Anlass und Anspruch aktueller Begabungsforschung und transformativer Begabungsförderung – eine Bestandsaufnahme
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Begabungsförderung
– Ein Schlüssel für die Gestaltung unserer Zukunft
Christian Fischer
Die globalen Herausforderungen verdeutlichen, dass ein gesellschaftlicher Wandel dringend erforderlich ist. Die nachhaltige Gestaltung unserer Zukunft erfordert Akteur:innen mit ausgeprägtem analytisch-kritischen Engagement und ethischer Verantwortungsübernahme. Dabei kann die transformative Begabungsförderung von jungen Menschen im schulischen Kontext einen wegweisenden Beitrag leisten.
Transformative Begabungsförderung bei jungen Menschen
Angesichts der aktuellen globalen Herausforderungen (z.B. Weltklima, Weltgesundheit, Weltfrieden) ist ein fundamentaler ökologischer, ökonomischer und sozialer Wandel in unserer Gesellschaft dringend erforderlich. Die aktive Gestaltung derartiger Transformationsprozesse erfordert Akteur:innen mit hochentwickelten Kompetenzen verbunden mit einer ausgeprägten Persönlichkeit bezogen auf ein analytisch-kritisches Engagement und ethische Verantwortungsübernahme (Sternberg, 2017). Dazu bedarf es eines personenorientierten Wissens, aber auch eines gemeinwohlorientierten Handelns, das sich heute schon bei besonders engagierten jungen Menschen zeigt, die sich für eine nachhaltige Zukunftsgestaltung in unserer Gesellschaft engagieren. Bei diesen Personen mit zivilgesellschaftlichem Engagement und kreativem Problemlösungsverhalten werden neben adaptiven Fähigkeitspotenzialen (z. B. Kommunikation, Kreativität, kritisches Denken) auch transformative Persönlichkeitspotenziale (z .B. Motivation, Resilienz, Achtsamkeit) sichtbar. Wie das in die Fläche getragen werden kann, ist Anlass und Anspruch heutiger Begabungsforschung und transformativer Begabungsförderung. Grundlage einer derartigen nachhaltigen Potenzialentwicklung sind exzellente innovative Lernumgebungen vor allem im schulischen Kontext, welche die vielfältigen Potenzialbereiche von Personen in sozialen Kontexten ansprechen (Fischer & Fischer-Ontrup, 2023).
Im Rahmen der transformativen Begabungsförderung wird auf der einen Seite die Transformation individueller Potenziale in domänenspezifische Performanz (z. B. Sprachen, Mathematik, Naturwissenschaften) bezogen auf die Verantwortungsübernahme für die eigenen Lernprozesse in den Blick genommen. Auf der anderen Seite wird die Transformation persönlicher Potenziale in zukunftsgerechte Performanz (z. B. kreatives Problemlösen, ethisches Engagement) im Hinblick auf die Verantwortungsübernahme für die gesellschaftliche Zukunftsgestaltung adressiert. Dieses transformative Begabungsverständnis fokussiert die aktuellen globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, für deren Bewältigung es junger Menschen bedarf, die zur Lösung dieser Probleme beitragen, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen (Sternberg, 2023). So zielt die transformative Begabungsförderung bei jungen Menschen darauf, persönliche Entwicklungen zu realisieren, aber auch gesellschaftliche Veränderungen im Sinne der nachhaltigen Entwicklung zu initiieren (Fischer & Fischer-Ontrup, 2023). Diese Zusammenhänge werden im transformativen Modell der Begabungs- und Leistungsentwicklung (TMBL) mit Blick auf die nachhaltige Potenzial- und Performanzentwicklung von Personen in sozialen Kontexten beschrieben, wobei eine adaptive Lernumgebung auf der Personen-, Institutionen- und Systemebene verbunden mit einer wachstumsorientierten Haltung bedeutsam ist (Fischer et al., 2024).
Adaptive Lernarchitekturen zur nachhaltigen Potenzialentwicklung
Der Erwerb von zukunftsfähigen Gestaltungskompetenzen junger Menschen – fokussiert auf die langfristige zivilgesellschaftliche Verantwortungsübernahme – erfordert im Sinne einer Bildung für nachhaltige Potenzialentwicklung adaptive Lernarchitekturen vor allem im schulischen Kontext, wie in der Förderinitiative „Leistung macht Schule“ (LemaS). Dabei werden zunächst individuelle Lernpotenziale zur Verantwortungsübernahme für das eigenen Lernen nachhaltig entwickelt, bevor entfaltete Leistungspotenziale zur Verantwortungsübernahme für die gesellschaftliche Zukunft (z. B. im Rahmen der Nachhaltigkeits-, Demokratie- oder Friedensbildung) eingesetzt werden. Die Expertise zum eigenständigen Lernen wird vor allem in Lernarchitekturen zum selbstregulierten forschenden Lernen erworben, während die Agency, die Handlungsfähigkeit im Sinne eines gemeinwohlorientierten Agierens insbesondere durch Lernformate zum transformativen problembasierten Lernen entwickelt werden kann (Fischer & Fischer-Ontrup, 2023).
So kann die Kompetenz zum selbstregulierten Lernen etwa im Rahmen von diagnosebasierten individualisierten Förderformaten (diFF) erworben werden, welche Strategien des selbstregulierten forschenden Lernens (d. h. Informationsverarbeitung, Lernprozesssteuerung, Selbstregulation) fördern und herausfordern (Fischer et al., 2021). Dabei werden drei Ziele fokussiert: 1) Entwicklung von Lerninteressen mittels individueller Spezialthemen, 2) Herausforderung von Lernpotenzialen mittels eigenständiger Forschungsarbeiten, 3) Förderung von Lernkompetenzen mittels adaptiver Strategievermittlung. Hier ist die adaptive Lernbegleitung von Lehrpersonen zentral, damit diese im Sinne des Scaffolding (engl. „Gerüst“, d. h. Unterstützungsangebot angepasst an die Lernpotenziale) die Zone der proximalen Entwicklung der Lernenden bezogen auf die zunehmende Verantwortungsübernahme für eigene Lernprozesse ermöglichen (van de Pol, Volman & Beishuizen, 2010). In diesen diagnosebasierten Förderformaten werden sechs Phasen (1. Förderdiagnostik, 2. Themenwahl, 3. Informationsrecherche, 4. Produktdokumentation, 5. Ergebnispräsentation, 6. Projektreflexion) der Unterrichtsentwicklung adressiert, aber auch die Schulgestaltung (z. B. Leitbildentwicklung, Qualifizierung) fokussiert (Vohrmann, Fischer & Fischer-Ontrup, 2020).
Die Bereitschaft zum gemeinwohlorientierten Handeln kann etwa im Kontext von adaptiven Förderformaten zur nachhaltigen Zukunftsgestaltung entwickelt werden, wobei Lernende zunächst Wissen zu den Sustainable Development Goals erwerben, um dann ihr Umfeld durch Aktionen zu nachhaltigem Engagement zu bewegen (Kohnen, Fischer & Fischer-Ontrup, 2021). Das digital gestützte Format orientiert sich an den Prinzipien des Design Thinking als einem systematischen, iterativen Prozess, bei dem produktorientierte Lösungen zu realen Problemstellungen konzipiert werden (Shivley, Stith & Rubenstein, 2021). Ein Fokus liegt auf den 21st Century Skills (d. h. Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und kritisches Denken), womit die Verantwortungsübernahme für die gesellschaftliche Zukunft in den Blick genommen wird. Dies gilt auch für das Förderformat zum Sustainable Entrepreneurship, das mit Blick auf nachhaltige unternehmerische Initiativen ebenfalls Phasen des Design Thinking umfasst (1. Problem finden, 2. Problemfeld erkunden, 3. Problem definieren, 4. Lösungsideen entwickeln, 5. Lösung/Prototypen entwickeln, 6. Lösung/Prototypen testen), wobei neben der Unterrichtsentwicklung auch die Schulgestaltung und Professionalisierung in den Fokus rückt (Fischer & Fischer-Ontrup, 2023).
Diese adaptiven Lernarchitekturen sind stets von potenzial- und wachstumsorientierten Denkweisen geprägt, die sich an der Idee des Growth Mindset (Dweck, 2006) ausrichten verbunden mit der Erkenntnis, dass die Potenziale junger Menschen entwickelbar und veränderbar sind. Konkret zeigt sich eine wachstumsorientierte Haltung von Lehrpersonen in hohen Erwartungen, ausgeprägtem Vertrauen und individueller Unterstützung (Lokhande & Grießig, 2021); diese Denkweise ist im Schulischen Kontext vor allem für Lernende aus bildungsbenachteiligten Lagen bedeutsam.
Artikel aus Die Schule für alle Heft 2024/4