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Ob Sekundarschulen Erfolg haben, hängt davon ab, ob sie eigene Oberstufen bekommen. Das Berliner Zwei-Wege-Modell steht am Scheideweg, meint der Bildungsforscher Klaus Hurrelmann.

Das Berliner Schulsystem hat bundesweit große Anerkennung für die klare Entscheidung vor drei Jahren gefunden, die weiterführenden Schulen nach der Grundschule auf zwei Modelle zu reduzieren. Neben dem Gymnasium gibt es seitdem nur noch die Integrierte Sekundarschule, die bisherige Hauptschulen, Realschulen und Gesamtschulen zu einer Schulform zusammenfasst.

Das Kardinalproblem des deutschen Schulsystems, die Aufteilung der Schülerinnen und Schüler nach wenigen Jahren gemeinsamer Grundschule auf getrennte Schulformen, die zu unterschiedlichen Abschlüssen führen, ist damit auf eine pragmatische Weise gelöst worden. Von den Eltern wurde der Druck genommen, schon am Ende der Grundschulzeit entscheiden zu müssen, ob ihr Kind auf eine Schule mit Abiturangebot gehen soll oder nicht.

Das gilt aber nur dann, wenn beide Schulformen alle Abschlüsse anbieten, auch das Abitur. Nach aktuellen Untersuchungen streben über 66 Prozent der Eltern in Deutschland diesen Abschluss für ihr Kind an. Alle weiterführenden Schulformen, die kein Abitur anbieten können, haben in den letzten drei Jahrzehnten permanent an Zuspruch verloren, auch wenn sie pädagogisch noch so gute Arbeit geleistet haben.

In Berlin kommt es jetzt auf die Ausgestaltung der neuen Schulform an. Die personelle und sächliche Ausstattung muss stimmen, die Versorgung mit qualifizierten Lehrkräften ebenso, Schulleitung und Schulmanagement auf dem besten Stand sein. Ob eine Integrierte Sekundarschule statt eines Gymnasiums gewählt wird, hängt am Ende allein an der Einschätzung der Eltern, ob diese Schule den Weg bis zum Abitur ohne Umwege anbietet oder nicht.

Welche der Integrierten Sekundarschulen in Berlin eine eigene Oberstufe führen und welche nicht – das wird zur Kardinalfrage für das dauerhafte Überleben dieser Schulen werden. Doch die Senatsverwaltung ist außerordentlich knauserig mit der Neugenehmigung von eigenen Oberstufen an Sekundarschulen.

Und damit ist ein Kampf entbrannt, wer zu einer Integrierten Sekundarschule erster und zweiter Klasse wird. Der Campus Rütli hat es wohl so gut wie geschafft. Hier zogen Bezirks- und Senatsverwaltung an einem Strang, und allen war klar, wie groß der Symbolwert über Berlin hinaus ist, wenn an diesem Standort endlich etwas gelingt. An anderen Standorten geht der Kampf weiter. Noch nicht entschieden ist er bei der Nikolaus-August-Otto-Schule, die ihr ambitioniertes Konzept der Montessori-Pädagogik in eine eigene Oberstufe verlängern möchte. Der Streit ist exemplarisch. Er zeigt, dass das viel gelobte Berliner Zwei-Wege-Modell nun am Scheideweg steht. Wenn ein großer Teil der neu gegründeten Sekundarschulen keine eigene Oberstufe erhält, dann wird die gerade überwunden geglaubte Spaltung der Schullandschaft wieder aufbrechen. Einer kleinen Montessori-Schule ein Oberstufenzentrum als Pate anzubieten, das ohne räumliche Nähe und ohne jeden pädagogisch sinnvollen inhaltlichen Bezug ist, das hatten wir früher, in Zeiten der Hauptschulen und Realschulen auch schon.

Klaus Hurrelmann ist Sozial-, Bildungs- und Gesundheitswissenschaftler und Professor of Public Health and Education an der Hertie School of Governance in Berlin.

Schulen zweiter Klasse | Der Tagesspiegel vom 23.10.2012 (zuletzt abgerufen: 16.02.2017)