trägt unter anderem auch zur Resilienz, zur sozialen Integration, zum Selbstvertrauen sowie zum Wohlbefinden der Lernenden bei und kann sogar die Angst vor Schularbeiten vermindern (DSLV, 2019, S. 2f.; OECD, 2017, S. 3; S. 5). Gerade in Hinblick auf Ganztagsschulen oder auch dem Ausbau von Digitalisierungsprozessen wirken vielschichtige Bewegungsangebote dem zunehmenden Bewegungsmangel entgegen. Eine „bewegungsfördernde Schule“ (Kultusministerkonferenz, 2023) legt die physische Gesundheit ihrer Schüler:innen nicht allein in die Hände des Sportunterrichts: bewegte Pausen, AGs, Exkursionen, Veranstaltungen, spielerische Wettbewerbe und Kooperationen mit Vereinen sind in den Schulprogrammen und Leitbildern fest verankert (Kultusministerkonferenz 2023).
3. Positives Schulklima
Das Schulklima, wie auch die Schulkultur, beschreibt das gemeinsame (Er-)Leben von Schule durch alle Beteiligten. Es unterstützt die „kontinuierliche individuelle und kollektive Identitätsbildung“ (Klopsch, 2019). Um das Schulklima positiv zu beeinflussen, eignen sich beispielsweise Anti-Mobbing-Strategien und soziale Projekte, die den Lernenden einerseits ein Gemeinschaftsgefühl vermitteln. Andererseits ermöglichen sie den Lernenden, Facetten ihrer individuellen Persönlichkeit, bspw. Interessen, Wünsche und Handlungen in den Lernprozess einzubringen – gemeinsam mit anderen und in Abgrenzung zu ihnen. Dabei finden sie heraus, wer sie sind und welchen Beitrag sie in der Gesellschaft und für diese leisten möchten (Klopsch & Adams, 2024).
4. Lernförderliche Raumkonzepte
Die Nutzung eines Schulgebäudes ist in der Regel auf viele Jahrzehnte und Generationen von Lernenden ausgelegt, doch die Anforderungen an zeitgemäße Bildung wandeln sich rasch. Um einen lebensweltnahen und facettenreichen Lern- und Erfahrungsraum zu erschaffen, müssen Schulen sich physisch und digital nach außen hin öffnen (Sliwka & Klopsch, 2022, S. 174f.). Kommunikation, Kollaboration, Kreativität, kritisches Denken (4K), der Erwerb von Handlungskompetenz, nicht zuletzt hybride und auch bewegungsfördernde Konzepte erfordern Raumstrukturen, die diese Aktivitäten nicht nur zulassen, sondern die Schüler:innen auch aktiv dazu anregen. Dabei muss nicht gleich die ganze Schule um- oder neugebaut werden. Bereits kleinere Maßnahmen, wie Phasen der freien Arbeitsplatzwahl, offene Lernlandschaften im Klassenzimmer, flexible Anpassung des beweglichen Inventars oder das Ausschöpfen außerschulischer Lernorte können große Wirkung erzielen.
5. Eltern- und Gemeindeeinbindung
In der Zusammenarbeit zwischen Lehrkräften, Lernenden, Eltern und Bildungspartner:innen können Netzwerke entstehen, innerhalb derer und durch die die Beteiligten ihr Wissen erweitern, sich gegenseitig unterstützen und Lösungen für Herausforderungen entwickeln (Sliwka & Klopsch, 2024). Doch nicht nur bei Herausforderungen, auch im alltäglichen Miteinander können alle Beteiligten das Schulleben gemeinsam anreichern, um einen gemeinsamen Wohlfühlort entstehen zu lassen. Dazu zählen auch Facetten wie Eltern-Lehrkräfte-Tandems zur Unterstützung des Lernens, gemeinsame Workshops für die am Schulleben Beteiligten, eine Schüler:innenzeitschrift oder die gemeinsame Gestaltung der Homepage.
6. Regelmäßige Befragungen
Wenn Schulen den Bereich des Wohlbefindens in ihre regelmäßigen Befragungen und Datenerhebungen einbeziehen, ermöglicht dies einen detaillierten Blick auf das Wohlbefinden aller am Schulleben Beteiligten – vom (pädagogischen) Personal bis hin zu den einzelnen Lernenden (Sliwka & Klopsch, 2024). Die zentral erfassten Daten können schriftlich oder mündlich erhoben werden. Sie dienen als Gesprächsgrundlage, um gemeinsam mögliche Verbesserungen an der Schule zu entwickeln und messbar in ihrer Implementierung zu evaluieren.
7. Sozial-emotionale Förderung
Sozial-emotionale Förderung kann durch die Stärkung der Selbstwirksamkeitserfahrung erfolgen, wie sie bspw. in Deeper Learning Projekten angelegt ist (Sliwka & Klopsch, 2022). Die Selbstwirksamkeitserfahrung ist einer der wichtigsten Einflussfaktoren auf das menschliche Handeln: „Motivation, Gefühle und [Lern-]Handlungen von Menschen resultieren in stärkerem Maße daraus, woran sie glauben oder wovon sie überzeugt sind, und weniger daraus, was objektiv der Fall ist“ (Bandura 1977, S. 71). Je größer die Überzeugung ist, desto größer auch die Zuversicht, Ziele selbst erreichen und Situationen lenken zu können, was wiederum positiv auf die Anstrengungsbereitschaft der jeweiligen Person einzahlt.
8. Demokratische Kompetenzen
Demokratie entsteht durch Partizipation. In Schulen kann diese durch Strukturen, wie den Klassenrat oder die Schülerverwaltung angelegt sein, zeigt sich aber auch in weiteren Projekten und Programmen, wie bspw. das Lernen durch Engagement, bei dem sich die Lernenden explizit im Bewusstsein ihrer eigenen Talente einbringen können, selbst Teilschritte im Projekt entwickeln und durchführen (Klopsch & Sliwka 2019, S. 93).
Fazit
Die Förderung von Wohlbefinden an Schulen ist kein optionaler Zusatz oder eine Kür. Sie ist ein notwendiges Puzzlestück der ganzheitlichen, zukunftsfähigen Schul(system)entwicklung und gleichzeitig Schlüssel zum Lern- und Lebenserfolg der Schüler:innen. Die einzelnen Perspektiven im schulischen Alltag, die Wohlbefinden unterstützen, sollten dabei nicht isoliert und punktuell eingesetzt werden, sondern systemisch verstanden und ineinandergreifend implementiert werden, um umfassend wirksam zu sein. Nur wenn alle gemeinsam an einem Wohlfühlort Schule arbeiten – Lehrkräfte, Schulleitungen, Bildungspartner:innen und die Lernenden selbst – kann sich aus einer Vision die gelebte Realität entwickeln.
Artikel aus Die Schule für alle Heft 2025/2
A. Mansour: Interkulturalität an deutschen Schulen
Den Menschen zu sehen und nicht die Herkunft, gemeinsame Werte zu vertreten und vorzuleben sind die Herausforderungen.
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Interkulturalität an deutschen Schulen
Zwischen großer Chance und echter Herausforderung
Ahmad Mansour
Deutsche Schulen sind längst zu Orten gelebter kultureller Vielfalt geworden. In den Klassenzimmern begegnen sich täglich Kinder und Jugendliche mit unterschiedlichen Biografien, Sprachen, Wertesystemen und religiösen Prägungen. Diese Diversität birgt enormes Potenzial – sie stellt aber auch komplexe Anforderungen an das gesamte Bildungssystem.
Integration darf nicht ausschließlich auf Sprachförderung und schulischen Erfolg reduziert werden. Sie umfasst ebenso die Verinnerlichung gemeinsamer Grundwerte und die Entwicklung eines inklusiven Wir-Gefühls. Erst wenn Zugehörigkeit emotional erfahrbar wird, kann gesellschaftlicher Zusammenhalt entstehen.
Integration ist kein Selbstläufer. Die Voraussetzung für eine gelungene Integration ist die Bereitstellung von Ressourcen, die Sprachförderung, Wertevermittlung, eine sinnvolle Durchmischung an den Schulen, einen regelmäßigen Austausch mit Eltern und Kindern und eine gesunde Debattenkultur ermöglichen.
Den Menschen sehen – nicht die Herkunft
Lehrkräfte müssen ihre Schülerinnen und Schüler als Individuen wahrnehmen – nicht als Vertreter einer ethnischen, religiösen oder nationalen Gruppe. Im Klassenzimmer sitzen keine „Türken“, „Araber“, „Flüchtlinge“ oder „Ausländer“, sondern junge Menschen mit eigenen Persönlichkeiten, Erfahrungen und Träumen.
Natürlich prägen Herkunft, Sozialisation und kulturelles Umfeld das Denken und Verhalten – aber sie dürfen nicht zur Schablone werden. Interkulturelle Kompetenz beginnt mit der Bereitschaft, differenziert hinzuschauen, zuzuhören und Vorurteile bewusst abzubauen.
Werte als verbindende Grundlage
Interkulturelle Öffnung gelingt nur auf der Basis klarer, universeller Werte: Respekt, Gleichberechtigung, Meinungsfreiheit und die Achtung der Würde jedes Einzelnen sind nicht verhandelbar. Diese Werte müssen von allen getragen werden – unabhängig von kultureller Prägung. Ohne sie kann Vielfalt nicht tragfähig gelebt werden.
Begegnung ermöglicht Wandel
Aus sozialpsychologischer Sicht ist klar: Der effektivste Weg, Vorurteile abzubauen, ist die echte, kontinuierliche Begegnung. Wenn Menschen gemeinsam lernen, arbeiten und lachen, schwindet die Distanz – der „Fremde“ wird zur Mitschülerin, zum Freund, zur Verbündeten.
Schulen brauchen deshalb bewusst gestaltete Räume, in denen Unterschiede nicht verschwiegen, sondern in einem Klima des Respekts thematisiert werden können. Interkulturalität lebt vom Dialog, nicht vom Nebeneinander.
Empathie fördern – emotionale Kompetenz als Bildungsziel
In einer Zeit, in der digitale Kommunikation direkte zwischenmenschliche Erfahrungen zunehmend ersetzt, gewinnt Empathie als Bildungsziel zentrale Bedeutung. Die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen, aktiv zuzuhören und mitzufühlen, ist ein Grundpfeiler demokratischer Gesellschaften.
Schulen müssen Orte sein, an denen emotionale Sicherheit erlebt werden kann – denn Empathie ist der Schlüssel zu sozialer Kompetenz, Konfliktfähigkeit und Frieden in der Vielfalt.
Sicherheit durch Klarheit – nicht durch Kontrolle
Viele Konflikte im interkulturellen Kontext entstehen nicht nur aus mangelnder Bereitschaft, kulturelle Unterschiede zu akzeptieren oder ihnen mit Neugier und Lernbereitschaft zu begegnen. Sie entstehen auch durch wahrgenommene Unsicherheit auf Seiten der Lehrkräfte. Wer zögert oder unklar kommuniziert, wirkt orientierungslos – und verliert damit Autorität und Wirksamkeit.
Diese Unsicherheit bleibt nicht folgenlos: Sie wird mitunter gezielt genutzt, um im schulischen Kontext Normen und Verhaltensweisen durchzusetzen, die nicht zur interkulturellen Offenheit und Vielfalt beitragen, sondern darauf abzielen, die Bedürfnisse einzelner Gruppen mit einem überhöhten Anspruchsdenken allen anderen aufzuzwingen. Hier ist Wachsamkeit gefragt – nicht im Sinne von Kontrolle, sondern im Sinne von pädagogischer Klarheit und wertebasierter Führung.
Lehrkräfte müssen befähigt werden, mit kulturellen Unterschieden souverän umzugehen – nicht, indem sie Unterschiede relativieren, sondern indem sie ihre eigene Haltung kennen und kommunizieren. Interkulturelle Kompetenz bedeutet: klare Regeln, transparente Kommunikation und der Mut, auch bei sensiblen Themen Standpunkte zu vertreten – stets mit Respekt, aber ohne Beliebigkeit.
Debattenkultur als demokratisches Lernfeld
Ein zentrales Bildungsziel im 21. Jahrhundert ist die Fähigkeit zur Ambiguitätstoleranz – also zur Akzeptanz von Mehrdeutigkeit, Vielfalt und Widerspruch. Diese Kompetenz entsteht nicht durch Harmonie, sondern durch Streitkultur.
Schulen müssen Debattenräume sein: Orte, an denen Meinungen formuliert, Perspektiven ausgehalten und Konflikte konstruktiv ausgetragen werden können. Nur so lernen junge Menschen, Vielfalt als Stärke zu begreifen – nicht als Bedrohung.
Antidiskriminierung, Vielfalt und interkulturelles Verständnis entstehen nicht durch schweigendes Nebeneinander, sondern durch aktives Miteinander: durch das Aushalten von Differenzen, das Aushandeln von Kompromissen – und durch gemeinsame, tragfähige Werte.
Fazit: Interkulturelle Kompetenz braucht Haltung und Herz
Interkulturelle Kompetenz ist kein dekoratives Extra. Sie ist eine zentrale Voraussetzung dafür, dass unsere Schulen zu Orten des sozialen Zusammenhalts werden.
Sie verlangt von allen Beteiligten – Lehrkräften, Schülerinnen und Schülern, Eltern, Behörden und politischen Entscheidungsträgern – eine klare Haltung und echtes Engagement.
Zentrale Voraussetzungen hierfür sind:
- Den Menschen zu sehen, nicht die Herkunft,
- gemeinsame Werte zu vertreten und vorzuleben,
- Räume für echte Begegnung und Dialog zu schaffen,
- Verunsicherung durch innere Klarheit zu überwinden,
- Empathie und Debattenkultur als Grundlagen demokratischen Zusammenlebens zu fördern.
Wenn wir diesen Weg mutig und konsequent gehen, wird kulturelle Vielfalt nicht zu einer Belastung, sondern zur Stärke unserer Gesellschaft. Dann wächst in unseren Schulen eine Generation heran, die selbstbewusst, kritisch, empathisch und frei in einer pluralistischen Welt lebt.
Daran müssen wir arbeiten – jeden Tag, mit Haltung und mit Herz.
Hinweis auf Publikationen von Ahmad Mansour
2015 erschien sein Buch »Generation Allah". Warum wir im Kampf gegen religiösen Extremismus umdenken müssen«,
2018 folgte »Klartext zur Integration – Gegen falsche Toleranz und Panikmache« und
2020 »Solidarisch Sein! Gegen Rassismus, Antisemitismus und Hass«.
2022 erschien im Verlag S. Fischer sein viertes Buch »Operation Allah" und
2024 die gemeinsam mit Dr. Josef Schuster verfasste Publikation
»Spannungsfelder. Leben in Deutschland« im Herder Verlag.
Artikel aus Die Schule für alle Heft 2025/2
S. Ruppaner: Die Schule wieder zur Schule machen!
Schule ohne Unterricht, ohne Wände, ohne 45 Minutentakt – das sollte Schule machen!
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Die Schule wieder zur Schule machen!
Ein Gespräch mit Stefan Ruppaner, dem ehemaligen Schulleiter der Alemannenschule in Wutöschingen
Ursula Reinartz und Konstanze Schneider
Schule, scholé aus dem Griechischen nach Aristoteles, bedeutet ursprünglich Muße, freie Zeit, ein Ort der Arbeitsruhe und frei von Geschäften – wie weit entfernt ist die heutige, unsere Schule von dieser Beschreibung und wie können wir sie wieder zu einem solchen Ort werden lassen!? Darum geht es in diesem Gespräch.
Was sind aus Ihrer Sicht notwendige Elemente einer Schule als ‚guter Ort‘?
Unsere heutige Schule verdient nicht mehr die Bezeichnung ‚Schule‘. Sie hat die ursprüngliche Bedeutung des Wortes verloren als ‚Ort der Muße, der Befreiung, sein Ding leben, sein Glück finden‘. Viele Probleme, die die Schule heute hat, produziert sie selbst. Wenn ich Kinder zwinge, in einem Raum zu sitzen und sich irgendetwas anzuhören, was irgendeiner sich für einen Lehrplan überlegt hat und das für die Kinder keinerlei Relevanz hat, dann ist das eine gedankliche Vergewaltigung. Das wird viele Stunden hintereinander so gemacht. Am Ende sollen dabei selbstständig denkende Menschen die Schule verlassen – das kann nicht funktionieren. Man muss sich fragen, ob dieses System noch Sinn macht.
Drei Dinge braucht das Lernen: Raum, Zeit und Expertise. Dann kann Schule ein guter Ort sein.
Es braucht viele unterschiedliche Räume: z.B. Lernateliers für das selbstständige Lernen, Inputräume für die Information, den Marktplatz für die Begegnung.
Zeit zum Lernen gewinnen wir durch die Abschaffung des Unterrichts. So kann Lernen in wechselnden Konstellationen und zur Muße, Lernen im eigenen Tempo stattfinden.
Die Expertise erstreckt sich heute vom Buch, über Erklärfilme zur KI, zu Angeboten für Herz, Kopf und Hand in unseren Clubs am Nachmittag und zu den Lernbegleitern, die die Lernumgebung bereit stellen.
Wie kann eine erfolgreiche Transformation von Lernen in Schule gelingen?
Wir brauchen also eine Transformation von Schule vom Ort des Lehrens zum Ort des Lernens.
Jeder Lernende muss in seinem eigenen Tempo lernen können und sich im Rahmen der Möglichkeiten aussuchen können, was er lernen will. Dafür muss Schule anders eingerichtet sein: ein Sofa, ein schöner Tisch, eine gemütliche Ecke mit Pflanzen, ein Ort, an dem man leise lernen kann, ein Ort, an dem man mit jemandem diskutieren kann.
Das brauchen wir nicht mehr:
- Unterricht – er nimmt den Kindern die Zeit fürs Lernen.
- Schulbücher – sie sind des Teufels, weil wir als Lehrer immer wieder versuchen, damit die Kinder auf den gleichen Punkt zu bringen und ein unterschiedliches Lerntempo zu verhindern.
- Deputate – sie Lehrern zu geben, ist schlecht.
An unserer Schule haben wir 35 Zeitstunden, in denen der Lehrer da ist, aber nur noch 12 statt 27 Deputatsstunden „unterrichten“ muss. Die Kinder haben Zeit zum Lernen und der Lehrer braucht diese Zeit, um eine Lerngruppe zu leiten und jedes Kind eine Viertelstunde zu coachen. Wir können 15 Ermäßigungsstunden geben, weil wir keinen Unterricht machen.
Jeder Lehrer hat seinen Arbeitsplatz zwischen den Schülerarbeitsplätzen, an dem es ganz ruhig ist, wo er in Ruhe arbeiten und korrigieren kann.
Die Transformation der Schule vom Ort des Lehrens zum Ort des Lernens – sie scheitert nicht an den Kindern, sondern an den Mauern in den Köpfen von Eltern und Lehrern.
Wie verändert sich die Haltung des Lehrers beim neuen Lernen?
Lehrer sind nicht verantwortlich dafür, dass ein Schüler etwas lernt, sondern verantwortlich dafür, dass er etwas lernen kann. Lehrkräfte müssen den Schülern keinen Druck machen.
Ich vergleiche immer das Lernen mit dem Essen. Wir als Lernbegleiter stellen optimale Rahmenbedingungen her: Wir sind super Köche und bereiten das Buffet so her, dass du Lust kriegst, etwas zu essen. Wir wollen, dass die Schüler Freude am Essen haben, dass es ihnen schmeckt. Aber, wenn jemand gar nicht essen will, stopfen wir es ihm nicht hinein.
Was raten Sie Kollegen und Kolleginnen, die ihre Schule verändern und zum „guten Ort“ machen wollen?
Wenn ein Kind jeden Morgen gerne in die Schule geht, kann ich nicht verhindern, dass es lernen wird. Um das zu erreichen, muss die grundsätzliche Atmosphäre stimmen. Wir Lehrer müssen uns als Gastgeber sehen. Ich habe in meiner früheren Schule damit begonnen, die Kinder und Jugendlichen mit Handschlag zu begrüßen. Sie sollen sich willkommen und wahrgenommen fühlen. Das war eine kleine Geste mit überraschender Wirkung. Die Schüler nehmen wahr, dass es auf sie ankommt, dass sie willkommen sind und selbstwirksam werden können.
Mit Strafen und Ausgrenzen kommt man nicht weiter, wir müssen die Gründe finden, warum sie nicht lernen können oder sich provokativ verhalten. Inzwischen ist es in der Alemannenschule so, dass die größte Strafe ist, nicht in die Schule kommen zu dürfen. Die Schule muss ein Gestaltungsraum sein, in dem die Kinder gestalten können und ihre Wirksamkeit erfahren. Wenn wir Lehrer weniger Gewalt ausüben z.B. durch Bewerten und Noten, dann entsteht auch bei den Schülern weniger Gewalt. Das ist meine Erfahrung.
Mein wichtigster Rat: Sei mutig, probiere aus, mache Fehler, dann gelingt dir viel Gutes!
Hinweis: Im Magazin 2024/3 „Schule kann anders“ auf S.39 ff. finden Sie einen ausführlichen Bericht zum Konzept der Alemannenschule in Wutöschingen.
Weitere Informationen:
Artikel aus Die Schule für alle Heft 2025/2
Amelie: Abfragen abschaffen!
Von einer Schülerin mit Zivilcourage, die nicht nur Markus Söder herausforde
hier lesen
„Abfragen abschaffen!“
Warum ich mich als Schülerin für eine neue Prüfungskultur einsetze
Amelie
Als ich im Juni 2024 meine Petition „Schluss mit Abfragen und Exen!“ gestartet habe, hätte ich nie gedacht, welche Wellen sie schlagen würde. Inzwischen haben über 55.000 Menschen unterschrieben, wir haben eine beeindruckende Demo auf die Beine gestellt und die Petition feierlich im Bayerischen Landtag übergeben. Doch für mich war das alles mehr als ein Projekt. Es war der Beginn einer Bewegung – und für mich persönlich der Moment, in dem ich entschieden habe, Bildungsaktivistin zu sein.
Warum ich Exen und Abfragen abschaffen will
Seit Beginn meiner Schulzeit begleiten mich unangekündigte Leistungsnachweise. Immer wieder gab es diese Momente, in denen es hieß: „Hefte weg, wir schreiben eine Ex.“ Ich erinnere mich noch gut an das Gefühl – die plötzliche Anspannung, die Angst, das Herzklopfen. Manche Mitschüler:innen weinten, andere verstummten. Lange dachte ich, ich bin einfach selbst Schuld – bis ich begriff: Dieses System bringt nicht das Beste in uns zum Vorschein, sondern lähmt uns.
Statt unsere Fähigkeiten zu fördern, prüft es, ob wir in einem bestimmten Moment „erwischt“ werden, wenn wir etwas (noch) nicht können.
Ich wünsche mir eine Schule, die auf Vertrauen setzt – nicht auf Kontrolle. Eine Schule, die uns mit ehrlichem, konstruktivem Feedback stärkt und uns Mut macht. Exen und mündliche Abfragen, wie sie aktuell praktiziert werden, stehen dem entgegen. Deshalb war für mich klar, dass sich etwas ändern muss. Und ich wusste: Dafür braucht es eine bayernweite Öffentlichkeit.
Die Demo: laut, bunt und entschlossen
Die Wochen vor dem 6. April 2025 waren intensiv: Plakate gestalten, Bühnenprogramm planen, Redner:innen koordinieren, Interviews geben. Unser Organisationsteam war rund um die Uhr im Einsatz. Und dann stand ich da, auf dem Wittelsbacher Platz in München, vor über 500 Menschen, bei strahlendem Sonnenschein. Es war ein überwältigender Moment. Wir waren laut, bunt, entschlossen – und voller Energie.
Diese Demo war weit mehr als ein Protest gegen Exen. Es war ein deutliches Signal für eine andere Bildung: mit Musik, Poetry, klaren Worten – und auch Humor. Besonders eindrucksvoll war der Auftritt von „Markus Söder“ – alias Kabarettist Ecco Meineke –, der sich live auf der Bühne abfragen ließ. So charmant und gleichzeitig pointiert wurde selten Kritik an der bayerischen Bildungspolitik geübt.
Die Übergabe im Landtag: mit Haltung und Hoffnung
Nur zwei Tage nach der Demo haben wir – eine Gruppe von 14 Schüler:innen – die Petition offiziell an Dr. Ute Eiling-Hüting, die Vorsitzende des Bildungsausschusses, übergeben. Die Medien waren vor Ort, Kameras und Mikrofone auf uns gerichtet. Und wir – mitten im Geschehen, nicht als Zuschauer:innen, sondern als aktive Gestalter:innen.
Wir sind davon überzeugt: Viel zu lange wurde Bildungspolitik ohne uns Schüler*innen gemacht – diese Zeiten sind jetzt endgültig vorbei!
Die Petition liegt nun im Ausschuss – und wir warten gespannt auf die nächste Sitzung. Aber egal, wie es dort ausgeht: Für uns war das erst der Anfang. Direkt nach der Demo kamen über 40 Schüler:innen zum ersten „Wie weiter?“-Treffen. Das motiviert uns und zeigt, dass es weiter geht.
Schule darf kein Ort der Angst sein. Und wir lassen uns nicht mehr einreden, dass es „schon immer so war“. Denn wir wissen: Schule kann anders sein. Schule muss anders sein.
Die Petition war nur der erste Schritt. Und es war ein deutliches Zeichen: Schüler:innen lassen sich nicht länger übergehen. Wir fordern Veränderung – mit Fakten, mit Weitblick und mit ganz viel Herz.
Weitere Informationen:
https://abfragen-abschaffen.de/
Artikel aus Die Schule für alle Heft 2025/2
H. Rademacher: Eine gute Schule ist eine demokratische Schule
Selbstwirksamkeit, Verantwortungsübernahme, Beteiligung – Elemente einer guten Schule
hier lesen
Eine gute Schule ist eine demokratische Schule
Helmolt Rademacher
Was ist eine gute Schule? Diese Frage lässt sich sicher auf verschiedene Weise beantworten – je nachdem welche Kriterien angelegt werden. Eine gute Schule sollte auf jeden Fall eine sein, in der mit Freude gelernt wird und es entsprechende Bedingungen gibt, um dies zu gewährleisten. Die offene Schule Waldau bei Kassel hat dazu folgende Schlagworte in den Vordergrund gestellt: friedlich, freundlich, langsam, leise. Diese Begriffe wirken zunächst sehr banal, aber bei genauerer Betrachtung bilden sie den Kern einer guten Schule. „Friedlich“ bedeutet, dass es keine Diskriminierung gibt, keine Ausgrenzung, keinen Rassismus und Antisemitismus, kein Mobbing, keine Gewalt, d.h. auch, dass es dort leiser und freundlicher zugeht. Konflikte werden konstruktiv unter Mitwirkung aller Beteiligten ausgetragen und nicht von oben geregelt. Hier kommt ein Element eines demokratischen Miteinanders ins Spiel: die Mediation.
Mediation als konstruktive Konfliktbearbeitung
Die Mediation ist ein Verfahren konstruktiver Konfliktbearbeitung, bei der eine Vermittlerperson aktiv wird und unter der Maßgabe von Allparteilichkeit und Lösungsabstinenz agiert. Dieses Verfahren der Entschleunigung bedeutet sich entsprechend Zeit zu nehmen, langsam zu sein. Das hört sich sehr einfach an, setzt allerdings eine Schulkultur voraus, die über Jahre entwickelt und immer wieder neu justiert werden muss. Denn das Verfahren der Mediation, bei dem geschulte Schülerinnen und Schüler die Vermittlerrolle übernehmen, ist zwar seit Mitte der 90er Jahre in hessischen Schulen verbreitet, hat aber immer wieder damit zu kämpfen, dass es insbesondere von Lehrkräften aber auch der Schülerschaft akzeptiert wird und aktiv beworben werden muss. Ca. 30 Jahre nach seiner Einführung und einer Boomphase Ende der 90er und Anfang der Nullerjahre kamen und kommen zwar immer wieder neue Schulen hinzu, die Schülerinnen und Schüler in Mediation schulen. Aber in der Umsetzung dieses Ansatzes im Alltag hapert es. Es liegt vor allen Dingen daran, dass das Angebot kaum oder selten in Anspruch genommen wird. Mein Eindruck ist, dass praktizierte Mediation eher ab- als zunimmt zumindest aber stagniert.
Beteiligung als Schlüssel zu gutem Schulklima
Neben der Mediation gibt es noch andere Programme, die für ein gutes Schulklima sorgen und damit gute Voraussetzungen für eine demokratischen Schule bilden. Hierzu zählen Programme zum sozialen Lernen (z. B. bei Einführungswochen aller 5. Klassen), Mobbing-Interventionsteams (MIT) und Programme gegen sexuelle Gewalt. Neben diesen präventiven und interventiven Programmen in Sachen Gewaltminderung gibt es Formate, die die Beteiligung fördern und damit explizit Demokratiepädagogik ermöglichen. Hierzu zählen u. a. der Klassenrat, das Service-Lernen, das kooperative Lernen und das Förderprogramm Demokratisch Handeln.
Beteiligung in Schule – und nicht nur dort – ist ein wesentliches Element, um mehr Zufriedenheit in der Schule und im Unterricht zu ermöglichen. Wer beteiligt wird, fühlt sich gehört und gesehen und kann sich daher stärker mit einer Sache identifizieren, d. h. besser und motivierter lernen. Nicht umsonst kommt der Partizipation bei den Kinderrechten als eine von drei Säulen eine besondere Bedeutung zu.
Wir leben in einer Zeit großer und schneller Veränderungen. Der Klimawandel, der Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten, die künstliche Intelligenz und der Einfluss sozialer Medien führen zu Verunsicherung nicht nur junger Menschen. Sie sind aber besonders davon betroffen. Das wirkt sich auch in der Schule aus. Insbesondere Cyber-Mobbing ist ein Phänomen, das sich negativ auf das Schulklima und damit auf das Lernen auswirkt. Weiter oben habe ich beschrieben, was dagegen unternommen werden kann. Entscheidend ist dabei, dass all die Programme, Beteiligungsformate und Maßnahmen kontinuierlich und möglichst in allen Klassen und durch alle Lehrkräfte in der gleichen Qualität durchgeführt werden. Das ist kein Selbstläufer. Vielmehr bedarf es ständiger Anstrengungen und damit eines demokratischen Schulentwicklungsprozess, um dieses Ziel u.a. durch Fortbildungen zu erreichen.
Demokratie lernen und leben
Von 2002–2007 gab es das Bund-Länder-Kommission-Programm „Demokratie lernen und leben“, das in Hessen den Schwerpunkt „Mediation und Partizipation“ hatte. In diesem Programm wurden in Modellschulen wichtige Erfahrungen gesammelt, wie sie oben kurz skizziert wurden.
„Aus der Erfahrung des BLK-Programms „Demokratie lernen und leben“ hat Wolfgang Edelstein drei zentrale Begriffe genannt, die von großer Bedeutung sind: Anerkennung, Selbstwirksamkeit, Verantwortungsübernahme.
Ein demokratischer Habitus lässt sich ausbilden, indem Kinder und Jugendliche für ihr Handeln Anerkennung und Wertschätzung erfahren, eine ganz wesentliche Voraussetzung in Erziehungsprozessen und damit auch im Zusammenhang mit demokratischem Lernen. Wenn ich erlebe, dass ich mit meinem Handeln wirksam bin, werde ich mich damit identifizieren können. Anerkennung und Selbstwirksamkeit erfahre ich bei der Verantwortungsübernahme, sei es für die Übernahme eines Amtes, bei der Organisation eines Projekts oder der Unterstützung anderer Menschen. Diese Verantwortungsübernahme ist ein zentraler Aspekt der systemischen Schulentwicklung, da sie die Eigenverantwortung und Mitgestaltung der Schüler*innen fördert. Wenn diese Erfahrungen in gute Lernprozesse integriert werden, ist die Wahrscheinlichkeit der Identifikation mit Demokratie relativ groß.“ (Rademacher 2021, 61/62)
Selbstwirksamkeit und Verantwortungsübernahme
Diese Gedanken korrespondieren wiederum mit dem Motto der Offenen Schule Waldau: „Beziehung vor Erziehung vor Unterricht“, d. h. die Entwicklung der Beziehung der Lehrkräfte zu ihren Schülerinnen und Schülern steht am Anfang, hat die größte Bedeutung, dann folgt der Erziehungsgedanke und danach der Unterricht. In den meisten Schulen steht aber der Unterricht im Zentrum. Daher gibt es dort auch keine systematische Beteiligung von Schülerinnen und Schülern. Sie werden nicht vor jeder Unterrichtseinheit gefragt, was sie interessiert, welches Vorwissen sie zum Thema haben, wo sie sich aktiv einbringen können und wie der Unterricht gestaltet werden könnte. Die Folge mangelnder Partizipation ist geringeres Interesse, weniger Engagement und damit im Sinne Wolfgang Edelsteins fehlende Selbstwirksamkeit und Verantwortungsübernahme.
Diese Fixierung auf den Unterricht – wobei guter Unterricht ein wichtiges Ziel ist – führt dazu, dass es zu wenig systematische Veränderungen in Schule gibt. Schulpolitisch wird der Ausfall von Unterricht beklagt, aber nicht die Qualität von Lernen und die Beziehungsgestaltung von Lehrenden und Lernenden. Diese Sicht einiger Kultusverwaltungen wie in Hessen hat dann zur Folge, dass ganztägige Fortbildungen in der Unterrichtszeit mehr oder weniger unterbunden werden, wo diese doch ein wichtiger Baustein für die Qualität von Schul- und Unterrichtsentwicklung sind. Die Bedeutung von Peer-Learning, wie es sich beispielsweise im kooperativen Lernen findet, wird meist nicht gesehen. Schulen, die ihre Konzeption stärker an individualisiertem Lernen und an hoher Beteiligung ausrichten, sind letztendlich die erfolgreicheren Schulen im Kontext des ständigen Wandels der Gesellschaft. Dies zeigt sich auch darin, dass solche Schulen durch den deutschen Schulpreis gewürdigt werden. Diese Schulen sind in der Sekundarstufe meistens Gesamtschulen.
Quelle:
Rademacher, Helmolt (2021), Konfliktkultur in der Schule entwickeln. Wie Demokratiebildung gelingt, Stuttgart
Artikel aus Die Schule für alle Heft 2025/2
E. Wölfl: Inklusive Kommunikation
Eine achtsame und inklusive Kommunikation verändert das Schulklima positiv.
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Inklusive Kommunikation
Edith Wölfl
In diesem Artikel betrachtet Frau Dr. Wölfl die Rolle bewusster Beziehungsgestaltung und diversitätssensibler Kommunikation im Lern- und Lebensraum Schule. Der Text lädt dazu ein, Schule darüber hinaus als Sprachraum zu betrachten. Denn Sprache schafft nicht nur Wirklichkeit. Sie schafft auch Brücken zwischen Lernenden und Lehrenden, zwischen Menschen und der Institution Schule.
Inklusive Kommunikation als Ressource
Inklusive Kommunikation ist eine Frage der Aufmerksamkeit und Achtsamkeit – vor allem auch hinsichtlich der verwendeten Sprache. Der Lernerfolg von emotional und sozial beeinträchtigten Schüler*innen steht in enger Wechselwirkung zu den Beziehungen, die sie in schulischen Situationen erleben. Die bewusste Beachtung inklusiver Kommunikation verbessert ihre Lernsituation und trägt zu einem Lernklima bei, das Stress reduziert. Inklusive Sprache ist klar, zugewandt und erzeugt Resonanz in Beziehungen. Alltägliche und schulische Interaktionen werden so gestaltet, dass erneute Verletzungen oder Kränkungen vermieden werden. Gleichzeitig setzt inklusive Kommunikation Energien frei, die für Herausforderungen und Kreativität genutzt werden können. Das Lernen gelingt allen besser – und alle fühlen sich wohler. Diese Veränderung des gemeinsamen Klimas gelingt allein durch Sprache, ohne zusätzliche finanzielle Investitionen.
Schule als Sprachraum
Ein erster Schritt zur Veränderung ist die Beobachtung der im schulischen Alltag verwendeten Sprache. Diese zeigt sich in Klassenzimmern, auf Fluren, beim Sport, in Pausen, in Büros, im Lehrerzimmer, im Elternsprechzimmer und nicht zuletzt in den sozialen Medien.
Zentral ist dabei die Frage: Wodurch schafft Sprache Barrieren und erschwert Teilhabe? Wird Sprache genutzt, um Menschen herabzusetzen, zu beleidigen, zu diskriminieren, bloßzustellen, einzuschüchtern, zu beschämen oder gegeneinander auszuspielen? Solche Formen sprachlicher Kommunikation werten ab, grenzen aus und schreiben Fremdbestimmung fest. Sie bergen ein Gewaltpotential, das zu Mobbing führen kann.
Ableismus – wenn nur gesund als „normal“ gilt
Besondere Aufmerksamkeit gilt der Verwendung sogenannter ableistischer Sprache. Sie bedient sich Begriffen, die mit sichtbaren oder unsichtbaren Besonderheiten – insbesondere mit Behinderungen – assoziiert werden, um andere zu verspotten oder abzuwerten.
Solche Begriffe sind häufig so alltäglich geworden, dass sie kaum noch auffallen: „verrückt“, „autistisch“, „Trottel“, „Psycho“, „Spinner“, „Idiot“, „dumm“, „faul“ – um nur einige zu nennen. Jüngst wurde eine Politikerin kritisiert, nachdem sie einen Kollegen, der sich wenig explizit äußerte, als „autistisch“ bezeichnet hatte. Diese Form alltäglicher, scheinbar selbstverständlicher Abwertung über Sprache lässt sich als Form struktureller Gewalt verstehen.
Die Entwicklung inklusiver Kommunikation
Im Unterricht gibt es viele Gelegenheiten, auf gewaltsame Sprache aufmerksam zu machen und Alternativen zu erproben. Konkrete Interaktionen können beobachtet, gesammelt und reflektiert werden. Medien wie Literatur, Filme, Musiktexte sowie die alltägliche Kommunikation sind dafür geeignete Ausgangspunkte.
Drei Grundvereinbarungen bilden die Basis für die Entwicklung inklusiver Kommunikation:
- Unterschiede in Meinungen, Sichtweisen, Verhaltensweisen, Aussehen und Möglichkeiten werden respektiert.
- Gemeinsamkeiten werden stärker beachtet als Differenzen.
- Alle bemühen sich darum, Zugehörigkeit zu ermöglichen, statt Ausgrenzung zu verstärken.
Diese Entwicklung verläuft in einem Prozess des Bewusstwerdens. Anfangs mag der achtsame Umgang mit Sprache noch ungewohnt oder künstlich wirken, doch mit der Zeit wird inklusive Kommunikation zur Gewohnheit – und letztlich zur Kultur. Ein neues Gefühl von „wir“ entsteht, das Gemeinschaft über das Einzelinteresse stellt und soziale Verantwortung stärkt.
Gemeinsame Sprache ermöglicht gemeinsame Resonanz
Die Grundlage gelingender inklusiver Kommunikation ist die entstehende gegenseitige Resonanz. Sie fördert Selbstwirksamkeit, Sicherheit und Halt. Resonanz entsteht durch ein Kommunikationsverhalten, das folgende Aspekte berücksichtigt:
- gegenseitiger Blickkontakt
- Spiegelung von Gefühlen und Abstimmung auf das eigene Empfinden
- Ankündigung oder Kommentierung von Handlungen
- Achten auf kleine Pausen
- unwillkürliche Regulierung von Nähe und Distanz
Wird Resonanz in Interaktionen spürbar, entwickelt sich ein inneres Gefühl von Kohärenz und Zuversicht in die eigenen Fähigkeiten. Die Überzeugung, etwas bewirken und die eigene Zukunft gestalten zu können, wächst. Wird dieses resonanzfördernde Sprachverhalten bewusst eingesetzt, wird Kommunikation klarer, angenehmer und interessanter – ein zentrales Merkmal inklusiver Interaktion.
Resonanz stärkt Aufmerksamkeit und entlastet langfristig – sie ist eine der wichtigsten Quellen für Lernfreude.
Resonanzfördernde Kommunikation im Schulalltag
Gerade im Unterricht bieten sich vielfältige Möglichkeiten für eine Resonanz fördernde Kommunikation – zwischen Lehrkräften und Schüler:innen, unter Kolleg:innen und im gesamten Schulleben. Einige erprobte Ansätze sind:
- Ich-Botschaften verwenden: Sie vermeiden Schuldzuweisungen und ermöglichen respektvolle Kommunikation.
- Gemeinsame Verantwortung betonen: Lernerfolg wird als gemeinsame Aufgabe verstanden.
- Ankündigungen und Spannungsaufbau nutzen: Klare Ansagen und gezielte Neugier steigern Aufmerksamkeit.
- Ziele transparent machen: Das stärkt Selbstwirksamkeit und Zuversicht.
- Schrittweise steigern: Aufbauende Anforderungen schaffen Erfolgserlebnisse und Motivation.
- Verständlich kommunizieren: Einfache Sprache, Visualisierungen und Wiederholungen fördern das Verstehen und beugen Missverständnissen vor.
Fazit: Inklusive Sprache als Sprache der Veränderung
Inklusive Sprache eröffnet Räume zur Veränderung und entfaltet Potenziale, die durch emotionale oder soziale Barrieren blockiert waren. Sie ist kein abgeschlossener Zustand, sondern ein Prozess des Lernens, Übens und Reflektierens.
Inklusive Sprache wirkt: Sie fördert Vertrauen in sich und andere, stärkt gegenseitige Bestätigung und schafft Freude an gemeinsamer Sprache. Diese Freude unterstützt das gemeinsame Handeln – eine oft unterschätzte Voraussetzung erfolgreichen Lernens. Wertschätzende Sprache verändert Beziehungen, erleichtert friedliche Konfliktlösungen und unterstützt Leistung sowie Kreativität. Sie verändert das Klima in der Schule – nachhaltig und tiefgreifend.
Artikel aus Die Schule für alle Heft 2025/2
T. Wiegelmann: Gedanken zu einer Schule als liebenswerter Ort
Beeindruckt von Otto Herz: ein tiefbewegendes Plädoyer für Mitmenschlichkeit in der Schule
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Gedanken zu einer Schule als liebenswerter Ort
Im Gedenken an Otto Herz
Tim Wiegelmann
„In Diktaturen werden die Menschen abgerichtet, in Demokraturen werden sie unterrichtet, in wahrhaft freien und sich befreienden Gesellschaften ist Schluss mit dem Abrichten und Schluss mit dem Unterrichten; dort werden die Menschen aufgerichtet!“ (1)
Otto Herz ist für mich deshalb so ein Vorbild, weil er in meinen Augen wie niemand anderes für die Botschaft stand, dass es ohne eine humane Schule keine humane Welt geben kann und geben wird.
Was mich an ihm besonders faszinierte, ist die Tatsache, dass er neben seinem Einsatz für das große Ganze nie aufgehört hat, ein komplett anderes Schulsystem zu fordern. Dafür setze er sich am intensivsten ein. Er brachte dies auf die einfache Formel: „Sag mir, welche Schule du willst und ich sage dir, welche Gesellschaft du bekommst.“ (2)
Er zitierte in diesem Zusammenhang den zutiefst erdrückenden Text des israelischen Psychologen Haim G. Ginot mit dem Titel „Liebe Lehrer“: „Ich bin ein Überlebender eines Konzentrationslagers. Meine Augen haben gesehen, was niemand je sehen sollte. Gaskammern, gebaut von gelernten Ingenieuren. Kinder, vergiftet von ausgebildeten Ärzten. Säuglinge, getötet von geschulten Krankenschwestern. Frauen und Babys, erschossen und verbrannt von Hochschulabsolventen. Deshalb bin ich misstrauisch gegenüber Erziehung. Meine Forderung ist, dass Lehrer ihren Schülern helfen, menschlich zu werden. Ihre Anstrengungen dürfen niemals führen zu gelernten Ungeheuern, ausgebildeten Psychopathen, studierten Eichmanns. Lesen, Schreiben und Rechnen sind nur wichtig, wenn sie dazu dienen, unsere Kinder menschlicher werden zu lassen.“ (3) Einen Spruch ließ er auf eine Postkarte drucken und verteilte ihn bei jeder Gelegenheit an Pädagog*innen:
„Wir sind nicht dazu da, Menschen an vorgegebene Systeme anzupassen. Unser Beruf, unsere Berufung ist es, für die – und vor allem mit den – Menschen Systeme so zu gestalten, dass sie sich in ihnen wohlfühlen, sie als ihre eigenen erfahren und in ihnen und dank ihrer Lebens-Kompetenz und Lebens-Sinn erfahren.“ (4)
Wenn Pädagog*innen Kinder und Jugendliche unterstützen würden, die Vision eines stärkenden und sinnstiftenden Lebensumfeldes zu entwickeln und dieses gemeinsam mit allen und im Sinne aller zu gestalten, wäre eine lebenswerte Welt vielleicht nicht so fern, wie sie heute erscheint.
Es ist doch im Grunde ganz einfach: Um liebevoll mit dieser Welt, mit anderen Menschen, mit der Vielfalt des Lebendigen umzugehen, muss ich sie zuerst als liebenswert erleben. Und was für ein Ort könnte sich besser eignen, um die Welt als liebenswert zu erleben, als der Ort, mit dem alle Kinder in der prägendsten Phase ihres Lebens in Berührung kommen?
Im Mittelpunkt der Ethik von Albert Schweitzer steht die Erkenntnis: „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“ (5) Sein Grundsatz: „Ehrfurcht vor dem Leben“ hat für mich eine besondere Bedeutung. Das Wort „Ehrfurcht“, so altmodisch wie es in manchen Ohren klingen mag, trägt für mich eine ganz besondere Schönheit in sich, denn die Furcht bezieht sich nicht auf das, was ich ehre, sondern auf meinen Gedanken, es nach meinen Vorstellungen verändern zu wollen und ihm dadurch seine Einzigartigkeit und seine Schönheit zu nehmen. der Grundsatz „Ehrfurcht vor dem Leben!“ (6) von Albert Schweitzer steht in schulischen Lehrplänen für Ethik und Religionslehre. (7)
Ich möchte natürlich nie irgendjemand etwas unterstellen. Ich weiß, dass alle an der Schule Beteiligten nur die besten Absichten haben. Doch ich frage mich schon, ob die Verantwortlichen für diese Lehrpläne daran gedacht haben, dass diese Ehrfurcht vor dem Leben auch eine Ehrfurcht vor den unvorstellbaren Potentialen eines jeden Kindes bedeuten müsste.
Ich möchte mit einem Satz des Soziologen Hartmut Rosa enden: „Demokratie bedarf eines hörenden Herzens, sonst funktioniert sie nicht.“ (8) Was für ein Ort könnte sich besser eignen, um ein „hörendes Herz“ zu bilden, als der Ort, an dem alle Kinder und Jugendlichen in der prägendsten Phase ihres Lebens in Berührung kommen? Dieser zentrale Lern- und Lebensraum sollte optimale Bedingungen schaffen, um ein „hörendes Herz“ zu bilden. Daraus würde folgen, dass Bildung vor allem zwei Hoffnungen schenken muss. Wir alle sind zu klein für die Welt. Niemand reicht sich selbst. Deswegen brauchen wir alle ein hörendes Herz. Die erste Hoffnung, die mir Bildung schenken muss, ist, dass ich darauf vertrauen kann, auf ein „hörendes Herz“ zu treffen, wenn ich zu klein für die Welt bin. Für mich hat diese Aussage eine besondere Brisanz, weil ich aufgrund meiner Körperbehinderung buchstäblich zu klein für die Welt bin. Ich brauche jeden Tag so viel Hilfe. Aber das ist nicht schlimm, wenn ich die Welt als einen Ort kennenlerne, an dem ich immer darauf hoffen darf, auf ein „hörendes Herz“ zu treffen. Die zweite zentrale Hoffnung, die mir Bildung schenken muss, ist, dass ich, wenn ich merke, dass andere zu klein für die Welt sind, genug Vertrauen und Hoffnung habe, ein „hörendes Herz“ für sie sein zu können.
Dass ich immer darauf vertrauen kann, auf ein „hörendes Herz“ zu treffen, wenn ich zu klein für die Welt bin, und dass ich genug Vertrauen in mich selbst habe, mir zuzutrauen, ein „hörendes Herz“ für andere sein zu können, wenn sie zu klein für die Welt sind; das ist Demokratie. Davon bin ich fest überzeugt.
Tim Wiegelmann
Schule, gib mir die Kraft
Schule, gib mir die Kraft, nicht wegzuschauen, dort, wo das Leid der Welt sichtbar wird.
Lehre mich, das Unbequeme nicht zu meiden, sondern in der Verletzlichkeit der anderen meine eigene zu erkennen.
Hilf mir, die Wunden dieser Welt zu spüren, ohne in Resignation zu verfallen. Gib mir Mut, aus Mitgefühl zu handeln, selbst dann, wenn der Weg schwer ist.
Lass mich lernen, dass Verletzlichkeit keine Schwäche, sondern Stärke ist, dass die Welt nicht abseits von mir geschieht, sondern in mir und durch mich.
Zeige mir, dass ich ein Teil des Ganzen bin, und lehre mich, Verantwortung zu tragen – nicht aus Zwang, sondern aus Liebe zu dieser Welt und den Menschen darin.
Schule, sei ein Ort, der mich stark macht, für die Würde, für den Frieden.
Artikel aus Die Schule für alle Heft 2025/2