Schule ohne Unterricht, ohne Wände, ohne 45 Minutentakt – das sollte Schule machen!
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Die Schule wieder zur Schule machen!
Ein Gespräch mit Stefan Ruppaner, dem ehemaligen Schulleiter der Alemannenschule in Wutöschingen
Ursula Reinartz und Konstanze Schneider
Schule, scholé aus dem Griechischen nach Aristoteles, bedeutet ursprünglich Muße, freie Zeit, ein Ort der Arbeitsruhe und frei von Geschäften – wie weit entfernt ist die heutige, unsere Schule von dieser Beschreibung und wie können wir sie wieder zu einem solchen Ort werden lassen!? Darum geht es in diesem Gespräch.
Was sind aus Ihrer Sicht notwendige Elemente einer Schule als ‚guter Ort‘?
Unsere heutige Schule verdient nicht mehr die Bezeichnung ‚Schule‘. Sie hat die ursprüngliche Bedeutung des Wortes verloren als ‚Ort der Muße, der Befreiung, sein Ding leben, sein Glück finden‘. Viele Probleme, die die Schule heute hat, produziert sie selbst. Wenn ich Kinder zwinge, in einem Raum zu sitzen und sich irgendetwas anzuhören, was irgendeiner sich für einen Lehrplan überlegt hat und das für die Kinder keinerlei Relevanz hat, dann ist das eine gedankliche Vergewaltigung. Das wird viele Stunden hintereinander so gemacht. Am Ende sollen dabei selbstständig denkende Menschen die Schule verlassen – das kann nicht funktionieren. Man muss sich fragen, ob dieses System noch Sinn macht.
Drei Dinge braucht das Lernen: Raum, Zeit und Expertise. Dann kann Schule ein guter Ort sein.
Es braucht viele unterschiedliche Räume: z.B. Lernateliers für das selbstständige Lernen, Inputräume für die Information, den Marktplatz für die Begegnung.
Zeit zum Lernen gewinnen wir durch die Abschaffung des Unterrichts. So kann Lernen in wechselnden Konstellationen und zur Muße, Lernen im eigenen Tempo stattfinden.
Die Expertise erstreckt sich heute vom Buch, über Erklärfilme zur KI, zu Angeboten für Herz, Kopf und Hand in unseren Clubs am Nachmittag und zu den Lernbegleitern, die die Lernumgebung bereit stellen.
Wie kann eine erfolgreiche Transformation von Lernen in Schule gelingen?
Wir brauchen also eine Transformation von Schule vom Ort des Lehrens zum Ort des Lernens.
Jeder Lernende muss in seinem eigenen Tempo lernen können und sich im Rahmen der Möglichkeiten aussuchen können, was er lernen will. Dafür muss Schule anders eingerichtet sein: ein Sofa, ein schöner Tisch, eine gemütliche Ecke mit Pflanzen, ein Ort, an dem man leise lernen kann, ein Ort, an dem man mit jemandem diskutieren kann.
Das brauchen wir nicht mehr:
- Unterricht – er nimmt den Kindern die Zeit fürs Lernen.
- Schulbücher – sie sind des Teufels, weil wir als Lehrer immer wieder versuchen, damit die Kinder auf den gleichen Punkt zu bringen und ein unterschiedliches Lerntempo zu verhindern.
- Deputate – sie Lehrern zu geben, ist schlecht.
An unserer Schule haben wir 35 Zeitstunden, in denen der Lehrer da ist, aber nur noch 12 statt 27 Deputatsstunden „unterrichten“ muss. Die Kinder haben Zeit zum Lernen und der Lehrer braucht diese Zeit, um eine Lerngruppe zu leiten und jedes Kind eine Viertelstunde zu coachen. Wir können 15 Ermäßigungsstunden geben, weil wir keinen Unterricht machen.
Jeder Lehrer hat seinen Arbeitsplatz zwischen den Schülerarbeitsplätzen, an dem es ganz ruhig ist, wo er in Ruhe arbeiten und korrigieren kann.
Die Transformation der Schule vom Ort des Lehrens zum Ort des Lernens – sie scheitert nicht an den Kindern, sondern an den Mauern in den Köpfen von Eltern und Lehrern.
Wie verändert sich die Haltung des Lehrers beim neuen Lernen?
Lehrer sind nicht verantwortlich dafür, dass ein Schüler etwas lernt, sondern verantwortlich dafür, dass er etwas lernen kann. Lehrkräfte müssen den Schülern keinen Druck machen.
Ich vergleiche immer das Lernen mit dem Essen. Wir als Lernbegleiter stellen optimale Rahmenbedingungen her: Wir sind super Köche und bereiten das Buffet so her, dass du Lust kriegst, etwas zu essen. Wir wollen, dass die Schüler Freude am Essen haben, dass es ihnen schmeckt. Aber, wenn jemand gar nicht essen will, stopfen wir es ihm nicht hinein.
Was raten Sie Kollegen und Kolleginnen, die ihre Schule verändern und zum „guten Ort“ machen wollen?
Wenn ein Kind jeden Morgen gerne in die Schule geht, kann ich nicht verhindern, dass es lernen wird. Um das zu erreichen, muss die grundsätzliche Atmosphäre stimmen. Wir Lehrer müssen uns als Gastgeber sehen. Ich habe in meiner früheren Schule damit begonnen, die Kinder und Jugendlichen mit Handschlag zu begrüßen. Sie sollen sich willkommen und wahrgenommen fühlen. Das war eine kleine Geste mit überraschender Wirkung. Die Schüler nehmen wahr, dass es auf sie ankommt, dass sie willkommen sind und selbstwirksam werden können.
Mit Strafen und Ausgrenzen kommt man nicht weiter, wir müssen die Gründe finden, warum sie nicht lernen können oder sich provokativ verhalten. Inzwischen ist es in der Alemannenschule so, dass die größte Strafe ist, nicht in die Schule kommen zu dürfen. Die Schule muss ein Gestaltungsraum sein, in dem die Kinder gestalten können und ihre Wirksamkeit erfahren. Wenn wir Lehrer weniger Gewalt ausüben z.B. durch Bewerten und Noten, dann entsteht auch bei den Schülern weniger Gewalt. Das ist meine Erfahrung.
Mein wichtigster Rat: Sei mutig, probiere aus, mache Fehler, dann gelingt dir viel Gutes!
Hinweis: Im Magazin 2024/3 „Schule kann anders“ auf S.39 ff. finden Sie einen ausführlichen Bericht zum Konzept der Alemannenschule in Wutöschingen.
Weitere Informationen:
Artikel aus Die Schule für alle Heft 2025/2