Veranstaltung mit Ulrich Vieluf
Länderbericht Hamburg 2023-05
Barbara Riekmann, Anna Ammonn
Am 29. November 2022 hatten wir eingeladen: „Zu aktuellen Herausforderungen und den Folgen der IQB-Ergebnisse für die Stadtteilschulen“. Es war die erste Präsenzveranstaltung seit Beginn der Pandemie; sie war mit 80 Teilnehmer:innen gut besucht. Das lag sicherlich auch an dem Referenten Ulrich Vieluf, von dem man weiß, dass er „trockenes“ statistisches Material spannend aufbereitet und es auch für Laien verständlich bildungspolitisch zuzuspitzen weiß.
Wesentliche Erkenntnisse
An 30 Stadtteilschulen sind die Lernausgangslagen der Schüler:innen der 11. Klassen zu drei Zeitpunkten erhoben worden: vor Corona (2019), nach einem halben Jahr mit Corona (2020) und nach 11⁄2 Jah-
ren mit Corona (2021). Dabei erwiesen sich die Effekte nach einem halben Jahr als relativ gering, auch in 2021 lassen sich bei oberflächlicher Betrachtung die im Vergleich zu 2019 niedrigeren Lernstände als noch moderat bezeichnen. Bei der „Tiefenbohrung“ jedoch deuten sich dramatische Effekte an: Die Rückstände im Lesen (ein dreiviertel Jahr) und in der Mathematik (ein halbes Jahr) sind alarmierend und eine große Herausforderung für die Stadtteilschulen.
KESS 2022
Mit der KESS-Erhebung 2022, deren Ergebnisse zwischenzeitlich vorliegen, haben sich die Befunde nicht nur erhärtet, sondern noch einmal dramatisch weiterentwickelt. Aufbereitet wurden hier die Ergebnisse von 38 Stadtteilschulen. So haben sich die Disparitäten zwischen Mädchen und Jungen in Mathematik auf zwei Lernjahre erhöht. Zudem zeigen sich regelrechte „Abstürze“ in den Selbstkonzepten und Selbstwirksamkeitsüberzeugungen. Auf Seiten der Fächer sind hier besonders die Naturwissenschaften zu nennen. Insgesamt spielt die Familiensprache eine signifikante Rolle für die sich in allen Fächern entwickelnden Disparitäten. Eigentlich ist das keine Überraschung nach so langen Phasen von Fern- und Wechselunterricht, jedoch in der Stärke und Langzeitwirkung alarmierend.
Bildungstrend 2021
Das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) hatte jüngst den Bildungstrend 2021 veröffentlicht, der für alle Bundesländer Auskunft gibt über die Kompetenzen in den Fächern Deutsch und Mathematik am Ende der 4. Jahrgangsstufe. Er stützt die Erkenntnis, dass die derzeitige Situation sehr, sehr ernst genommen werden muss. Durchschnittlich knapp 20 % der Kinder erreichen nicht den Mindeststandard im Lesen, ca. 30 % verfehlen den Mindeststandard in der Rechtschreibung und knapp 22 % erreichen diesen nicht in der Mathematik. Der Kompetenzrückgang in Deutschland insgesamt, so Vieluf, ist hoch und hat sich noch einmal deutlich erhöht; insbesondere Kinder mit Zuwanderungshintergrund sind besonders hiervon stark betroffen.
Fazit
Überdeutlich wurde, dass die Schulen eine differenzierte Analyse ihrer Schülerschaft brauchen und sie zudem Zeit benötigen, um konkret vor Ort langfristige Handlungskonzepte zu entwickeln. Das Fazit von Ulrich Vieluf: Er betonte, dass jetzt Zutrauen in die Kinder oberste Priorität hätte, dass individuelle Lernfortschritte zur Ermutigung aufgezeigt werden müssen, ohne das Ziel – die Erfüllung der Mindestanforderungen – aus den Augen zu verlieren. Dafür wäre es nötig, dass sich die Kollegien realistische Ziele setzten und das Curriculum entsprechend entschlackt werde. Insbesondere in sozialen Brennpunkten erhöhe man das Anregungspotential durch jahrgangsübergreifende Arbeit, Handlungs- und Projektorientierung würden Motivation aufbauen und neue Lernzugänge ermöglichen.
Kontakt
AnnaAmmonn@ggg-web.d
Der Länderbericht erschien in Die Schule für alle 2023/2.