Empfehlungen - nicht empfehlenswert
Stellungnahme des Berliner Landesvorstandes
In den Empfehlungen der Qualitätskommission der Bildungssenatorin steht manches Bedenkenswertes, als Grundlage für eine Weiterentsicklung der Berliner Schulen hingegen erscheint sie uns nicht geeignet. Wir berichten darüber auch in Die Schule für alle Heft 2021/2.
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Abschlussbericht der Qualitätskommission Stellungnahme der GGG-BE im Wortlaut
Artikel in Die Schule für alle 2021/2
L. Sack: Empfehlungen - nicht empfehlenswert (DSfa 2021/2)
L. Sack (DSfa 2021/2): Empfehlungen - nicht empfehlenswert
Qualitätskommission der Senatorin
Anfang Oktober 2020 hat die Qualitätskommission der Senatorin ihre 100-seitigen Empfehlungen veröffentlicht. „Ziel war die Erarbeitung wissenschaftlich fundierter Empfehlungen, wie die Lehr- und Lernprozesse auf den unterschiedlichen Bildungsetappen von der Kita bis zur Lehrkräftefortbildung so gestaltet werden können, dass erfolgreiches fachliches und soziales Lernen stattfindet und gleichzeitig Disparitäten im Bildungssystem reduziert werden.“
Sieben Professores (Ltg. Olaf Köller, Kiel) und ein Senatsrat (a.D.) tagten elf-mal und führten über 50 Interviews durch. Daneben gab es eine Praxiskomission.
Die Empfehlungen gliedern sich in sechs Handlungsfelder. Ihr Schwerpunkt liegt überwiegend auf den Sprachen und Mathematik: kognitive Fähigkeiten, Fachdidaktik und Fachunterricht, Standards, Bewertung und Leistungsüberprüfung. Wie “Disparitäten im Bildungssystem” durch die Betonung kognitiver Anforderungen überwunden werden sollen, ohne die milieuspezifische Sortierung der Schülerschaft in den Schulformen ins Auge zu nehmen, bleibt unklar. Zu diesen und weiteren Kritikpunkten – etwa der deutlichen Bevorzugung der Gymnasien – hat der Landesvorstand Berlin Stellung genommen.
Auftrag bzw. Erfüllung des Auftrags
Im Berliner Schulgesetz heißt es (Auszug aus § 1):
“Auftrag der Schule ist es, alle wertvollen Anlagen der Schülerinnen und Schüler zur vollen Entfaltung zu bringen und ihnen ein Höchstmaß an Urteilskraft, gründliches Wissen und Können zu vermitteln.
Ziel muss die Heranbildung von Persönlichkeiten sein, welche fähig sind, der Ideologie des Nationalsozialismus und allen anderen zur Gewaltherrschaft strebenden politischen Lehren entschieden entgegenzutreten sowie das staatliche und gesellschaftliche Leben auf der Grundlage der Demokratie, des Friedens, der Freiheit, der Menschenwürde, der Gleichstellung der Geschlechter und im Einklang mit Natur und Umwelt zu gestalten. (...)”
Ähnliche Zielsetzungen formuliert die KMK in der kürzlich verabschiedeten Ländervereinbarung.
Die Empfehlungen fokussieren sich auf kognitive Fähigkeiten in Sprache und Mathematik und den jeweiligen Fachunterricht. Andere (persönlichkeitsbildende und soziale) Lern-Bereiche werden nicht oder kaum beachtet und somit auch nicht ihr Beitrag zu den fokussierten Unterrichtsbereichen. Wir kritisieren, dass persönlchkeitsbildende, demokratiestiftende und andere soziale Zielsetzungen von Schule als nicht qualitätsrelevant außer Acht gelassen werden. Das betrifft u.a. auch Güte und Umfang der schulischen Inklusion, die die Qualitätskommission offensichtlich nicht als integrale Aufgabe aller Schulen und auch nicht als Qualitätsbereich von Schule sieht.
Weitere Kritikpunkte
Ein weiterer Kritikpunkte ist die Arbeitsweise der Kommission, insbesondere die Auswahl von Gesprächspartnern.
Kritikwürdig erscheint uns auch das Ignorieren erfolgreicher Schulen, etwa die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung der Pilotphase Gemeinschaftsschule. Hier werden vorhandene Anknüpfungspunkte für eine gelingende Schulentwicklung leichtfertig außer Acht gelassen.
Ebenso kritisieren wir die deutlich hervortretende Bevorzugung des Gymnasiums. Diese gipfelt in der Empfehlung, den Gymnasialschülern den mittleren Schulabschluss per Versetzung in die Klasse 11 zuzuerkennen, für die integrierten Schulen jedoch an der Prüfung festzuhalten. Hier werden Lernende desselben Bildungsgangs nach der Zugehörigkeit zu einer Schulform unterschiedlich behandelt und nicht nach ihrem individuell erreichten Lernstand.
Laut Kommissionauftrag sollen durch die Empfehlungen “Disparitäten im Bildungssystem reduziert werden”. Wie dies, ohne die milieuspezifische Sortierung der Schülerschaft in den Schulformen zu hinterfragen, nur durch die Betonung kognitiver Anforderungen erreicht werden soll, bleibt das Geheimnis der Kommission.
Unser Fazit
“Eine Reihe von Empfehlungen der Qualitätskommission sind durchaus zielführend. Insgesamt halten wir die Empfehlungen aber nicht für geeignet, die wesentlichen Probleme der Berliner Schule zu beseitigen.
• Wir kritisieren, dass die Kommission einen auf wenige kognitive Fähigkeiten eingeschränkten Begriff von Schulqualität benutzt und nicht problematisiert.
• Wir kritisieren, dass die Kommission als Indikator für die Qualität von Schule nur den jeweils aktuell erreichten Lernstand, nicht hingegen den Lernzuwachs betrachtet.
• Wir kritisieren den Vorschlag, dass die Prüfungen zum MSA an Gymnasien abgeschafft werden sollen, weil dies eine Ungleichbehandlung der Lernenden an integrierenden Schulen und Gymnasien bedeutet.
• Wir sehen nicht, dass eine Verstärkung von an Standards orientierter Prüfungen und Tests ein Lernklima schaffen, dass jedem Schüler, jeder Schülerin individuelle Lernzugänge ermöglicht.
• Wir sehen nicht, wie das Problem der Ballung problematischer Millieus in einzelnen Schulen durch die Empfehlungen beseitigt werden soll. Hierfür muss die Strukturfrage des gegliederten Schulsystems gestellt werden.
• Wir bemängeln, dass die Kommission eine das Gymasium bevorzugende Position einnimmt und gleichzeitig die erfolgreiche und beispielgebende Praxis vieler integrierter Schulen und damit Anknüpfungspunkte für eine Qualitätssteigerung ignoriert.
• Wir sehen nicht, wie durch die Empfehlungen eine wirklich inklusive Schule realisiert werden kann. Die Beibehaltung exklusiver Schulen und Schularten steht hierzu in einem eklatanten Widerspruch.” (Zitat aus der GGG-Stellungnahme)
Stopp mit den Gym-Privilegien!
Die beabsichtigte Schulgesetzänderung der Senatorin verhindern!
Die Senatorin hat einen Entwurf für die Schulgesetzänderung vorgelegt: U.a. soll den Gymnasiasten der mittlere Schulabschluss (MSA) mit der Versetzung den Jahrgang 11 geschenkt werden. Damit kommt sie einer Empfehlung der von ihr eingesetzten Qualitätskommission nach. Die Schüler der integrierten Schulen hingegen sollen weiterhin unabhängig von ihrem Leistungsstand und ihrer Abschlussprognose den MSA mit schriftlichen und mündlichen Prüfungen ablegen. Der bestandene MSA ist dann weiterhin Voraussetzung für das Erreichen des Jahrganges 11. Wie bereits in der Stellungnahme zu den Empfehlungen der Qualitätskommission sieht die GGG-Berlin in dieser Privilegierung der Gymasiums-Absolventen eine Ungleichbehandlung von Schülern lediglich auf Grund der besuchten Schulart und das, obwohl ca 25% der Gymnasiasten die Mathematikprüfung nicht bestehen. Die Gleichwertigkeit der Bildungsgänge in den integrierten Schulen und dem Gymnasium wäre damit aufgegeben. In einem Brief an die Abgeordneten des Berliner Landesparlaments fordert das Netzwerk der Gemeinschaftsschulen Berlin auf, dem Gesetzentwurf nicht zuzustimmen.