Eine achtsame und inklusive Kommunikation verändert das Schulklima positiv.
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Inklusive Kommunikation
Edith Wölfl
In diesem Artikel betrachtet Frau Dr. Wölfl die Rolle bewusster Beziehungsgestaltung und diversitätssensibler Kommunikation im Lern- und Lebensraum Schule. Der Text lädt dazu ein, Schule darüber hinaus als Sprachraum zu betrachten. Denn Sprache schafft nicht nur Wirklichkeit. Sie schafft auch Brücken zwischen Lernenden und Lehrenden, zwischen Menschen und der Institution Schule.
Inklusive Kommunikation als Ressource
Inklusive Kommunikation ist eine Frage der Aufmerksamkeit und Achtsamkeit – vor allem auch hinsichtlich der verwendeten Sprache. Der Lernerfolg von emotional und sozial beeinträchtigten Schüler*innen steht in enger Wechselwirkung zu den Beziehungen, die sie in schulischen Situationen erleben. Die bewusste Beachtung inklusiver Kommunikation verbessert ihre Lernsituation und trägt zu einem Lernklima bei, das Stress reduziert. Inklusive Sprache ist klar, zugewandt und erzeugt Resonanz in Beziehungen. Alltägliche und schulische Interaktionen werden so gestaltet, dass erneute Verletzungen oder Kränkungen vermieden werden. Gleichzeitig setzt inklusive Kommunikation Energien frei, die für Herausforderungen und Kreativität genutzt werden können. Das Lernen gelingt allen besser – und alle fühlen sich wohler. Diese Veränderung des gemeinsamen Klimas gelingt allein durch Sprache, ohne zusätzliche finanzielle Investitionen.
Schule als Sprachraum
Ein erster Schritt zur Veränderung ist die Beobachtung der im schulischen Alltag verwendeten Sprache. Diese zeigt sich in Klassenzimmern, auf Fluren, beim Sport, in Pausen, in Büros, im Lehrerzimmer, im Elternsprechzimmer und nicht zuletzt in den sozialen Medien.
Zentral ist dabei die Frage: Wodurch schafft Sprache Barrieren und erschwert Teilhabe? Wird Sprache genutzt, um Menschen herabzusetzen, zu beleidigen, zu diskriminieren, bloßzustellen, einzuschüchtern, zu beschämen oder gegeneinander auszuspielen? Solche Formen sprachlicher Kommunikation werten ab, grenzen aus und schreiben Fremdbestimmung fest. Sie bergen ein Gewaltpotential, das zu Mobbing führen kann.
Ableismus – wenn nur gesund als „normal“ gilt
Besondere Aufmerksamkeit gilt der Verwendung sogenannter ableistischer Sprache. Sie bedient sich Begriffen, die mit sichtbaren oder unsichtbaren Besonderheiten – insbesondere mit Behinderungen – assoziiert werden, um andere zu verspotten oder abzuwerten.
Solche Begriffe sind häufig so alltäglich geworden, dass sie kaum noch auffallen: „verrückt“, „autistisch“, „Trottel“, „Psycho“, „Spinner“, „Idiot“, „dumm“, „faul“ – um nur einige zu nennen. Jüngst wurde eine Politikerin kritisiert, nachdem sie einen Kollegen, der sich wenig explizit äußerte, als „autistisch“ bezeichnet hatte. Diese Form alltäglicher, scheinbar selbstverständlicher Abwertung über Sprache lässt sich als Form struktureller Gewalt verstehen.
Die Entwicklung inklusiver Kommunikation
Im Unterricht gibt es viele Gelegenheiten, auf gewaltsame Sprache aufmerksam zu machen und Alternativen zu erproben. Konkrete Interaktionen können beobachtet, gesammelt und reflektiert werden. Medien wie Literatur, Filme, Musiktexte sowie die alltägliche Kommunikation sind dafür geeignete Ausgangspunkte.
Drei Grundvereinbarungen bilden die Basis für die Entwicklung inklusiver Kommunikation:
- Unterschiede in Meinungen, Sichtweisen, Verhaltensweisen, Aussehen und Möglichkeiten werden respektiert.
- Gemeinsamkeiten werden stärker beachtet als Differenzen.
- Alle bemühen sich darum, Zugehörigkeit zu ermöglichen, statt Ausgrenzung zu verstärken.
Diese Entwicklung verläuft in einem Prozess des Bewusstwerdens. Anfangs mag der achtsame Umgang mit Sprache noch ungewohnt oder künstlich wirken, doch mit der Zeit wird inklusive Kommunikation zur Gewohnheit – und letztlich zur Kultur. Ein neues Gefühl von „wir“ entsteht, das Gemeinschaft über das Einzelinteresse stellt und soziale Verantwortung stärkt.
Gemeinsame Sprache ermöglicht gemeinsame Resonanz
Die Grundlage gelingender inklusiver Kommunikation ist die entstehende gegenseitige Resonanz. Sie fördert Selbstwirksamkeit, Sicherheit und Halt. Resonanz entsteht durch ein Kommunikationsverhalten, das folgende Aspekte berücksichtigt:
- gegenseitiger Blickkontakt
- Spiegelung von Gefühlen und Abstimmung auf das eigene Empfinden
- Ankündigung oder Kommentierung von Handlungen
- Achten auf kleine Pausen
- unwillkürliche Regulierung von Nähe und Distanz
Wird Resonanz in Interaktionen spürbar, entwickelt sich ein inneres Gefühl von Kohärenz und Zuversicht in die eigenen Fähigkeiten. Die Überzeugung, etwas bewirken und die eigene Zukunft gestalten zu können, wächst. Wird dieses resonanzfördernde Sprachverhalten bewusst eingesetzt, wird Kommunikation klarer, angenehmer und interessanter – ein zentrales Merkmal inklusiver Interaktion.
Resonanz stärkt Aufmerksamkeit und entlastet langfristig – sie ist eine der wichtigsten Quellen für Lernfreude.
Resonanzfördernde Kommunikation im Schulalltag
Gerade im Unterricht bieten sich vielfältige Möglichkeiten für eine Resonanz fördernde Kommunikation – zwischen Lehrkräften und Schüler:innen, unter Kolleg:innen und im gesamten Schulleben. Einige erprobte Ansätze sind:
- Ich-Botschaften verwenden: Sie vermeiden Schuldzuweisungen und ermöglichen respektvolle Kommunikation.
- Gemeinsame Verantwortung betonen: Lernerfolg wird als gemeinsame Aufgabe verstanden.
- Ankündigungen und Spannungsaufbau nutzen: Klare Ansagen und gezielte Neugier steigern Aufmerksamkeit.
- Ziele transparent machen: Das stärkt Selbstwirksamkeit und Zuversicht.
- Schrittweise steigern: Aufbauende Anforderungen schaffen Erfolgserlebnisse und Motivation.
- Verständlich kommunizieren: Einfache Sprache, Visualisierungen und Wiederholungen fördern das Verstehen und beugen Missverständnissen vor.
Fazit: Inklusive Sprache als Sprache der Veränderung
Inklusive Sprache eröffnet Räume zur Veränderung und entfaltet Potenziale, die durch emotionale oder soziale Barrieren blockiert waren. Sie ist kein abgeschlossener Zustand, sondern ein Prozess des Lernens, Übens und Reflektierens.
Inklusive Sprache wirkt: Sie fördert Vertrauen in sich und andere, stärkt gegenseitige Bestätigung und schafft Freude an gemeinsamer Sprache. Diese Freude unterstützt das gemeinsame Handeln – eine oft unterschätzte Voraussetzung erfolgreichen Lernens. Wertschätzende Sprache verändert Beziehungen, erleichtert friedliche Konfliktlösungen und unterstützt Leistung sowie Kreativität. Sie verändert das Klima in der Schule – nachhaltig und tiefgreifend.
Artikel aus Die Schule für alle Heft 2025/2