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Bildungspolitik

 

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Wie Bildung gelingt – das Gespräch geht weiter

Konstanze Schneider und Lothar Sack haben in Heft 2021/2 unserer Zeitschrift Die Schule für alle das Buch "Wie Bildung gelingt" von Harald Lesch und Ursula Forstner besprochen. Beide Autoren haben die Einladung zum Gespräch angenommen und gehen auf die für uns zentrale Frage nach der Schule für alle ein: Sie befürworten nicht nur eine Schule ohne Selektion, sondern auch eine ohne soziale Brüche. Übrigens ist Alfred North Whitehead auch wieder dabei. und   Lesen Sie selbst!

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Liebe Konstanze Schneider, lieber Lothar Sack,

vielen Dank für die Empfehlung unseres Buches in Ihrem Magazin. Wir haben uns besonders darüber gefreut, dass Sie die Gesprächsform des Buchs aufgegriffen, fortgeführt und den Ball an uns zurückgespielt haben. Gern nehmen wir Ihre Einladung an und lassen uns von Ihnen zu einem weiteren kurzen Gespräch inspirieren.

Herzliche Grüße
Ursula Forstner und Harald Lesch


Ursula Forstner: Mich beschäftigt immer noch die Frage aus dem letzten GGG Magazin: „Haben sich Harald Lesch & Co. irgendwo dazu geäußert, dass das bestehende gegliederte Schulsystem in eine gemeinsame Schule für alle überführt werden soll oder muss?“ Nein, haben wir nicht. Aber warum nicht? Vielleicht, ganz schlicht, weil wir nicht alle Themen behandeln konnten? Vielleicht aber auch, spezifischer, weil es für unseren wichtigsten Gesprächspartner Alfred North Whitehead (1861–1947) kein Thema sein konnte. Seine Thesen sind hochaktuell, das schon, aber sein Erfahgarungshorizont ist nun mal das Schulsystem seiner Zeit, und noch dazu das englische, also im Wesentlichen eine Gliederung in öffentliche und private Schulen, zusätzlich streng getrennt nach Mädchen und Jungen. Zu einer Gliederung, die hauptsächlich auf Leistung und daraus resultierenden Noten beruht, hatte er tatsächlich nichts zu sagen.

Alfred North Whitehead: Verzeihen Sie, aber an dieser Stelle würde ich mich doch gern wieder einschalten, ich möchte wirklich nicht den besserwisserischen alten Engländer geben, aber zur Vision Schule für alle haben Sie mich tatsächlich gar nicht befragt.

Ursula Forstner: Wie schön, dass Sie wieder dabei sind, geben Sie mir die Gelegenheit mein Versäumnis nachholen?

Alfred North Whitehead: Sicher, es stimmt schon, dass das gegliederte Schulsystem, das ich kenne, sich von dem Ihren unterscheidet. Aber geht es nicht im Kern um die Frage, ob eine Klassifizierung und Trennung von Kindern und Jugendlichen überhaupt sinnvoll ist, ganz egal nach welchen Kriterien? Und da kann ich nur sagen, nein, das war es schon zu meiner Zeit nicht, und für Ihre Zeit, in der alle und alles noch enger zusammengerückt sind, erscheint mir das geradezu unsinnig, wenn nicht gar gefährlich.

Ursula Forstner: Sie sprechen mir aus der Seele, und da muss ich noch nicht einmal eine pädagogische, philosophische oder gar gesellschaftspolitische Theorie bemühen, sondern einfach nur meine direkte Erfahrung: Jeder Schulwechsel, besonders die Trennung von den Freundinnen der Grundschulzeit, ist für ein Kind eine persönliche Katastrophe, das war in meiner Schulzeit so und das wiederholt sich bei jedem unserer Kinder.

Harald Lesch: In der Tat. Ich bin zehn Jahre auf eine Schule gegangen, eine Gesamtschule, und konnte dann mit vielen meiner Schulkameraden auf eine andere Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe wechseln. Ständiger Schulwechsel wäre für mich und meine Freunde wirklich schwer geworden, zumal wir alle aus einem Dorf stammten.

Alfred North Whitehead: Bei mir kam noch dazu, dass ich bis zu meinem 15. Lebensjahr zu Hause unterrichtet wurde, mehr Trennung von Freunden geht kaum. Im Rückblick kommt es mir so vor, als ob mein Leben und Denken erst mit dem Betreten einer Schule begonnen hat.

Ursula Forstner: Sie ahnen vermutlich nicht, wie aktuell Sie damit einmal mehr sind. Auf unserem schönen Planeten grassiert seit Anfang 2020 eine Pandemie, und Millionen von Schülern mussten zu Hause unterrichtet werden.

Alfred North Whitehead: Ich hab so etwas gehört... Dann sollten Sie den Kindern nicht noch weitere Trennungen zumuten, sorgen Sie für Vielfalt und individuelles Lernen, aber überwinden Sie die räumliche Trennung, die gehört leider zu meiner Zeit, aber doch bitte nicht mehr ins 21. Jahrhundert!

Harald Lesch: Eben, vor allem auch um die Entwicklung der Kinder zu unterstützen. Jedes Kind ist etwas Besonderes, braucht seine eigene Zeit. Aber es braucht eben auch stabile soziale Verhältnisse um sich herum. Freude an sich und den anderen entsteht nur in vertrauenswürdigen, überschaubaren Umständen. Ständige Wechsel und Trennungen vom Bekannten und Vertrauten sind nicht hilfreich. Von dort aus, der sozialen und geistigen Heimat, kann man in die Welt gehen.
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Konstanze: Also ich finde das gut, dass wir bei Forstner/Lesch/Whitehead nachgefragt haben. Die Antwort ist klar und eindeutig.

Lothar: Ja, und hast du gemerkt, dass sie nicht nur die vertikale Gliederung der Schule in Frage stellen, sondern auch die horizontale? Sie sind für eine Schule ohne systemische Brüche: eine weitere Herausforderung für unser Schulsystem.